Das Neueste ...

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Wolfgang in Rasa (foto: Wolfgang Bittner)

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... bereits uns beide?! Dann ist diese Seite mit den untenstehenden Neuigkeiten wahrscheinlich das Richtige für Sie. Lesen und Blättern Sie doch. Sie erfahren dabei, wo und wozu wir in letzter Zeit unterwegs waren.

Auf  dieser  Seite  ... ... informieren wir Sie in der Form eines Journals über Neuigkeiten, die es bei uns bzw. in unserem beruflichen Umfeld gibt: was wir erleben, was uns auffällt, was wir beobachten und was uns fragend macht. Interessiert? Echos freuen uns. Schreiben Sie an ulrike.bittner@bluewin.ch oder an wbittner@bluewin.ch. Wir antworten gerne und so schnell wir können.

Immer  wieder  Neues  ... Sonntag, 17. September 2023
Ulrike schreibt: Gestern haben Wolfgang und ich uns mit Freunden am Südabhang des Jura getroffen. Bei wunderbarem Wetter und mit wolkenfreiem Blick auf Eiger, Mönch und Jungfrau. Wir treffen uns regelmässig, geben einander Anteil, essen und beten miteinander. Gestern haben wir uns davon erzählt, wie wir mit genderspezifischen Entwicklungen und Fragen umgehen und wo wir mit Menschen zusammen sind, die sich als nicht-binär verstehen.

Am Abend nieselt es leicht. Ich fahren nach Gelterkinden, denn das Freibad sollte noch offensein - bis heute. Kein Mensch ist im Freibad. Das Wasser liegt still im Nieselregen. Ich gehe ins Gebäude hinein und sehe durch die Scheibe, dass auch im Hallenbad niemand ist. Nur am Kiosk stehen einige Leute.

Ich: «O, ich dachte, heute ist noch offen.» Die Badmeisterin: «Es ist offen. Es ist einfach keiner da» ... Das war dann ein besonderes Schwimmerlebnis. Als ich gegangen bin, kamen dann noch zwei Jungen, und die hatten dann ebenfalls das ganze Bad für sich allein😉.


Freitag, 15. September 2023
Ulrike schreibt: Diese Woche war ich zu einer Geburtstagsfeier nach Zürich eingeladen. Die Gastgeberin hat ihre Feier mit einer Stadtführung «Heldinnen der Arbeit. Die Frauen vom Chreis Cheib» begonnen - in dem Quartier Zürichs, in dem sie auch arbeitet. Das ist eine super Idee, um jemanden und das, was ihm wichtig ist, mehr kennenzulernen.

Der Rundgang wurde von zwei motivierten jungen Frauen geleitet - was ebenfalls klug ist: im Wechsel zu reden. Die beiden waren begeistert von ihrer Sache und auch der einsetzende Regen hat ihrer Begeisterung keinen Abbruch getan :-) Ich war am Tag vorher - mein Wickelfisch (= Schwimmsack) war brüchig - bereits in durchnässten Kleidern unterwegs, und nun schon wieder Wasser .... Der Rundgang endete bei der Zürcher Kirchgemeinde der Gastgeberin, was ebenfalls interessant war. Jede der fast dreissig Frauen wurde vorgestellt: gut, um die Gastgeberin mehr kennenzulernen und um selbst neuen Frauen zu begegnen. Danke für den schönen Nachmittag und Abend!

Ich war früher an diesem Tag im Kunsthaus Zürich. Da wird im Erweiterungsbau gerade eine Ausstellung «Käthe Kollwitz. Stellung beziehen. Mit Interventionen von Mona Hatoum» gezeigt. Ich kenne viele Werke von Käthe Kollwitz aus Berlin, aber in dieser Ausstellung habe ich einiges neu entdeckt.

Mir fiel neu auf, wie Käthe Kollwitz in den Zeichnungen/ Litografien/ Plastiken die Körper der Menschen oft ohne Abstand ineinander fügen. Familien sind eng umschlungen, Mann und Frau ebenso, die Arbeiter und Arbeiterinnen stürmen gemeinsam nach vorne oder sind gemeinsam gefangen. Und auch der Tod ist abstandslos da, wenn er nach einem Menschen greift. ... Es gibt vieles zu entdecken, finde ich, und auch die Arbeiten der palästinensisch-britischen Künstlerin Mona Hartoum passen gut in die Ausstellung.

Dieses Wochenende ist es ruhiger bei Wolfgang und mir. Heute bin ich in der Uni-Bibliothek in Basel, um meine CAS Arbeit Ausbildungspfarrerin vorzudenken (CAS = Certificate of Advanced Studies). Und um das Blockseminar mit den Studierenden im TSB (Theologisches Studienzentrum Berlin) Ende November vorzubereiten. Ich unterrichte im Modul «Gemeindeentwicklung und kirchliches Entrepreneuership» über Mobilitätsphänomene und Erfahrungen von Zugehörigkeit. Das ist ja eins meiner Themen: wie Erfahrungen von Zugehörigkeit möglich werden. Was muss ich in soziologischer Perspektive beachten, und was gilt in theologischer Perspektive? Wie kommt jemande dazu, eine Kirchgemeinde als «seine» Gemeinde zu erleben.

Am Sonntag - also übermorgen - wird Pfarrerin Claudia Bach in ihr Amt eingesetzt. Sie sind zum festlichen Gottesdienst in der Stadtkirche Liestal (9.30 Uhr) und zum anschliessenden Apéro im Kirchhof herzlich eingeladen. Wir als Pfarrteam freuen uns sehr über die neue und junge Kollegin.


Montag, 11. September 2023
Ulrike schreibt: Die Tage seit den Schweige-Exerzitien in Rasa waren voll. Zum einen mit Veranstaltungen in unserer Kirchgemeinde. Zum anderen war ich letzte Woche bei einer dreitägigen Weiterbildung im Aargau - also dem Nachbarkanton. Weil ich Ausbildungspfarrerin für einen Vikar bin, bin ich in der Pflicht, mich selbst weiterzubilden. Schön daran ist, dass ich Pfarrkolleginnen und -kollegen begegne und es auch viel Zeit für informelle Gespräche gibt. Über die Bildungs- und Kursinhalte bin ich mir nicht sicher. Ich würde gern mehr Beobachtungen teilen ("Was nehmt ihr wahr?"), mehr echte Fragen stellen ("Was muss uns als Kirche wirklich bewegen?"), mehr von echten Nöten der Pfarrkolleginnen und -kollegen hören und teilen.

Für die von euch, die bei Spotify sind: Das Interview mit dem Soziologen und Sozialpsychologen Harald Welzer im Podcast Hotel Matze lohnt sich. Welzer teilt gute Beobachtungen. Er fragt z.B., warum Deutschland eine so grosse Wissensindustrie hat, warum sich dieses Wissen aber kaum im gesellschaftlichen Handeln niederschlägt. Ausschnitte des Interviews sind auf Youtube zugänglich, z.B. hier: Wie verändert sich unsere Gesellschaft? oder hier: Erinnerungskultur im Nationalsozialismus. Hört einmal rein.

Ich gehe immer noch regelmässig schwimmen. Heute war ich im Rhein, denn "meine" Badi in Rheinfelden hat seit heute offiziell zu: Saisonschluss. Man kann aber weiterhin auf der Wiese liegen, die Duschen und die Schränke benutzen, ... und eben zur Abkühlung in den Rhein springen.


Sonntag, 10. September 2023
Wolfgang schreibt: Heute hat Ulrike über die Heilung der zehn Aussätzigen (Lukas 17,11-19) gepredigt. Es ist immer wieder erstaunlich, wie lebensnah die biblischen Erzählungen sind: Sehnsucht, Hilfe, Dankbarkeit … Sie können die Predigt gleich hier anhören.


Ganz unten auf dieser Seite [dort, wo die Buchstaben blau werden] können Sie diese Predigt herunterladen unter: »2023-Lukas 17,11-19«


Mittwoch, 30. August 2023
Ulrike schreibt: Heute früh ist der Himmel so klar, dass wir von der Cassetta - dem kleinen Steinhaus, in dem Wolfgang und ich wohnen - bis ins Wallis schauen. Die Berggipfel sind schneebedeckt und leuchten. Auf der Wiese vor der Cassetta grasen neuerdings Kühe. Wenn man herauskommt, schauen einen manche Kühe so nachdenklich und aufmerksam an, dass ich selbst nachdenklich werde. Seit gestern müssen wir das Trinkwasser in Rasa abkochen, denn es ist verschmutzt. Wahrscheinlich sind durch die starken Regenfälle der letzten Tage die Wasserreservoirs überflutet worden.

Hier teilen wir einen weiteren Impuls zu Psalm 71 mit euch. Es ist mit schwer gefallen zu entscheiden, welche der mittlerweile zwanzig Impulse ich hier veröffentliche. Der Impuls unten schliesst direkt an den letzten an, ist also der vierzehnte.


Psalm 71, Vers 15
Wir beginnen unseren Impuls heute Nachmittag noch einmal mit Vers 13. David betet und lässt im Gebet deutlich werden, wie er über seine Feinde denkt:

«Zuschanden werden, vergehen sollen, die meine Seele beschuldigen;
In Hohn und Schande sollen sich hüllen, die mein Unglück suchen.»
So heisst Vers 13 in der Elberfelder Übersetzung.


DAS SCHWERE BENENNEN

Die Psalmen sind merkwürdig voll von solchen Aussagen, in denen der Psalmbeter das Dunkle beim Namen nennt. Er nennt das Schwere, Verletzende beim Namen, bis dorthin, dass er auch das, was ihn von Gott her verletzt – oder worin er meint, von Gott verletzt zu sein – ohne Scheu im Gebet ausspricht. Wer therapeutisch unterwegs ist, der wird daran denken, wir haben es hier auch mit Psychohygiene zu tun.

Was nie ausgesprochen werden kann, vielleicht, weil ich es mit einer Art Frömmigkeit unter Verschluss zu halten versuche, oder durch meine Erziehung unter Verschluss zu halten versuche, das verschwindet nicht einfach. Sondern es bleibt da und staut sich auf. Und wenn es nicht gut kommt, dann überfällt es einen plötzlich mit einer Macht, die zerstörerisch sein kann. David spricht uns vor, wie man über das Böse im Leben redet, und das ist zutiefst heilsam. Wir haben heute Vormittag gesagt, David macht sich nichts vor. Vor allem hat er den Ort gefunden, an dem es ausgesprochen werden kann. Gott ist der Ort, an den die Dinge hingehören. An den sie auch heilvoll hingehören.

Ich sage es noch einmal, obwohl es in unserem Psalm nicht vorkommt. Es gibt vielleicht auch Ängste und Vorbehalte, die ich Gott gegenüber habe. Nicht einem Feind gegenüber, nicht bestimmten Umständen gegenüber, sondern wo mein Inneres mit Gott selbst kämpfen will. Wenn es so ist, dann ist es so. In der Begleitung wird man sagen, was da ist, das darf sein. Es muss nur am richtigen Ort sein. Also, ich finde vor Gott eine Sprache dafür und die Psalmen sind eine Hilfe dazu.

Wir hatten heute Vormittag gemerkt, dass David nicht dabei stehenbleibt. Er sagt nicht: «Ah, jetzt habe ich mein Thema, jetzt wird also geklagt und geklagt und damit höre ich nicht mehr auf». Nein, er sagt: «Ich aber harre auf Gott.» Er verschweigt das Schwere und das Dunkle nicht, aber er hat dem durchaus etwas entgegen zu setzen. Das ist sein «Ich aber harre». Und zwar harre ich «ständig». Das Heilsame, so empfinde ich es, liegt darin, dass die beiden Seiten nicht in einen Kampf miteinander geraten. Also entweder das Dunkle und Schwere sehen oder das Andere. Sondern beides miteinander hat sein Recht, weil beides vor Gott geschieht.


ES GOTTES SACHE SEIN LASSEN

Wir haben noch überlegt, was Davids Reden gegen seine Feinde (Vers 13) zu tun hat mit der Weisung aus dem Neuen Testament «Liebet eure Feinde» (Matthäus 5,44)? Wenn ich das Wort Jesu ernst nehme, kann ich dann so über die Feinde reden wie es die Psalmen tun? Nach meinem Urteil «ja». Denn im Reden über die «Feinde», wenn wir sie pauschal so nennen, nimmt David die Rache nicht selber in die Hand. Im Gegenteil, er nimmt, was er vielleicht gerne in die Hand nehmen würde und legt es Gott hin. Die Feinde lieben, heisst, sie sind immer noch Feinde. Es heisst nicht, ich liebe jetzt alle, also habe ich keine Feinde mehr. Nein, ich habe sehr wohl noch Feinde. Ich mache mir nichts vor. Die Feinde lieben heisst, wie Paulus es sagen kann, die Vergeltung in die Hand Gottes zu legen (Römer 12,17). Ich mache, Gott, deine Sache, daraus. Ich sage es, ich stehe dazu, aber du bist zuständig. «Ich aber, ich harre beständig». So klingt es beinahe wie eine Aufgabenteilung. Soweit noch einmal als Rückblick auf heute Vormittag, damit wir den Zusammenhang zu Vers 15 bekommen. Der Vers 15 enthält ein Wortspiel, das auch im Deutschen erkennbar ist.

«Mein Mund soll erzählen deine Gerechtigkeit,
dein Retten den ganzen Tag,
denn ich kenne [ihre] Zahl nicht.»


GERECHTIGKEIT ALS EIGENSCHAFT ODER ALS TUN?

«Erzählen» und «zählen» sind im Hebräischen dasselbe Wort, übrigens zum Teil auch im Griechischen. Wir beginnen mit dem Wort «Gerechtigkeit». David sagt, ich erzähle deine Gerechtigkeit. Es gibt für Gerechtigkeit im Hebräischen zwei Begriffe. Der eine Begriff meint Gerechtigkeit als eine Eigenschaft bzw. eine Norm. Ich kann von meiner Eigenschaft her ein sehr gerechter Mensch sein. Ich kann als Eigenschaft auch dazu neigen, ungerecht zu sein. Gerechtigkeit kann ich auch auffassen als eine Norm, und an dieser Norm messe ich das Verhalten der anderen Menschen und mein eigenes Verhalten. Ja, sogar das Verhalten Gottes, wenn ich frage: Ist das noch gerecht?

Das ist der eine Begriff. Und wir merken, dieser erste Begriff von Gerechtigkeit lässt sich nicht in die Mehrzahl setzten. Den gibt es nur im Singular. So auch im Hebräischen. Nun gibt es aber einen zweiten Begriff mit demselben Wortstamm, der lässt sich in den Plural übersetzen. Das sind die «Taten der Gerechtigkeit». Wir sind damit sehr nahe an dem, was dem hebräischen Denken wichtig ist. Der Hebräer sagt, wenn einer in seiner Eigenschaft gerecht ist, das ist ja gut und schön. Aber mir ist wichtig, ob er mir gegenüber auch gerecht handelt! Der kann zehnmal davon erzählen und alle rundherum auch, wie gerecht er ist. Was bringt es, wenn er es mir gegenüber nicht war? Wenn er in seinem Handeln mir gegenüber nicht gerecht ist.


ES KOMMT AUFS TUN AN

Das, was im Umgang miteinander entscheidend ist, ist die Art und Weise wie wir handeln, was wir tun. Wie tief das geht, sagen das Alte und gleichermassen das Neue Testament. Das Gericht Gottes wird nicht über unsere Eigenschaften ergehen. Es wird nicht über die Normen ergehen, die wir vertreten haben. Sondern das Gericht Gottes hat unser Tun zum Gegenstand. Was hast du getan?

Ich habe in meinem Leben ein paarmal mit Menschen zu tun gehabt, von denen ich sagen würde, dass sie von ihrem Wesen, ihrem Charakter, ihrem Ruf her ausserordentlich gerechte Menschen waren. Das würde ich nicht in Zweifel ziehen. Aber in einem bestimmten Moment ihres Lebens, der mich betroffen hat, waren sie ungerecht. Sie wussten nicht, was tun. Sollen sie sich auf diese Seite schlagen oder auf jene? Auf die Seite derjenigen Menschen, die wichtig und einflussreich waren oder sollten sie sich zu Wolfgang Bittner stellen, der nicht einflussreich war? Im Charakter und Norm waren sie gerecht, ihr Handeln war es nicht.

Wenn die Bibel von Gottes Gerechtigkeit spricht, dann fällt einem auf, dass sie von Gottes Handeln spricht. Ich rühme deine Gerechtigkeit, heisst, ich rühme deine Taten, in denen du gezeigt hast, dass du gerecht bist und wie du es bist. Es liesse sich viel dazu sagen.

Wer nachdenken möchte, kann sich folgendes überlegen: Wie weit bin ich an Normen und inneren Überzeugungen interessiert, wenn es mich oder andere betrifft? Und inwieweit interessiert mich das konkrete Handeln, auch mein eigenes konkretes Handeln? Wir haben heute Morgen unseren Impuls damit geschlossen, dass David in Vers 14 sagt, «ich aber will beständig harren und dein Lob vermehren». Das ist ein Handeln. Nun sagt David in Vers 15, was «Lob vermehren» bedeutet. Mein Mund erzählt. Ich zähle deine gerechten Taten auf.


THEOLOGIE TREIBEN HEISST ERZÄHLEN

Die tiefste Weise, Theologie zu treiben, ist das Erzählen. Das ist bei uns Menschen nicht anders. Wenn ich einen Menschen kennenlernen möchte, dann bitte ich ihn, erzähl mir von dir. Wenn ich einem anderen Menschen einen Menschen nahebringen möchte, dann werde ich ihm sagen: Ich erzähle dir von ihr oder von ihm. Und so lerne ich auch Gott kennen, in dem mir von ihm erzählt wird. Darum ist die Bibel ein Erzählbuch.

Die Geschichte Gottes, die Geschichte seiner Taten wird mir erzählt. Israel hat immer und immer wieder dieselben Geschichten erzählt. Je öfter ich sie erzähle und je öfter ich sie höre, desto mehr begreife ich, was da vor sich geht. Die Geschichten werden je mehr man sie erzählt, desto reicher, die Dimension wird umso grösser, die Geschichten werden umso geheimnisvoller.
Und ich merke: diese Geschichten sehen uns an. Sie wissen etwas von uns. Nicht wir wissen etwas von der Geschichte – na hoffentlich auch ein bisschen – , vor allem aber weiss die biblische Geschichte etwas von uns. Und von mir.


GOTTES TATEN IN MEINEM LEBEN ERZÄHLEN

Nun bringen wir die Dinge zusammen. David beginnt mit seinem Leiden an den Feinden. Er nennt das beim Namen, er spricht es aus am richtigen Ort, er selber aber harrt. «Harren» heisst, nicht selber zugreifen und selber versuchen, die Dinge in Ordnung zu bringen, nicht selber zu vergelten. Ich harre. David füllt die Zeit des Harrens mit dem Lob Gottes. Das Lob Gottes hat damit zu tun, dass er Gottes Gerechtigkeiten erzählt. Es ist eine wunderschöne Aufgabe, sein eigenes Leben einmal durchzugehen mit der Frage: wo und wie habe ich Gott und seine Gerechtigkeit, das ist seine Güte, seine Liebe, seine Sorgsamkeit, seinen Schutz, in meinem Leben erfahren? Bin ich überhaupt gewöhnt, davon zu erzählen?

Das Merkwürdige dabei ist: am Anfang meint man, drei, vier Dinge kommen mir sicher in den Sinn. Je mehr man erzählt, desto mehr wird es. Mir gehen die Augen auf dafür, wo Gott mir überall begegnet ist. Wo Gott mir Menschen über den Weg geschickt hat. Wo Gott mich heilsam zu spät hat kommen lassen. Wo Gott Überraschendes hat geschehen lassen, das zu meinem Heil, meinem Glück geworden ist. Mein Mund soll erzählen und er wird erzählen. Wir merken, erzählen heisst wirklich aufzählen. Aber das Aufzählen geschieht, indem tatsächlich erzählt wird.


ERZÄHLEN IST NICHTS ABGESCHLOSSENES

«Mein Mund soll erzählen deine Gerechtigkeit, dein Retten den ganzen Tag» (Vers 15). Im Parallelismus, also in der Wiederholung, heisst es: «dein Retten». Gottes Tun der Gerechtigkeit, das ist sein Retten. Wann soll ich davon erzählen? Den ganzen Tag. Nun steht dieser merkwürdige Satz am Schluss des Verses: «denn ich kenne ihre Zahl nicht». Martin Buber übersetzt: «denn Abzählungen kenne ich nicht». Und Samson Raphael Hirsch: «Sie zu zählen habe ich nie gewusst». Wir merken, der hebräische Text ist schwierig und vieldeutig. Aber gerade darin liegt die Schönheit. Der Beter merkt, wenn ich nur zähle, dann geht es nicht auf. Wenn ich nur trocken sage: «Ach, zehnmal hat ER mir geholfen», dann ist mir nicht geholfen. Das Zählen allein führt nicht zum Geheimnis dessen, worum es hier geht. Im Erzählen aber merke ich: wenn ich mitzählen würde, ich käme an kein Ende.

Samson Raphael Hirschs Übersetzung sagt – vom Hebräischen her mit Recht – «das Zählen verstehe ich nicht». Ich beginne zu zählen, indem ich erzähle, und ich merke, wirklich zählen kann man es nicht. Und das ist gut so. Das ist übrigens auch unter uns Menschen so. Wenn ich an Menschen denke, die ich liebe, dann werde ich von ihnen erzählen, ich werde das Gute erzählen, das mir durch sie zuteil geworden ist. Je mehr ich erzähle, desto mehr habe ich plötzlich zu erzählen. Und desto tiefer merke ich, zählen kann man es nicht. Ich wünsche euch einen schönen Nachmittag des Erzählens.



Montag, 28. August 2023
Ulrike schreibt: Bei uns in Rasa regnet es fast die ganze Zeit und jetzt beginnt es wieder zu gewittern. Aber die Zimmer sind warm, der Blick in die von Nebel verhangenen Berge ist grossartig, das Essen ist - wie immer - ausgesprochen gut. Und von Wolfgang gibt es an jedem Tag weitere gute Impulse. Hier stellen wir euch den Impuls zu Psalm 71, Vers 13 und 14 zur Verfügung. Es ist der mittlerweile dreizehnte Impuls.


Psalm 71,13-14
ÄUSSERE UND INNERE FEINDE - UND WAS DAVID DEM ENTGEGENSETZT

Thema unseres Psalms ist das Reiferwerden in den einzelnen Schritten unseres Lebens. Zu diesem Reiferwerden gehört die Auseinandersetzung mit dem, was David in unserem Psalm als «seine Feinde» beschreibt. Das sind die Menschen draussen, die ihm übelwollen. Wir hatten das bereits im ersten Teil unseres Psalms und begegnen dem wieder im zweiten Teil.

Wir lesen heute Vormittag die Verse 13 und 14, am Nachmittag dann Vers 15. Wer mitlesen möchte: Ich würde euch raten, das Blatt mit den drei verschiedenen Übersetzungen zur Hand zu nehmen. Ich lese nach der Elberfelder Übersetzung:

«Zuschanden werden, vergehen sollen, die meine Seele beschuldigen;
in Hohn und Schande sollen sich hüllen, die mein Unglück suchen.
Ich aber will beständig harren und all dein Lob vermehren.»


DIE STIMMEN «DRAUSSEN» UND IHR ECHO IN MIR

Soweit die Verse 13 und 14. Vielleicht liegt es wirklich am Älter- oder Reiferwerden, dass man empfindlicher für die Stimmen draussen wird. Auch für die Stimmen, die gegen einen aufstehen. Es ist nicht einfach, wenn man schwächer wird und das von den andern gespiegelt bekommt, sagt David. Die andern nehmen es als Zeichen: Gott hat ihn verlassen. «Also, los auf ihn, packt ihn!»

Die Stimmen draussen werden mir darum gefährlich, weil sie in meinem Inneren auf ein Echo treffen. Es muss etwas in mir geben, dass – bereitwillig oder auch nicht –, in diese Stimmen mit einstimmt. Die kritische Stimme draussen findet ihr Echo in meiner eigenen kritischen Stimme. Die Stimme draussen macht mir Angst macht, weil sie sagt: dass du schwächer wirst, ist ein Zeichen, dass Gott dich verlässt. Sie findet ein Echo in meiner eigenen inneren Stimme, in meiner Angst. Darum geht es in unserem Psalm. Wie gehe ich mit dieser inneren Stimme um, die das Äussere noch verstärken kann? Wenn es die innere Stimme nicht gäbe, dann würde mich das Aussen nicht berühren. Aber David ist offensichtlich sehr berührt. Die ganze spätere Lebensgeschichte des David ist voll davon und vielleicht auch unsere.

Das Schwächer werden wird mir zur Not. Das Allein sein wird mir zur Not. Ich wurde für dies oder jenes angefragt, jetzt fragt mich niemand mehr. Das wird mir zur Not. Ich bewerbe mich bei dieser oder jener Stelle. Und ich werde nicht genommen. Es wird mir zur Not. Es gibt sehr, sehr vieles. Auf eine bestimmte Weise nimmt das mit dem Alter nicht ab, es nimmt zu. Darum geht es unter anderem auch in unserem Psalm. Wie gehe ich damit um?


VOR GOTT AUSSPRECHEN, WIE MIR IST

An unserem Psalmvers lernen wir: David spricht es aus. Und zwar nicht vor sich selbst. Es gibt Selbstgespräche genug, wie «ja, den werde ich dann fertig machen», usw. Sondern David spricht vor Gott aus, wie es ihm ist.

Es gibt eine fromme Erziehung, die meint, solche Dinge dürfe man vor Gott nicht sagen, da soll ja nur das Gute und Schöne vorkommen. Die Psalmen lehren uns deutlich das Gegenteil. Was in dir ist, das darf im Gebet sein. Ja, mehr noch, würde ich sagen. Gerade im Gebet darf es sein. Wenn es im Gebet vorkommt, ist es auch für mich ein Schutz, dass diese Stimme nicht überhandnehmen kann und in meinem Innern ihr Unwesen treiben kann.

Dieser Frage kann man nachgehen: Habe ich gelernt, mein Inneres vor Gott offenzulegen? Oder meine ich vielleicht immer noch, Gott, das ist der, dem ich etwas vormachen muss? Es ist ein guter Weg, gerade wenn man älter wird, das noch zu lernen. David nennt die Dinge beim Namen.


DIE INNEREN ANKLÄGER

David gebraucht in Vers 13 einen Ausdruck, der sonst selten vorkommt. «Zuschanden werden, vergehen sollen, die meine Seele beschuldigen». Bei Buber sind es die, «die meine Seele behadern». Samson Raphael Hirsch übersetzt «sie sind die, die meine Seele hindern». Auf hebräisch steht dort ein Verbum, es sind die, «die satanisch umgehen» mit meiner Seele. Satanisch ist aber nicht, was wir aus dem christlichen Bereich kennen. Sondern «satan» ist ein Ausdruck für «anklagen». Es sind die Ankläger meine Seele. Ihr denkt an das Buch Hiob. Da tritt der, der Satan genannt wird, auf und was macht er? Er klagt vor Gott an. Nämlich den Hiob. Das ist der Vorgang.

Was stellt der innere Ankläger mit mir an? Und wie gehe ich mit meinem inneren Ankläger um? Das erste: ich benenne ihn. Er ist da, es gibt ihn. Und dann, in seinem Gebet, spricht David aus, was er eigentlich weiss und was er sich auch wünscht. Sie sollen zuschanden werden. Für diejenigen von euch, die in der letzten Woche bereits da waren: Da steht das Wort für «beschämt werden». «Beschämt werden» und «zuschanden werden» ist dasselbe. Im Hebräischen ist das ein Ausdruck. Wer beschämt wird, der geht zugrunde. Und diese Ankläger sollen zugrunde gehen. David fürchtet sich nicht, das vor Gott auszusprechen. Und dann geht es weiter: «in Hohn und Schande sollen sich hüllen, die mein Unglück suchen». Die Elberfelder übersetzt «Unglück». Da steht das radikale Wort für das Böse: «die mein Böses suchen».

Ob die wirklich das Böse suchen, wissen wir nicht. Wir wissen es auch bei uns nicht, ob die, von denen wir vermuten, dass sie unser Böses suchen, ob sie das wirklich tun. Aber es ist meine Angst. Der erste Schritt, damit umzugehen ist: ich mache sie zum Gesprächsthema vor Gott und lege damit gleichsam auch mein Inneres vor Gott hin. Ich lege IHM meine Angst hin. Das Gebet ist nicht der Ort, an dem ich mir oder IHM etwas vormache. Es ist der Ort, an dem die Dinge offengelegt werden können.


EIN ANFANG DER SELBSTÄNDIGKEIT

Das ist aber nicht alles. Wir lesen den Vers 14. Beide Verse gehören zusammen. Der Vers 14 sagt auf hebräisch mit grossem Nachdruck: «Ich aber». Das «Ich» kommt zum einen im Verbum vor, und es steht explizit am Anfang des Satzes. Das «Ich» wird betont gesetzt. «Ich aber». Es ist also ein Gegensatz. Da sind die Feinde draussen, die mein Unglück suchen, die mich anklagen. Was mache ich nun? Ich sage: «Ich aber». Es ist schön, wenn ein Mensch so reden kann und gelernt hat zu sagen: Ich aber! Das ist ein guter Anfang der Selbständigkeit, auch der Freiheit. Ich aber, was mache ich?


EIN BEWUSSTES WARTEN

Das Wort, das hier auf hebräisch steht, heisst «ich warte». Es gibt fürs Warten verschiedene Begriffe. Was hier steht, ist das angestrengte, intensive, bleibende Harren. Also ein sehr bewusstes starkes Wort. David verstärkt es noch und sagt: ich harre Gottes «allezeit». Auch das kam in unserem Psalm wiederholt vor, was David «allezeit» macht. Zum Beispiel lobt er Gott allezeit. Und hier auch: ich harre allezeit.

Man kann sich daraus eine Geschichte erfinden. Man kann versuchen, die inneren Stimmen in einen Dialog zu verwickeln. Das sagt die innere Stimme zu mir: «Dass du krank bist, ist ein Zeichen dafür, dass Gott dich loslässt.» Meine Antwort heisst: «Na gut, dann warte ich.» Die innere Stimme sagt: «Die draussen haben dich bis jetzt gefragt, und jetzt fragt dich keiner mehr. Was machst du denn jetzt?» Meine Antwort heisst: «Gut, dann warte ich.» Da kommt die innere Stimme und sagt: «Dein Geld wird im Alter und für die Pflege sicher nicht mehr reichen. Schrecklich, was da auf dich zukommt. Was machst du dann?» Ich aber antworte: «Na gut, dann warte ich.» Ich gebe immer dieselbe Antwort. Das «Harren» braucht nicht verschiedene Antworten. Harren heisst: ich bleibe in der Erwartung Gottes und lasse mich nicht von ihr wegdrängen.


NOCH EINMAL LOB HINZUFÜGEN

Nun geht unser Vers 14 noch einen Schritt weiter. Denn «harren» allein ist noch keine Tätigkeit. Es ist so, als ob ich sitze, und dann sitze ich, aber was mache ich dann? Sitzen ist keine Tätigkeit. Und so ist harren auch noch keine Tätigkeit. David sagt: Dieses Harren, dieses «Trotzdem» fülle ich damit, dass ich dein Lob vermehre. Das braucht einiges an Kraft.

Ich füge zu dem, was bereits an Lob Gottes da ist, noch etwas hinzu. Das Verb heisst «vermehrend hinzufügen». Dieses Verb steckt auch im Namen ‘Joseph’. Als Joseph auf die Welt kommt, sagt die Mutter: «Da hat Gott mir noch einen hinzugefügt». Das ist der Joseph. Und so fügt David in diesem Raum des Harrens, zu dem Lob, das er ohnehin schon spricht, noch einmal Lob hinzu. Lob ist hier das Wort, das normalerweise für die Psalmen gebraucht ist. Lob ist nicht ein schweigendes, denkendes Lob. Sondern zum Lob wird es erst, wenn ich zu reden oder zu singen beginne.


LOBEN BRAUCHT LIEDER

Es geht nicht um ein Gefühl der Dankbarkeit, es geht nicht um ein Gefühl der Geborgenheit. Sondern es geht um das Anstimmen von Liedern. Es ist eine gute Beschäftigung beim «Harren», die Lieder zu singen, die man auswendig kennt. Oder man holt sich das Gesangbuch hervor. Und füllt die Zeit des Harrens mit den Liedern, die man singt. Damit wird ein Raum gefüllt, der sonst von der Klage und der Angst besetzt werden kann. Das ist der Vorgang, der hier vor uns steht. Uns möchte ich ermutigen, die Lieder des Gesangbuchs für sich selbst zu entdecken. Soweit für heute morgen.



Samstag, 26. August 2023
Ulrike schreibt: Hier findet ihr Wolfgangs sechsten Impuls zu Psalm 71.

MICH STÜTZEN UND ABGESCHNITTEN WERDEN

Die Verse 6, 7 und 8 bilden eine Einheit. Wir werden uns heute Nachmittag mit dem Vers 6 beschäftigen. Ich lese die drei Verse nach der Elberfelder Übersetzung:

«Auf dich habe ich mich gestützt vom Mutterschoss an,
vom Mutterleib hast du mich entbunden;
dir gilt stets mein Lobgesang.
7 Vielen bin ich wie ein Wunder;
du aber bist meine starke Zuflucht.
8 Mein Mund ist voll von deinem Lob,
von deinem Ruhm den ganzen Tag.»


AUF WEN STÜTZE ICH MICH?

Noch einmal Vers 6: «Auf dich habe ich mich gestützt vom Mutterschoss an, vom Mutterleib hast du mich entbunden, dir gilt stets mein Lobgesang».

Bis jetzt hat David in seinem Beten in die Gegenwart und in die Zukunft gesehen. Jetzt blickt er zurück in die Vergangenheit. Der Glaube beginnt nicht heute. Da treffen wir auf eine merkwürdige Formulierung: «Auf dich habe ich mich gestützt vom Mutterleib an».

Es ist gut, wenn man sich einmal überlegt: auf wen stütze ich mich eigentlich?
Wie war das, als ich Kind war? Habe ich Geschwister gehabt? War es eher die Mutter oder eher der Vater, auf die ich mich gestützt habe? Oder war ich eher allein und habe gemerkt: ich stütze mich – und ich kann das – auch auf mich selbst? Wie ist das dann weitergegangen im Leben? Bin ich jemand, der ständig danach sucht, bewusst oder unbewusst, auf wen er sich stützen kann? Der die Menschen gleichsam daran misst, ob das jemand wäre, auf den ich mich stützen kann?


WELCHE ROLLE SPIELT ES FÜR MICH, MICH STÜTZEN ZU KÖNNEN?

Oder hat das für mich nicht einen solch grossen Stellenwert? Welche Rolle spielt in meinem Leben das sich Stützen? Das sagt einiges über einen selber aus. Nun also Davids merkwürdige Formulierung «auf dich habe ich mich gestützt vom Mutterleibe an». Ich weiss nicht, wie man sich das vorstellen kann. Ein neugeborenes Kind stützt sich noch nicht. Es hat Stütze notwendig. Obwohl: wenn man Kinder begleitet, vielleicht die eigenen Enkelkinder, dann merkt man, dass ihr Suchen, auf wen stütze ich mich am besten, unglaublich früh beginnt. Das gehört offensichtlich zu unserem Leben dazu. Und es lässt uns nicht los. Wahrscheinlich bis zum Sterben. Es gehört nicht zu den schlechten Dingen unseres Lebens, sich zu stützen. Es gehört auch zur Reife unseres Lebens, dass wir ein «Ja» dazu finden, dass wir das nötig haben. Ich habe es nötig, Menschen zu haben, auf die ich mich stützen kann.


AUTARKIE GEHÖRT NICHT ZUR SCHÖPFUNG

Der Gedanke, niemanden zu brauchen, autark zu sein, gehört nicht in die Schöpfung. Gott sagt am Anfang der Schöpfung: «Es ist nicht gut, wenn der Mensch allein bleibt» (1. Mose 2,18). Damit ist gemeint: Es ist nicht gut, wenn ein Mensch in der Idee verharrt, wenn es ihm auch vielleicht gelingt, niemanden zu brauchen. Sich also auf niemand zu stützen, die Stützen loszuwerden. Der Gedanke, ich werde reif, indem ich je länger je weniger Stützen brauche, weil ich alles selber leisten kann. Zu dem sagt Gott: Das ist nicht gut. Gott, der seine Schöpfung immer wieder ansieht und zu dem Geschaffenen sagt: «Siehe, es war gut». Und plötzlich sagt er: Da gibt es etwas in der Schöpfung, und das ist nicht gut. Das ist der Gedanke, die Vorstellung, keine Stütze zu brauchen. Damit sind wir hier bei unserem Vers. Die drei Übersetzungen sind hilfreich. Buber und Elberfelder übersetzen Vers 6: «Ich habe mich gestützt auf Gott». Samson Raphael Hirsch ist vorsichtiger und sagt: «Auf dich wurde ich von Geburt an gestützt». Für Hirsch ist es also nicht etwas, was David selber macht. Sondern andere nehmen David wie in die Schule und vermitteln ihm die Schau, sich auf Gott zu stützen.

Es kann dabei auch dramatisch zugehen. Wir wissen von Davids Kinderzeit kaum etwas, aber eines wissen wir. Samuel sucht die Familie Isais auf, weil er von Gott her weiss, einer von dessen Söhnen wird König werden (1. Samuel 16). David ist derjenige, der von der ganzen Familie vergessen wird. Offensichtlich hat er nicht zum Kreis der Familie gehört, die untereinander eine Gemeinschaft bilden. Aber: wir wissen nicht genau, was es ist. Man kann diesen Vers 6 so lesen, dass andere David gelehrt haben, sich auf Gott zu stützen. Das kann positiv sein – jemand hat ihn in eine Gottesbeziehung geführt, und durch diese Einführung hat er gelernt, sich auf Gott zu verlassen. Es kann auch negativ, destruktiv sein, dass alle, auf die David sich hätte stützen können, ausgefallen sind. Und am Ende blieb Gott allein, auf den er sich nur noch hat stützen können. Auch das kommt vor. Ein Leben mit vielen Enttäuschungen: ich verlasse mich auf den, auf den, auf den. Und ich merke, das ist alles nicht gut.


WELCHE ERFAHRUNGEN HABE ICH GEMACHT?

Die Anregung dazu: wer möchte, kann einmal der eigenen Geschichte nachspüren. Welche Rolle spielt das sich Stützen auf Menschen und das sich Stützen auf Gott in meiner Geschichte und in meinem Charakter, in meiner Anlage? Ist das etwas Schönes für mich? Sind gute Erfahrungen damit verbunden? Oder halte ich es für etwas Beschämendes, dass ich mich stützen muss, Hilfe in Anspruch nehmen muss? Wie ist das bei mir? Habe ich gelernt, mich auf Gott zu stützen? Dass man an Gott glaubt, heisst eben noch nicht, dass man gelernt hat, sich auf Gott zu stützen. Also, Elberfelder «Auf dich habe ich mich gestützt vom Mutterschoss an.» Hirsch: «Auf dich ward ich von Geburt an gestützt.»

Der zweite Satzteil in Vers 6 heisst «vom Mutterleib hast du mich entbunden». Das Wort, das mit «entbunden» übersetzt wird, kommt im Alten Testament und überhaupt im Hebräischen ein einziges Mal vor. Es gibt eine Reihe solcher Worte, die nur einmal vorkommen. Dann ist es schwierig herauszufinden, was dieses Wort meint. Eine der Möglichkeiten meint den Vorgang, mit dem die Hebamme das Kind entbindet. In anderen Zusammenhängen heisst das Wort «abschneiden». Du hast mich von Geburt an, vom Mutterschoss an, abgeschnitten. Die Grammatik lässt es nicht ganz deutlich werden: Denkt David hier an einen einmaligen Vorgang? Du hast mich damals, bei der Geburt, abgeschnitten? War da keine Hebamme da? Hat er gemeint, Gott macht das?

Oder ist das Entbundenwerden, das heisst das Abschneiden aus dem körperlichen Zusammenhang zwischen Mutter und Kind, ist das so etwas wie ein Grundvorgang, der sich im Leben immer wiederholt? Ein Vorgang, der auch mit unserem Reifwerden zu tun hat?


ABGESCHNITTENWERDEN ALS REIFUNGSSCHRITT

Ich finde mich in Zusammenhängen, und plötzlich wird abgeschnitten. Das bringt Tränen mit sich, die Sehnsucht, dass es doch bleiben möchte, wie es ist. Aber es bringt auch Reichtum und Erfahrungen mit sich. Ich mache mich in neue Reifungsdimensionen des Lebens hinein auf. Auf jeden Fall sagt David hier: «Du, Gott, warst immer dabei». Ich selbst lese es als einen sich wiederholenden Vorgang: Vom Mutterleib an warst du derjenige, der mich immer wieder abgeschnitten und damit befreit hat in neue Stufen und Zusammenhänge, damit mein Leben reif werden kann.


GOTT LOBEN – IM BLICK AUF IHN

Und nun das dritte. Die Elberfelder Übersetzung sagt «Dir gilt stets mein Lobgesang». Ebenso bei Martin Buber: «Dir stets gilt mein Preisen.» Wenn man es auf hebräisch liest, kommt man kaum auf die Idee, es anders zu übersetzen. Das Wort Lobpreis heisst auf hebräisch « Tehilah». Die Psalmen heissen auf hebräisch תְּהִלִּים Tehilim, also Lobpreisungen. David sagt: In meinem Inneren wohnt der Lobgesang, der dir Gott, gilt, die ganze Zeit. Diese Übersetzung liegt nahe.

Nun merken wir, dass Samson Raphael Hirsch anders übersetzt. «Durch dich entwickelte sich stets, was rühmlich an mir wurde». Wir fassen «mein Lobgesang» von unserer Gewohnheit her als «meinen Lobgesang an Gott» auf. Gott ist der Gegenstand des Lobes. Ich bin der, der aktiv ist und Gott lobt.


GOTT LOBEN – IM BLICK AUF MICH

Samson Raphael Hirsch aber sagt mit Recht – man kann es tatsächlich so übersetzen – es gibt auch einen Lobgesang oder einen Ruhm, der mich betrifft. Es gibt in meinem Leben Dinge, derer ich mich rühmen kann. Auf die ich dankbar, stolz sein kann, weil sie von Gott kommen. Mir gehen die Augen dafür auf, welchen Reichtum Gott in mein Leben hineingelegt hat. Vielleicht hat David – so deutet es vermutlich Samson Raphael Hirsch – auf dem Weg der Reifung entdeckt, wie reich sein Leben von Gott her ist. Sein Charakter, seine Möglichkeiten, seine Führungsqualitäten. Das darf man sehen. Vielleicht ist das Wort «rühmen» ungeschickt. Wir sind so erzogen, dass man sich nicht selber rühmt. Aber darum geht es jetzt nicht. Es geht darum, dass ich zur Kenntnis nehmen darf, wie viel an Wunderbarem von Gott her in meinem Leben liegt. Ich darf dem Raum geben und ich darf dem – das meint unser Vers hier – ich darf dem auch Worte geben.

«Durch dich entwickelte sich stets, was rühmlich an mir wurde». So übersetzt also Samson Raphael Hirsch. Ich würde am liebsten beide Übersetzungsmöglichkeiten zu einer Einheit zusammenbinden. Vielleicht gehören sie enger zusammen als man denkt. Ich rühme Gott, denn es gibt sehr viel, wofür ich ihm danke. Was mir meine Sinne zeigen an Grösse und Schönheit Gottes. Ich danke ihm für die Hilfe, für die Menschen, für die Begegnungen. Es ist schön, wenn mein Leben voll des Lobens wird. «Dir gilt stets mein Lobgesang», übersetzt die Elberfelder. Wenn das zu einem «stets» wird, dass mich dieses Lob Gottes erfüllt.


BEIDES GEHÖRT ZUSAMMEN

Aber vielleicht gehört das andere mit dazu: Wo ich entdecke, wer Gott ist und wie reich er ist, entdecke ich hoffentlich auch, wie reich ich bin durch das, was er an mir tut. Nicht: Gott ist reich und ich bin arm. Das gibt es in einer verhängnisvollen christlichen Erziehung auch. Du musst ganz, ganz arm sein, damit Gott reich ist. David und die Bibel sprechen von etwas anderem: Weil Gott reich ist, darum bist du reich. Schau deinen Reichtum an und lass dein Inneres und auch deinen Mund voll werden. Denn dein Reichtum ist dir von Gott gegeben.

Wir haben heute Morgen einen Liedvers von Paul Gerhardt zitiert, das Weihnachtslied «Ich steh an deiner Krippen hier». Im ersten Vers steht etwas ganz ähnliches, wie das, was wir hier zu verstehen suchen. «Ich steh an deiner Krippen hier, o Jesu, du mein Leben. Ich komme bring und schenke dir, was du mir hast gegeben». Ich habe etwas, was mich veranlasst zu kommen, was ich bringen und schenken kann. Ich habe etwas, wofür ich mich rühmen kann, weil es zum Reichtum meines Lebens gehört. Aber das, was ich da ihm bringe, ist das, was Er mir gegeben hat. Das ist kein Gegensatz. Soweit zu unserem Vers 6. Morgen Vormittag fahren wir mit Vers 7 und 8 weiter.


Freitag, 25. August 2023
Ulrike schreibt: Nach einem vollen Tag in der Kirchgemeinde gestern bin ich heute früh zurück ins Tessin gefahren. Wenn ich alleine fahre, fahre ich gern früh am Morgen los, heisst gegen 4 Uhr. Dann sind die Strassen noch leer, es fährt sich entspannt und macht Spass. Bei meiner Abfahrt aus Liestal hat es aufgehört, in Strömen zu regnen und zu gewittern. Ich bin durch den Gotthard gefahren, habe in Bellinzona gefrühstückt. Die Stadt gefällt mir einfach unglaublich gut.

In Ascona habe ich dann wieder einen Abstecher an den See ins Bagno Pubblico in Ascona gemacht. Denn heute ist ersteinmal der letzte heisse Tag im Tessin. Den Morgen habe ich fürs Schwimmen und im Schatten liegen genutzt. Jetzt am Abend kühlt es in Rasa bereits ab, es regnet und gewittert. ... Jetzt, nach 21 Uhr, gewittert es im Sekundentakt, es sind unglaubliche Bilder, und es fällt Hagel in grossen Körnern. Laut Wetterkarte haben die Körner am Lago Maggiore und bis hin nach Rasa einen Durchmesser von 7 cm. Es ist verrückt.

Morgen Vormittag endet die erste 5-tägige Einkehr mit einem Gottesdienst. Am Abend kommen dann die Teilnehmerinnen und Teilnehmer für die zweite 5-tägige Einkehr. Ich werde - voraussichtlich - morgen einen weiteren Impuls von Wolfgang verschriftlichen und hier zur Verfügung stellen.


Mittwoch, 23. August 2023
Ulrike schreibt: Und hier ist Wolfgangs vierter Impuls zu Psalm 71, Vers 3 und 4. Es ist spannend, am Beispiel Davids dem eigenen Reifen nachzudenken:


REIFUNGSSCHRITTE GEHEN

Wir kommen heute Nachmittag zu den Versen 3 und 4. Älter werden heisst im Idealfall reifer werden. Leider ist das nicht immer der Fall. Es gibt Menschen, die sehr jung sind und in mancher Weise reifer sind als ältere. Das Reiferwerden stellt sich nicht von allein ein. Manches kommt scheinbar von allein, manches auch nicht.

Wir werden bei David in Psalm 71 einiges beobachten, bei dem man vermuten kann, dass es mit seinem Reiferwerden zu tun hat. Reiferwerden geschieht prozesshaft in verschiedenen Stufen. Ein Fünfzehnjähriger muss nicht reif werden, damit er zum 75jährigen wird. Er soll aber reifen, damit er 16 oder 17 oder 18 Jahre wird. Reif werden ist also nichts Festes, nichts Gleiches in den verschiedenen Altersstufen. Wer älter geworden ist, der weiss, es gab vielleicht eine Zeit, da war ich reif für mein Alter. Und plötzlich bricht eine neue Lebensphase an und ich entdecke unreife Seiten an mir, die ich bis jetzt gar nicht bemerkt habe. Es war auch gar nicht nötig, dass ich sie bemerke. Die Aufgabe der Reifung stellt sich nicht auf einmal von heute auf morgen, sondern mehr oder weniger stufenweise von einem Alter bis zum nächsten.

Eine Hilfe kann sein, dass man sich selbst einmal überlegt, welche Schritte der Reifung ich mir für mich wünsche. Ich glaube, dass man manches von allein weiss, und das ist auch gut so. Denn dann kann man es wissen, bevor es einem die anderen sagen.


ÄNGSTE WAHRNEHMEN UND AUSSPRECHEN

Wir werden anhand unseres Psalms noch einige Beobachtungen machen und Kriterien finden. Nach meiner Beobachtung gehört zur Reifung bei David, dass er lernt, seine Ängste zu sehen und auch auszusprechen. Er versucht nicht, stark zu sein. Vielmehr zeigt sich die Reifung darin, dass er seine Feinde, so wie er sie nennt, sieht, dass er sie benennen kann, unterscheiden kann und dass er nicht selber zugreift, sondern Gott darum bittet, dass er ihnen entgehen kann. «Lass mich entrinnen“, übersetzt Samson Raphael Hirsch in Vers 4, «mein Gott, lass mich entrinnen». Das ist ein wunderschönes Wort.

Man muss nicht in alle Auseinandersetzungen hinein und dann darin Sieger werden. Sondern man kann hoffen, dass man in manchen Auseinandersetzungen entrinnen kann. Das ist kein Zeichen der Schwäche. Es kann ein Zeichen der Schwäche sein, es muss aber keines sein. Es entspricht vielleicht auch nicht jedem Alter. Ich meine, hier bei David ist es ein Zeichen seiner Reife. «Mein Gott lass mich entrinnen.» Buber hat ebenfalls das Wort «entrinnen». Elberfelder sagt «Gott befreie mich.» Das Wort «entrinnen» ist vom Hebräischen her das päzisere.

Nun kommen drei Ausdrücke für diejenigen Menschen, denen David entrinnen möchte. Wo er Gott um sein Entrinnen bittet. Das ist ein Dreiklang, aber es ist wahrscheinlich so zu lesen, dass das erste Wort ein Oberbegriff ist. «Lass mich entrinnen von den Gottlosen, Gesetzlosen, Frevlern – so wird hier der erste Begriff übersetzt. Der Ausdruck, der da steht ist ein Hauptbegriff für jemanden, der böse ist. Kein sehr präzisier Begriff, er sagt nicht in welche Richtung das geht. Aber er sagt, es gibt Menschen, die im Umgang mit mir, im Verhältnis zu mir, böse sind.

Und nun teilt David diese Bösen in zwei Gruppen. Sie lassen sich unterscheiden. Der hebräische Text ist sehr präzis. Er sagt, das eine sind Menschen, die Macht haben, Macht über mich, und die dazu neigen, ihre Macht über mich zu missbrauchen. Das ist eine Form der Bosheit. Ich denke, dass David hier Konkretes vor Augen hat, obwohl es im Psalm selbst nicht beschrieben wird.

Die zweite Gruppe wird durch ein Wort beschrieben, das so nur einmal im Alten Testament vorkommt. Darum rätselt man, was es genau heisst. Das Wort hat mit Säure oder mit Gift zu tun. Es wird zum Beispiel gebraucht, wenn man Sauerteig dem Mehl zufügt und der ganze Teig durchsäuert wird. Es gibt Menschen, die verstehen es, Gift oder Treibmittel oder Säuerungsmittel in eine Situation hineinzutragen, so dass es eine Situation von innen her durchwirkt. «Befreie mich vor denen, die meine Situation durchsäuern.» Der Vorgang ist anschaulich.


LASS MICH ENTRINNEN

Zur Reife des David gehört, dass er die Situation sieht, dass er sie benennt, und dass er daraus eine klare Bitte formt. Er weiss, was er nötig hat und er sagt Gott: Das ist es, was ich brauche. Ich kann es alleine nicht. Ich stecke drin und kann dem allein nicht entgehen. Aber du kannst es. Vielleicht gehört es zur Reife, dass er nicht sagt, «vernichte die Feinde». Das sagt David an anderen Stellen. Aber hier sagt er «Lass mich entrinnen». Soweit zu Vers 4. Und man mag überlegen, woher man das kennt. Woher kenne ich die Machtvollen über mir, die dazu neigen, Macht zu missbrauchen? Woher kenne ich Menschen oder Einflüsse, die mein Leben durchsäuern. Und ich möchte entrinnen. Ich denke, dass es eine ausserordentlich gute Bitte ist.

Und jetzt kommen wir zu Vers 3. Vers 3 und Vers 4 gehören zusammen. Das ist wieder wie im Parallelismus: es sind zwei Aussagen, die einander spiegeln. Sie sagen dasselbe, aber von zwei verschiedenen Seiten aus. Darum ist unser Vers 3 spannend. David hat in seinem Leben eine lange Zeit auf der Flucht vor Saul gelebt. Man kann sich das gar nicht genug deutlich machen. David ist berufen, er ist von Gott gesalbt, er hat – wenn man so will – Erfolg und die Menschen wissen intuitiv, das ist der Mensch, auf dem die Hand Gottes ruht. Und wozu führt das? Es führt dazu, dass David über Jahre hinweg ein Leben auf der Flucht leben muss. Von Gott berufen und erwählt sein, heisst nicht, dass man von heute auf morgen in den Palast einzieht. Es gibt zunächst keinen Palast für David. Was es gibt, das sind die Felsen und die Höhlen.


FELSEN UND HÖHLEN

Wer die Wüste Juda ein bisschen kennt, vielleicht die Oase Ein Gedi, der sieht das Wasser herunterkommen. Und dann weiss man, wie sich oben die Täler und die Schluchten und die Felsen aufmachen. Dort versteckt sich David. Saul verfolgt David, so lange er irgendwie kann. Und David kann sich nicht sicher sein. Er ist sich nicht sicher in Bezug auf die Dorfbewohner, denen er hilft. Da fragt er einmal, wenn dann Saul kommt, werden sie mich an Saul ausliefern oder werden sie mich nicht ausliefern? Gott antwortet, sie werden dich ausliefern. Also muss er weiter. Der Erwählte ist der Flüchtende. Auch das ist eine Zeit, in der David reif wird. Er wird nicht sein Leben lang ein Flüchtender bleiben. Aber er wird Reifungsschritte gehen müssen, die er offensichtlich nur in dieser Situation gehen kann. Und damit bekommen wir es nun mit Vers 3 zu tun. David spricht in der Elberfelder Übersetzung: «Sei mir ein Fels zur Wohnung». Buber übersetzt: «Werde mir zum Felsenhag». Und Samson Raphael Hirsch sagt: «Werde mir zu einer Wohn-Felshöhle».

Die Vorstellung von einer Felshöhle ist für mich keine Vorstellung von Geborgenheit. Das ist nicht mein Leben, das kenne ich so nicht. Aber offensichtlich ist das für David so. Er kennt sich in der Felslandschaft, in den Felshöhlen gut aus. Es kommen in Vers 3 zwei Ausdrücke für Fels vor. Einmal der allgemeine Ausdruck für Felsen, ein zweiter Ausdruck meint die spitzen Felskanten und Ecken, die man nicht gut mit dem Militär und mit ungeübten Leuten überwinden kann. Da ist David schneller und kann sich in Sicherheit bringen. Und es gibt einen dritten Ausdruck, das heisst, «meine Burg».


GOTT, MEINE FELSWOHNUNG

Burg heisst hier auf hebräisch Mazedah. Man denkt an Massada. Das ist der Berg, der sehr schwer zu ersteigen ist. Oben hat man Ruhe, einen weiten Platz, den man leicht verteidigen kann, wo man wohnen kann. Wo man Bewegungsfreiheit hat. David gebraucht diese Bilder, und sagt nun nicht: Herr, schenke du mir eine Felswohnung. Er sagt auch nicht: Schenke du mir immer im richtigen Moment solche spitzen nicht überwindbaren Felsen, damit ich dem Saul entweichen kann. Er sagt auch nicht: Schenke du mir eine Felsburg.

Das sagt er in anderen Zusammenhängen durchaus, aber hier sagt er: Werde DU, Gott, mir zur Felshöhle. Werde du mir zum Fels. Werde du mir zur Burg. Damit sind wir wieder dort, womit wir gestern und heute begonnen haben. Bitte ich von Gott ein «etwas», eine Felswohnung, eine Burg, einen Felszacken? Oder werden mir Fels, Burg und Felszacken zum Bild für IHN? Und ich gehe den Reifungsschritt, nicht mehr «etwas» zu bitten, sondern um IHN zu bitten. Sei DU es mir.

Ich sage es als einen Satz zum eigenen Überlegen: Was ist mit dem, dem Gott zur Felswohnung wird? Ihr findet den Ausdruck bei Samson Raphael Hirsch. Wem Gott zu einer Wohn-Felshöhle wird, der braucht keine Wohn-Felshöhle mehr. Wem Gott zur Burg wohnt, der braucht keine Burg mehr. Werde du mir zu einer Wohn-Felshöhle, zu der ich stets hinkommen kann. Eine reale Wohn-Felshöhle, die ist an einem bestimmten geografischen Ort. Je nachdem, wo ich bin, kann ich sie im Moment gar nicht erreichen. Wenn die im Tessin ist, weil es da so schön ist, und ich bin in der Nord-Schweiz, dann kann ich nicht in jedem Moment dahin flüchten. Dass Gott mir zur Wohn-Felshöhle wird, das aber ist an jedem Ort möglich.


GOTT HAT MEINE RETTUNG GEBOTEN

Der Psalmvers fügt in Vers 3 hinzu: «Geboten hast du, mich zu befreien». Es gehört zur Reife und zur Hoffnung und zur Gewissheit des David: Ich muss Gott nicht gross darum bitten, dass er mir das schenkt. Dass er mich befreit. Sondern ich gehe davon aus und darf davon ausgehen, dass Gott geboten hat, dass ich errettet werde. Mitten in einer Zeit, in der David verfolgt wird und in der die Verfolgung scheinbar nicht zu Ende geht, lebt er davon, dass er weiss: es gibt ein Gebot Gottes, mich zu befreien. Denn mein Fels und meine Burg, das bist du.

Mir will scheinen, dass in diesem dritten Vers David den entscheidenden Schritt, von dem wir heute morgen und gestern gesprochen haben, gegangen ist. Nicht «etwas» von Gott zu erbitten. Sondern das «Etwas», das er braucht, in Gott selbst zu finden. Ich bitte um IHN, nicht mehr um «etwas» von IHM. Ich habe Vorstellungen von dem vielen «etwas», nach dem ich mich sehne, von dem ich träume. Vielleicht richten sich die Sehnsüchte meines Lebens von Kind an darauf. Und ich ahne, dass ich all das finde, das vielleicht nichts davon verloren geht. Aber ich finde es in IHM. Werde DU mir dazu.

Auf dem Tisch liegen zwei Fotografien. Es sind kleine Häuser, die einen Schutzraum bilden. Ich wollte euch kein Bild, keine Fotografie von einer Felshöhle mitgeben. Denn ich glaube nicht, dass sie in uns ein Gefühl von Geborgenheit und Schutz auslösen. Aber ich habe zwei Bilder. Das eine Bild ist das einer Berghütte, vielleicht ist es ein bisschen zu romantisch. Es ist für diejenigen, die etwas damit anfangen können. Und dazu eine zweite Hütte. Die ist aus Felsen und steht im Felsen. Vielleicht kann es eine Aufgabe sein, beide Bilder nebeneinander anzusehen und zu fragen: wo liegt der Unterschied? Wie geht es mir im einen, wie geht es mir im anderen? Wann habe ich das eine nötig und wann brauche ich vielleicht das andere? Brauche ich überhaupt beides? Habe ich genug mit einem? Wird Gott mir vielleicht zu beidem? [Die beiden Fotos können wir hier leider nicht verlinken.]


Dienstag, 22. August 2023
Ulrike schreibt: Gestern haben die Schweige-Exerzitien in Rasa begonnen. Wolfgang und ich sind seit langer Zeit einmal wieder über den Gotthard Pass ins Tessin gefahren - also nicht durch den Tunnel. Und dann auf kleinen Strassen statt auf der Autobahn weiter nach Bellinzona. Da sind wir durch die Altstadt spaziert, mit allem, was dazu gehört. Ich war vorher nie in Bellinzona. Dann sind wir wiederum auf kleinen Strassen nach Intragna gefahren und haben kurz vorher sehr romantisch zu Mittag gegessen. In einem Grotto auf einer kleinen Anhöhe mit leichtem Wind und im Schatten grosser Bäume.

In Rasa sind wir 25 Einkehrende. Ich selbst werde morgen ersteinmal nach Liestal zurückkehren - für pfarramtliche Aufgaben. Es ist unpraktisch, aber ich versüsse mir die Rückkehr mit einem Sprung in den Lago Maggiore. Ich muss ja eh an Ascona vorbeifahren. Hier könnt ihr Wolfgangs Impulse zu Psalm 71 - in Auswahl und gekürzt - mitlesen. Wolfgang wird sie auch als Audio-Dateien zum Nachhören zur Verfügung stellen.


Zur Einführung in die Exerzitien:
DIE GEGENWART GOTTES

Wir werden jeden Impuls mit etwa drei, vier Minuten gemeinsamer Stille beginnen. Das hat folgenden Grund. Unser geistliches Leben, auch unser Hören auf den Text dieses Psalms, hat seinen Sinn darin, dass Gott gegengwärtig ist. Wir hören nicht auf etwas, sondern wir hören auf IHN.

Nun ist das mit der Gegenwart Gottes für manche ein Problem oder eine Unsicherheit. Denn es ist die Frage: Ist ER denn da? Das begegnet uns immer wieder, dass Menschen darunter leiden, von der Gegenwart Gottes nichts oder kaum etwas zu spüren. Ab und zu gibt es dann ein Erlebnis, allein oder in Gemeinschaft, in der dem Einzelnen ins Bewusstsein dringt, dass Gott da ist. Das führt dazu, dass man darum bittet, dass Gott doch kommen möge.

Wie ist das aber? Hier ist – wie bei so vielem – gefordert, den Text der Bibel ganz ernst zu nehmen, genau zu lesen. Jesus hat am Ende, bei Matthäus 28, versprochen: «Siehe, ich bin bei euch alle Tage, bis an das Ende der Welt.» Dass ER gegenwärtig ist, und zwar in uns, das sagt Paulus an vielen Stellen. «Siehe, ich lebe, aber nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir» (Galater 2,20). Dass ER in uns lebt, drückt er in manchen Aussagen aus, im Kolosserbrief, im Epheserbrief und so weiter. Das dichteste Kapitel, in dem Jesus selbst darüber spricht, sind wohl die Abschiedsreden im Johannesevangelium, Kapitel 14,15 und 16. Wahrscheinlich ist das Bild vom Weinstock am meisten bekannt. Jesus sagt: «Ihr bleibt in mir, und ich bleibe in euch» (Johannes 15,4). Jesus redet davon als einer Grundgegebenheit, wie wir mit ihm leben, wie wir mit ihm umgehen und auf ihn hören.

Gottes Gegenwart, Jesu Gegenwart bei uns, ist also kein Gegenstand der Bitte. Sondern sie ist ein, wenn man so will, ein Gegenstand des Dankens. Ich danke Gott, ich danke Jesus, dass ER da ist. Sich das deutlich zu machen und daran festzuhalten und davon zu leben, ist für manche von uns wahrscheinlich gar nicht so einfach.

Wir sind daran gewöhnt, dass man die Gegenwart Gottes erst erbitten sollte. Es ist aber genau umgekehrt. Es liegt hinten ein Blatt auf, das müsst ihr nicht jetzt nehmen, aber ihr könnt es nachher doch an euch nehmen. Ein Blatt mit der Überschrift «Die Gegenwart Gottes». Versucht euch, einmal deutlich zu machen, wo und wie in der Bibel über die Gegenwart Gottes geredet wird. Die Gegenwart Gottes ist kein Gegenstand unseres Bittens. Sondern sie ist sein Versprechen und damit Gegenstand unseres Dankens.

Was aber haben wir dann zu bitten? Haben wir nichts zu bitten? Doch. Wir haben zu bitten, dass unser Bewusstsein für SEINE Gegenwart geöffnet wird. Nicht die Gegenwart ist es, die uns fehlt. Sondern unsere Sinne, unser Bewusstsein sind oft genug dafür verschlossen. Wir leben so dahin, als ob ER nicht da wäre. Darum darf ich bitten «Herr, öffne meine Sinne, damit ich dich sehen kann. Öffne mein Empfinden, dass ich es begreife und dass es mich ergreift, dass du da bist.»

Das ist eine Umkehrung von dem, was manchen Christinnen und Christen als normal erscheint. So möchte ich gern, dass wir die Impulse zu Psalm 71 damit beginnen, uns gemeinsam, drei, vier Minuten Zeit zu nehmen und, soweit es an uns liegt, uns bewusst zu machen, dass ER da ist. Das kann dadurch geschehen, dass ich innerlich still Gott danke: «Danke, du bist da.» Oder dass ich ein Bibelwort, das von Gottes Da-Sein spricht, leise in mir vorsage oder wiederhole. Es gibt auch eine ganze Reihe von Liedbuchversen, die davon reden. Ich kann innerlich einen solchen Vers singen. Die Form ist nicht entscheidend. Das Entscheidende ist, ob es mir zur Hilfe wird, dass die Gegenwart Gottes in meinem Bewusstsein ankommt und ich für sie geöffnet werde.

Nach drei, vier Minuten kommen wir zum eigentlichen Impuls unseres Psalms 71. Ist die Aufgabe klar? Gibt es noch eine Rückfrage? Gut. Wir beginnen die Minuten der Stille mit dem Kanon: «Schweige und höre. Neige deines Herzens Ohr, suche den Frieden.»


NICHT ETWAS SUCHEN, SONDERN IHN
Das ist der dritte Impuls von Dienstagmorgen, 22. August 2023

Wir setzen noch einmal mit dem ein, was wir uns gestern vor Augen gehalten haben. Es geht beim Beten darum, in die Beziehung zwischen Gott und uns einzutreten. Wir haben mit dem Wort aus Psalm 27 begonnen, in dem es darum geht, Gottes Antlitz zu suchen. Das Antlitz meint IHN, nicht aber das, was von IHM kommt. Also nicht «etwas» von IHM, sondern IHN. Das klingt nach einem schroffen Gegensatz. Und manchmal ist es auch ganz gut, wenn man das in Gegensatz setzt. Aber wir werden an unserem Psalm 71 sehen und das auch an unserem Leben entdecken: ein schroffer Gegensatz ist es gewiss nicht: Wenn ich einen Menschen liebe, sein Antlitz suche, dann wird es eine Beziehung sein, in der ich für den andern so manches tue. Und der andere wird für mich manches tun. Es gibt also vieles, was mir durch den andern entgegenkommt. Und darum ist es auch legitim, den andern zu bitten und zu sagen: «Du, das wünsche ich mir. Du, das habe ich nötig, ich brauche das. Und ich bitte dich darum, mir dabei zu helfen. Oder es mir zu schenken, wenn du es kannst.» Die Bitte um etwas ist nicht ausgeschlossen. Abe sie überdeckt nicht, dass ich das Antlitz des anderen suche.

Gefährlich würde es werden, wenn die beiden ein Gegensatz wären. Das «Antlitz suchen», ohne etwas zu geben oder zu bekommen. Oder umgekehrt: etwas zu geben, etwas zu bekommen oder beim andern zu suchen, ohne Interesse an seinem Antlitz zu haben. Oder ein Interesse an seinem Antlitz – also an ihm als Person – nur vorzutäuschen. Wenn ich vortäusche, dass ich den anderen meine, wird sich bald einmal herausstellen, dass ich ja nur «etwas» suche. Und wer nur etwas sucht, sucht nicht den andern, sondern er sucht sich selbst. Ich will etwas, damit meine eigene Persönlichkeit stark wird, ausgeprägt wird. Ich will etwas, damit ich davon erzählen kann, was mir alles zuteil wird. Das kann perfide sein. Ich kann zum Beispiel von geistlichen Erfahrungen erzählen und dabei nur mich selbst meinen. Was Gott mir alles geschenkt hat. Wichtig bin dann alleine ich.

Hier liegt nach meinem Urteil eine tiefe Gefährdung, auch in der christlichen Gebetstradition und der Gebetsübung und in mancher Gebetsanleitung. Ich habe sie gestern schon erwähnt: die Rede vom «vollmächtigen Gebet». Man überlege sich einmal, was das heisst. Was heisst es, wenn ich zu meiner Ulrike sagen würde: «Du, ich habe einen vollmächtigen Umgang mit dir gelernt.» Das würde ja heissen, ich habe einen Trick gefunden, dass ich alles, was ich will, von dir kriege. Dass du gar nicht mehr anders kannst, als mir alles zu geben. Ich habe dich so unter Druck gesetzt. Das geht. Aber dann suche ich gewiss nicht den andern. Ich suche mich.
Und so ist mir die Rede vom vollmächtigen Gebet zutiefst suspekt. Die Frage nach dem «erhörlichen» Gebet: Wie muss ich beten, damit mein Gebet erhört wird? Ich glaube, es ist deutlich geworden.


SAGEN, WAS MAN BRAUCHT UND DABEI GOTT MEINEN

In unserem Psalm wird uns beides begegnen. Es wird uns begegnen, dass David offen Gott seine Not bekennt, seine Wünsche, und dazu steht, was er braucht. Und es wird gleichzeitig deutlich, dass er nicht sich, sondern IHN sucht. Und dass er seine Hilfe nicht in «etwas» sucht, was er von Gott bekommen kann, sondern dass dieses Etwas zutiefst Gott selbst ist. Ich bitte euch beim eigenen Lesen sorgsam hinzuhören – es hängt zum Teil auch an den Übersetzungen, die einen in die Irre führen können. Wie formuliert David seine Bitten? Diesen Unterschied behalten wir im Auge.

Wir haben gestern mit Vers 1 begonnen: «In dir, Jahwe, bin ich geborgen.» David spricht also am Anfang nicht von einer Geborgenheit, die Gott ihm gibt, sondern die Gott selber «ist». In dir, bin ich geborgen. Also nicht, du hast mir ein Waldhüttchen gegeben, und wenn ich mich dorthin zurückziehe, dann bin ich geborgen und denke mit Freundlichkeit an dich, weil du mir so etwas geschenkt hast. Das darf auch sein. Wunderschön, wenn einem ein Waldhüttchen geschenkt ist. Aber der Psalm beginnt mit dem «Du», das Gott dem Beter ist. [...]


GERECHTIGKEIT ALS TUN

Wir lesen den zweiten Vers und sehen die Übersetzungen an.
«Durch deine Gerechtigkeit rettest du mich und lässt mich entkommen.
Neige dein Ohr zu mir und hilf mir.» (Psalm 71,2)

Die Elberfelder sagt «in deiner Gerechtigkeit». Tatsächlich steht hier das Wort «in», aber das Wort «in» auf hebräisch, übrigens auch auf griechisch, heisst oft auch «durch». Also kann es auch instrumental «durch deine Gerechtigkeit» meinen. So in etwa macht das Samson Raphael Hirsch. Er übersetzt «mit deiner Liebesgerechtigkeit wirst du mich retten». Das Wort, das hier steht, heisst auf hebräisch eindeutig «Gerechtigkeit». Allerdings: Gerechtigkeit ist für unser Hören zunächst eine Charaktereigenschaft. Wir bezeichnen einen Menschen von seinem Wesen her als gerecht.


WAS TUT ER DENN?

Das hebräische Wort meint entfernt sicher auch eine Eigenschaft. Aber vor allem meint es das Handeln eines Menschen, die konkreten Taten des Menschen. Es gibt keine Gerechtigkeit im Menschen als Eigenschaft, sofern sie nicht aussen, an seinen gerechten Taten auch ablesbar wird. So auch bei Gott. Wenn Gott gerecht ist, dann fragt der Hebräer: Ja, was tut er denn?

Es kann ja sein, dass jemand vom Charakter her gerecht zu sein scheint. Aber an seinen Taten sieht man es nicht. Martin Buber übersetzt dieses Wort Gerechtigkeit fast durchgängig mit dem Begriff Wahrheit. Ich selbst verstehe nicht, wie Buber hier auf den Begriff Wahrheit kommt. Aber ich lasse das stehen. Vers 2 beginnt also im hebräischen Text mit «durch deine gerechten Taten». Oder mit Samson Raphael Hirsch «durch deine Liebesgerechtigkeit rettest du mich und lässt mich entwischen». Da merkt man, was David sich vorstellt und sich wünscht.


GOTT HÖRT HIN

Interessant ist, dass David keine Bitte formuliert. Vielmehr spricht er aus, was Gott tatsächlich tun wird: «in deiner Gerechtigkeit rettest du mich». Nun kommt auch in Vers 2 wieder der Parallelismus dazu. Der ist eigenartig. Er heisst nämlich: «neige dein Ohr zu mir». Ich mache mir deutlich, dass es ein liebendes Handeln von Gottes Gerechtigkeit auch mir gegenüber nur dort gibt, wo ER auch auf mich hört. Das ist auch unter uns Menschen so.
Es gibt Beziehungen, da meint der eine, er würde für den anderen viele helfende Dinge tun. Aber er hört überhaupt nicht auf ihn. Ob der andere das überhaupt will und wie er es möchte. Oder er nicht vielleicht ganz anderes nötig hätte. Der eine meint ohne Gespräch zu wissen, was dem anderen nötig ist. Wer so handelt, übt Macht über den anderen aus. Macht in der Gestalt des Helfen-wollens. Ich finde bemerkenswert, dass David das hier auch Gott gegenüber zusammenbindet.

«Durch deine Gerechtigkeit rettest du mich und lässt mich entkommen.
Neige dein Ohr zu mir und hilf mir.» (Vers 2)

Die rettende Gerechtigkeit Gottes ist eine, die aus dem Gespräch Gottes mit uns kommt.
Die nicht als ein Machtmittel über uns daher fährt. Soweit zu Vers 1 und Vers 2.

Es waren eine ganze Reihe von Beobachtungen und Gedanken. Ich rate euch, dass ihr versucht innerlich dort stehen zu bleiben, wo ihr den Eindruck habt, dass Gott gleichsam den Finger drauflegt. Den Finger auf euren Charakter, auf euren Umgang mit Gott, vielleicht auch auf euren Umgang mit anderen Menschen. Oder auf den Umgang anderer Menschen mit euch, wo ihr empfindlich seid. Jede von euch wird wissen, worum es für ihn oder für sie geht und ich würde euch raten, bleibt zunächst bei diesem einen.


Mittwoch, 16. August 2023
Ulrike schreibt: Nun ist der Alltag wieder eingekehrt. Diese Woche beginnen die Gesprächskreise in unserer Kirchgemeinde wieder. Heute am späten Nachmittag trifft sich zum Beispiel die Matthäusgruppe - ehemals Kreis für Menschen mit Depression - und am Abend das monatliche Die Bibel lesen. Ich freue mich unsere Leute wiederzusehen.

Übermorgen feiere ich zwei Abdankungen (Beerdigung von Gemeindemitgliedern) und am Sonntag um 18 Uhr starten wir wieder mit der Abendfeier. Herzliche Einladung in die Stadtkirche Liestal! Ich bereite für die Abendfeier kurze biblische Impulse zur Geschichte des 'Kämmerers' aus Apostelgeschichte 8 vor. Wer sich erinnert: Ende Juli habe ich über die Geschichte gepredigt (siehe die Aufnahme unten). Diesmal will ich den Aspekt, dass einer fremd ist und schon jetzt von Gott eingesammelt/ gefunden wird, ins Zentrum rücken. Wie ist das mit Erfahrungen von Fremdheit? Wie ist es, gefunden zu werden? Von wem?

Zur Zeit lese ich die Bücher von Viktor Frankl wieder. Mit Anfang zwanzig, als Theologiestudentin in Berlin, habe ich alle seine Bücher gelesen. 'Trotzdem ja zum Leben sagen ... Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager' und 'Ärztliche Seelsorge. Grundlagen der Logotherapie und Existenzanalyse' habe ich gerade wieder gelesen. Viktor Frankl war ein jüdischer Wiener Arzt und Psychotherapeut, sehr bodenständig, sehr menschlich. Er stellt die Frage nach der Sinnhaftigkeit des Lebens und damit auch der Sinnhaftigkeit des Leidens. Frankl war selbst in verschiedenen Konzentrationslagern und hat von seinen äusseren und inneren Erfahrungen geschrieben. .. In der ersten Märzwoche 2024 werden wir in Liestal eine Gesprächsreihe über die Sinnhaftigkeit des Lebens anbieten. Die Vorträge werden wir wieder in ärztlicher und in biblischer Perspektive halten - wie auch im letzten Jahr.

Ab Montag nächster Woche beginnen die Schweige-Exerzitien mit Wolfgang in Rasa. Wir bemühen uns, einzelne von Wolfgangs Einführungen zu Psalm 71 hier, auf unserer Website, zum Nachhören zur Verfügung zu stellen. Vielleicht verschriftlichen wir auch den einen oder anderen Impuls.


Dienstag, 1. August 2023
Ulrike schreibt: Heute feiern die Schweizer den Nationalfeiertag. Ich bin recht spontan nach Berlin gekommen und merke darum nichts davon. Morgen in aller Frühe, noch fast in der Nacht, fliege ich in die Schweiz zurück.

Gestern Abend war ich - nach dem Besuch meiner Familie - bei Dussmann in der Friedrichstrasse. Der Laden ist riesig, hat ein unglaubliches Angebot an Büchern, Musik und Papeterie. Der Laden lässt den Kundinnen Zeit und Platz, sich alles in Ruhe anzuschauen. Wolfgang und ich lesen gerade Der heutige Tag von Helga Schubert. Also habe ich mir neuere Bücher im Themenfeld Sterben und Trauer/ Trauerbegleitung angeschaut. ... Und Bücher über Jordanien, wo ich Anfang letzten Jahres war und wo es mich wieder hinzieht. Möchte jemand mitkommen?

Als ich den Laden verlasse, ist es kurz vor 22 Uhr. Draussen steht eine sehr kleine Frau mit Trompete und singt mit grosser Stimme Jazz. Ich gehe weiter zum Bahnhof und da singt ein junger Strassenmusiker mit Gitarre und warmer, schöner Stimme. Die milde Luft, die Lichter der Stadt, die wenigen Menschen, die noch unterwegs sind - es ist unglaublich schön. Ich kaufe mir etwas zu trinken, damit ich gut sitzen kann und höre der Musik zu.

Dann laufe ich an der Spree entlang nach Hause. Die Spree fliesst ja durch das Regierungsviertel. Zwischen dem Reichstagsgebäude und dem Marie-Elisabeth-Lüders-Haus kommt man wie in ein grosses Freilichtkino, was ich vorher nicht wusste. Ich habe mich auf die Stufen am Wasser gesetzt und auch hier zugeschaut. Bild und Ton werden über die Spree geworfen und ans Marie-Elisabeth-Lüders-Haus projiziert. Im Nachthimmel Laserscheinwerfer. Man folgt der Erzählung der jüngeren deutschen Geschichte (gut gemacht!) und zumindest ich merke, wie alt ich mittlerweile geworden bin. Dann laufe ich an der fast menschenleeren schwarzen Spree zum Hauptbahnhof, wo dann wieder Menschen sitzen, essen und feiern, und weiter nach Moabit.

Mir hat manches Eindruck gemacht in diesen Tagen. Ich habe die Neue Nationalgalerie - das ist der Museumsbau von Mies van der Rohe - zum ersten Mal nach der Restauration und Wiedereröffnung besucht. Der Bau ist grossartig: wie früher und trotzdem neu. Mich berührt, dass ich viele Bilder der ständigen Ausstellung ja kenne - ich habe sie mir immer wieder angesehen, seit ich Studentin bin. Sie sind heute anders gehängt, in grossen Themengruppen. Das hat etwas sehr 'Didaktisches' - man bekommt den Kontext der Bilder gleich mitgeliefert und erklärt. Als junger Mensch hatte ich Bilder von Beckmann oder Dix selbst entdeckt und an ihnen etwas von deutscher Geschichte verstanden. Ohne Erklärung von aussen. Heute wird man angeleitet. Das Gebäude ist aber trotzdem wahnsinnig schön und die Bilder sind immer noch dieselben.

Es gibt manches zu erzählen:

- Der Biergarten, in dem ich mich mit E. treffe, und wo wir sofort gemeinsame Themen haben. Dabei schüttet der Regen nur so vom Himmel herab und die Sonnenschirme sind mittelmässig dicht. Daraufhin lese ich das oben genannte Buch von Helga Schubert.

- Ein Frauen-Treffen bei uns in der Wohnung, an dem wir miteinander einen ZEIT Artikel von Günter Hänsel über 'Gelungene Halbheit' lesen. Dass wir uns von Ansprüchen an uns selbst entlasten, dass wir "nicht immer nach dem Maximum streben", ist ein verständliches Anliegen. Und trotzdem: Ganzheit ist doch kein "Mythos", wie der Autor behauptet. Ganz sein hat doch nicht mit "Perfektion" und "Leistung" zu tun. Der Autor ist Theologe und als solcher könnte er fragen, was biblisch - in den Erzählungen und der Poesie - unter Ganzsein (תָּמִים – tamim) bzw. Vollkommensein verstanden wird. Jesus nennt Gott in der Bergpredigt 'vollkommen', weil der sich einem rechnenden und berechnenden Handeln verweigert. Ganz sein hat damit zu tun, dass ein Mensch frei davon ist, vergelten zu müssen. ... Ich bin dran, bald mehr dazu.

- Vom Ordensmann, der am Sonntag in einen Bus der BVG steigt. Nämlich in denselben Bus wie ich :-). Er trägt Albe und Umhang, sogar ein Barret auf dem Kopf. Ich habe zuerst gedacht, dass irgendwo ein Cos-Play stattfindet, aber der Priester war echt. Ja, er hat am Sonntag mehr als einen Gottesdienst und fährt mit den Öffentlichen zum Gottesdienst in der nächsten Kirche.


Dienstag, 25. Juli 2023
Ulrike schreibt: Die Wochen sind trotz der Ferienzeit ziemlich dicht. Morgen feiere ich eine Abdankung, übermorgen feiere ich wieder Gottesdienst im Pflegezentrum Brunnmatt, an den Abenden treffen wir uns in der Gemeinde 'einfach so' zum Reden und Zusammensein. Heute Abend zum Beispiel zum Grillen im Abendfeierteam.

In der Buchhandlung Vetter in Basel habe ich einen Schrank mit Büchern aus dem jüdischen Verlag Morascha entdeckt. Wolfgang studiert den Psalmenkommentar von Rabbiner Samson Raphael Hirsch und miteinander lesen wir von Rabbiner Adin Steinsaltz Persönlichkeiten aus der Bibel.

Für die neue Campus für Christus Zeitschrift Amen habe ich einen langen Artikel geschrieben. Titel: Gottes
Stimme erkennen. Untertitel: Wenn wichtige Entscheidungen anstehen, dann wollen Christinnen und Christen sie «mit Gott» treffen. Sie fragen nach seiner Führung. Aber wie unterscheidet man «seine Stimme» von anderen Stimmen? Es sind ja meist mehrere, die sich in Entscheidungssituationen zu Gehör bringen. .... Über die anderen Artikel - ich bin gespannt auf sie - kann ich noch nichts sagen. Ich warte noch auf die Belegexemplare - von denen ich gerne einige weitergebe.


Sonntag, 23. Juli 2023
Wolfgang schreibt: Heute hat Ulrike über die Frage gepredigt: "VERSTEHST DU WAS DU LIEST?" In Apostelgeschichte wird uns die bemerkenswerte Geschichte des äthiopischen Finanzverwalters (und Eunuchen) berichtet. Die Sehnsucht, auch zur Gemeinde Gottes zu gehören, hat ihn dazu geführt, eine Weltreise zu unternehmen. Vielleicht gibt es eine Antwort für ihn in Jerusalem? Die gibt es für ihn auch dort nicht, jedoch einen Hinweis auf eine kommende Hoffnung. Zu lesen bei einem der Propheten. Natürlich kauft der Mann die Schriftrolle. Aber … Wie kann man das verstehen …

Anhören können Sie die Predigt gleich hier:

Ganz unten auf dieser Seite [dort, wo die Buchstaben blau werden] können Sie diese Predigt herunterladen unter: »2023-07-23-Apg8«



Samstag, 15. Juli 2023
Ulrike schreibt: Wir sind vorgestern gut angekommen in Liestal. Die Zeit in Kreta war ein grosses Glück. Das erste, was mir bei der Landung auffiel, waren die anderen Farben. Wir sind in West-Kreta inmitten der warmen, sonnigen Brauntöne der Berge und dem Blau des Meeres aufgebrochen. Die Landung in Zürich war in kühlem Hellgrün.

Ich bin in Liestal oft mit Wolfgangs E-Roller (3-Räder von Kyburz) unterwegs. Also dann, wenn Wolfgang den Roller nicht selbst braucht. Der sieht flott aus, fährt flott, und ich brauche mir keine Schutzkleidung anzuziehen wie auf dem Motorroller. Ich kann mir vorstellen, dass Kyburz in den nächsten Monaten erhöhte Umsätze in Liestal macht ... :-) Mir schauen viele Leute hinterher, stellen mir Fragen zum 3-Rad-Roller und merken, dass man den auch nicht-behindert gut fahren kann.

Ab Montag arbeite ich wieder. Morgen, Sonntag, ist noch frei, und ich gehe "ganz normal" in den Gottesdienst. In der nächsten Woche sind es für mich v.a. Gottesdienste im Pflegezentrum und am nächsten Sonntag in der Stadtkirche, Treffen mit Gemeindemitgliedern und Vorbereitungen für die ersten Wochen im August.


Mittwoch, 12. Juli 2023
Ulrike schreibt: Heute ist unser letzter Urlaubstag in Kreta. Morgen Vormittag fliegen wir von Chania aus zurück in die Schweiz. Ich bin froh, dass wir so gebucht haben, denn Chania ist ein kleiner und eher persönlicher Flughafen, nicht wie der in Heraklion.

Morgens haben Wolfgang und ich jetzt oftmals Psalm 71 gelesen - das ist der Psalm für die Schweige-Exerzitien in Rasa Ende August. Es gibt noch ein paar freie Plätze. Der Beter bittet darum, einen stabilen Zufluchtsort zu haben. Es ist die Bitte, nicht verlassen zu sein, wenn die eigenen Kräfte wenig werden. Ich finde es bewegend, dass der Beter sich nicht 'verkämpft' - nicht in den Streit mit Menschen eintritt, sich nicht rechtfertigt und erklärt. Er wartet ab und er dankt Gott für all das Gute, was der ihm tut.

Wenn die Kräfte wenig werden: Mir gehen noch Bilder vom Tag unserer Anreise nach Kreta nach. Wolfgang hatte bei der Fluggesellschaft angemeldet, dass er bei langen Wegen im Flughafen gern Hilfe hätte. Bei der Ankunft in Chania wartete dann ein Wagen mit Lift, der die gehbehinderten Passagiere aus dem Flugzeug hebt. Dieses Fahrzeug kennt ihr sicher. Mich hat das sehr berührt. Da war eine schwerst-behinderte junge Frau, die mit viel Technik und Mutter und Schwester (?) in den Urlaub ging. Sie konnte sich im Rollstuhl keinen Zentimeter allein bewegen und doch ging sie in den Urlaub. Dann war da ein junger Niederländer im Rollstuhl, der alleine reiste und hoch mobil war. So mit "Rollstuhl auf der Stelle wenden" usw.. Und dann war da Wolfgang, der mit seinen Gehhilfen einfach langsam ist. Es sind so unterschiedliche Bedürfnisse nach Hilfe, aber es ging gut. Wie gut, dass Menschen einander Gutes ermöglichen.


Montag, 10. Juli 2023
Ulrike schreibt: Heute haben wir etwas Verblüffendes erlebt. Die (neue) AppleWatch von Wolfgang funktioniert. Wolfgang war auf der Fahrt nach Chania aus dem Auto gestiegen, um ein Foto zu machen. Es war unglaublich windig und der Boden steinig und Wolfgang ist der Länge nach hingefallen (nichts passiert ausser ein paar Schürfwunden).

Da hat seine Uhr - die ja Stürze bemerkt - von selbst den Notruf gewählt. Innerhalb von Sekunden war Wolfgang mit jemandem verbunden, der gefragt hat, ob Wolfgang Hilfe braucht. Also: am Anfang hat Wolfgang nicht geantwortet, weil er ja am Boden lag, aber nach ca. zwei Minuten hat er mit einer (echten) Person am andern Ende der Leitung gesprochen und gesagt, dass alles in Ordnung ist und dass sie niemanden schicken müssen. Es hatten auch zwei PKW angehalten und Wolfgang (mit mir zusammen) wieder auf die Beine geholfen. Ein französisches Pärchen hat ihn ganz rührend verarztet., und dann sind wir weitergefahren. Dass Technik so gut funktioniert, hatten wir nicht erwartet.


Sonntag, 9. Juli 2023
Ulrike schreibt: Heute am Sonntag waren wir im Kloster der Odigitria. Die Οδηγήτρια (griechisch) ist die 'Wegweiserin', das ist Maria, die auf Jesus hin zeigt und uns den Weg weist. Das Kloster ist eins der ältesten (14. Jahrhundert) und grössten Kloster auf Kreta. Wolfgang und ich waren am Schluss des Gottesdienstes da, aber das war immer noch genug: Gottesdienst in der orthodoxen Kirche meint, dass über mehrere Stunden hin Liturgie gesungen wird. Die Vorstellung ist, dass die Gemeinde auf diese Weise am himmlischen Gottesdienst anteil bekommt. Dass wir als Menschen der sichtbaren Welt, Anteil haben an der Anbetung, die sich in Gottes unsichtbarer Welt vollzieht.

Es waren unglaublich viele junge Familien - Frauen, Männer und kleine Kinder - im Gottesdienst. Sie kamen durch eine Kirchentür herein zum Priester, haben um seinen Segen gebeten, haben das gesegnete Brot genommen, haben bei einzelnen Ikonen verweilt und sind dann auf der anderen Seite der Kirche durch eine andere Tür wieder hinaus gegangen. Der Priester war gut beschäftigt. Mancher hat ein paar Worte mit ihm gewechselt, ihm irgendein Anliegen gesagt. Nach dem Gottesdienst blieben viele da und es war wie ein grosses Picknick im Hof des Klosters und in den angrenzenden Gebäuden.

Wir sind dann weiter gefahren zum Kali Limines Strand, etwa 10km südlich vom Kloster. Hier waren wir zum ersten Mal, weil uns früher die holprige Strasse aus Sand, Schlaglöchern und Steinen geschreckt hat. Stellenweise kann man nur im ersten Gang und in Schlangenlinien fahren. Der Weg zieht sich, aber es lohnt sich: es ist ein unglaublich schöner Strand mit glasklarem blauen Wasser. Genau die richtige Temperatur, und weil es eine grosse Bucht ist, kann man gut und sicher schwimmen.

Wolfgang hat in einer der beiden Tavernen am Meer gesessen, ich bin tatsächlich fast nur im Meer gewesen. Es waren viele hundert Leute am Strand, wieder viele junge Familien. Die haben alle diesen Weg auf sich genommen, allerdings fahren viele Geländewagen. Auf der Rückfahrt haben wir in Sivas gehalten und gut gegessen - wie eigentlich in allen Tavernen in den letzten Tagen. Jetzt sind wir zurück in Vori, lassen den Abend ausklingen. Ab morgen und die nächsten Tage bis zur Abreise werden wir dann nochmals in der Region Chania sein. Da ist es ein bisschen kühler als im Süden.


Donnerstag, 6. Juli 2023
Ulrike schreibt: So schnell geht es, und heute ist bereits die erste Hälfte des Urlaubs vorbei. Wir sind noch einmal weiter nach Osten gefahren und sind jetzt ziemlich in der Mitte von Kreta im Süden - südlich der (des?) Psiloritis. Unser Ferienhaus ist ein Kafenion aus dem 19. Jhd., das instand gesetzt und modernisiert wurde. Wunderschön, mit zwei Terrassen, in einem Dorf und doch rundum mit Blick ins Grüne und die Berge. Ich mag es, im Lädchen einzukaufen, im Kafenion einen Frappé zu trinken und mich mit den Leuten zu unterhalten.

Was mich beschäftigt: Ich habe gute Kontakte und Freundinnen in Berlin. Eine befreundete junge Pastorin, - einige von uns Liestalerinnen haben sie im letzten Herbst bei der Frauen-Begegnung kennengelernt - sucht für ihre noch junge Gemeindegründung neue Räume. Die bisherigen Räume sind zu klein, denn die Gemeinde, die ausschliesslich aus jungen Menschen besteht, wächst.

Nun hat die Pastorin bei den Pfarrern der evangelischen Ortskirchengemeinde nachgefragt, ob sie an jedem zweiten Sonntag einen Gottesdienstraum an ihre kleine Gemeinde vermieten würden. Vermietung bietet diese Kirche auf ihrer Homepage ausdrücklich an, sie stellt sich als den Menschen zugewandt und gastfreundlich vor. Die Kirchräume sind zur gewünschten Zeit auch frei - es gibt also keine Kollision mit bestehenden Angeboten.

Nun hat die junge Pastorin ein knappes halbes Jahr lang keine Antwort auf ihre Anfrage und ihre wiederholten Nachfragen bekommen. Die evangelischen Kollegen antworten ihr nicht einmal. Die Pastorin hat nochmals angeboten, sich zum Kennenlernen zu treffen, auch über das theologische Profil der jungen Gemeinde offen Auskunft zu geben. Sie hat darum gebeten, dass ihre Anfrage im Gemeindekirchenrat (reformiert: der Kirchenpflege) - also dem Leitungsgremium - traktandiert wird. Jetzt erhält sie die Antwort des Verwalters: "Ich hatte (...) mein Pfarrteam nochmal gebeten, eine theologische Einschätzung zu geben, ob und wie eine Zusammenarbeit zustande kommen kann. Dazu habe ich gestern die Antwort erhalten, dass eine Zusammenarbeit nicht gewünscht ist und ich Ihnen deshalb keine Räume anbieten kann."

In welchen Zeiten leben wir? Können Pfarrpersonen eigenmächtig entscheiden, mit wem sie Zusammenarbeit für möglich halten und mit wem nicht? Warum wird die Leitung der Kirchgemeinde nicht in solche Anfragen einbezogen? Sie sind Entscheidungsort. Wie steht der Kirchenkreis - die nächst höhere Verwaltungsebene - zu solchem Vorgehen? Weiss der Kirchenkreis überhaupt darum?

Vor allem aber: Wie kommt man zu einer "theologischen Einschätzung", wenn man nicht ein einziges Gespräch mit dem anderen geführt hat? Wenn man keinen Gottesdienst der anfragenden Gemeinde besucht hat, sich kein Bild gemacht hat? Was ist von solchen "theologischen Einschätzungen" zu halten? Gibt es eine Theologie, die ohne Menschenfreundlichkeit (z.B. dem andern antworten) und ohne Gespräch auskommt? Und: Wie steht es um die Ökumene, wenn Pfarrpersonen ein Urteil über Gemeinden aussprechen, ohne sich Grundlagen für eine sorgfältig zu formulierende Stellungnahme erarbeitet zu haben? ... Das alles geschieht nicht "irgendwo", sondern in der Berliner Innenstadt, in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg.

Schmerzhaft finde ich, dass das Selbstbild der evangelischen Kirche ein anderes ist. Sie verbreitet von sich ein Bild vom sorgfältigen Umgang mit anderen Menschen und ein Bild von ökumenischer, ja sogar interreligiöser Offenheit.


Mittwoch, 5. Juli 2023
Ulrike schreibt: Wir sind immer noch im Urlaub, ... für die von euch, die zufällig hier mitlesen. Wolfgang und ich waren zwei Tage in Frangokastello im Süden Kretas. Das ist ein Ort, wie aus einem Western: mit breiten, menschenleeren, staubigen Strassen. .... Man wartet darauf, dass einem Cowboys breitbeinig entgegenkommen. Aber er hat eben das Meer: eine wunderschöne Küste, die immer mal wieder durch Felsen unterbrochen ist. Man kann überall baden, aber eher nicht schwimmen wegen der Strömung, die aufs Meer hinaus zieht. Wir haben in einem Studio an der Bucht direkt unter dem Kastell gewohnt. Ausser uns waren nur junge Leute da, und auch mit denen war es angenehm.

Jetzt sind wir in Triopetra, der Ort heisst so nach den drei Felsen, die am Strand liegen. Auf dem Weg hierher haben wir ein "Kloster des Erzengels Michael" besucht. Es steht an dem Ort, an dem Paulus gestrandet sein soll - aber ich glaube, das sagen hier mehrere Orte von sich. Das Kloster ist super instand gesetzt, und seit kurzem wohnen dort zwei Nonnen, die mit viel Herzblut das Kloster wieder aufbauen. Eine der Nonnen hat uns gleich empfangen, informiert, Anteil gegeben. Auch sonst halten wir an der einen und anderen Kirche, machen Pause und singen miteinander.


Montag, 3. Juli 2023
Ulrike schreibt: Wir hatten schöne Tage in Vamos. Heute haben Wolfgang und ich das Johannesevangelium und die Briefe fertig gelesen. Es macht Spass, in Griechenland griechisch zu lesen.

Jetzt brechen wir auf von Vamos und fahren mit dem Auto in den Süden. Und zwar mit einem Umweg über Kallikarates, weil das Hochland dort so schön wild und waldbestanden ist. Man fährt dann in schier endlosen Serpentinen den steilen Hang zum Meer hinunter. Ziel ist eine einfache Taverne am Meer, in der wir schon oft gegessen, aber noch nie übernachtet haben. Die Strände im Süden gehören zum Libyschen Meer und haben - anders als die Strände im Norden - hellblaues klares Wasser.

Ich habe in diesen Tagen das Buch von Elena Gorohova, 'Goodbye Leningrad', fertiggelesen. Es ist unterhaltsam geschriebene Zeitgeschichte. Ich überlege, ob ich den Nachfolgeband 'Russian Tattoo' lese: wahrscheinlich in den Wintermonaten dieses Jahres, nicht jetzt im Sommer auf Kreta.


Freitag, 30. Juni 2023
Ulrike schreibt: Heute Frühstück auf dem kleinen Balkon: mit Blick in die Weissen Berge und aufs Mittelmeer (6 km weiter). In der Kühle des Morgens geht das gut, später wird es zu heiss. Die Dorfbäckerei ist eine Backstube, in der die fertig gebackenen Brote und Teilchen jeweils vorne auf Blechen für die Kundinnen bereit liegen. Alle sind freundlich, und ich denke, nicht nur wir sind älter geworden, sondern auch die Leute hier im Dorf. Bei manchen wundere ich mich, dass sie noch leben.

Am Vormittag bin ich nach Chania gefahren. Ich gehe gern zu Fuss durch eine Stadt. So wie andere Leute gern in die Berge gehen. In der Innenstadt von Chania gibt es fast keine Parkplätze (zu viele Autos), ein echtes Problem. Ich habe irgendwo geparkt, das war östlich der Altstadt am Koum Kapi Strand. Den habe ich auf diese Weise kennengelernt. Das ist ein wunderschöner Strand mit Einheimischen, gesäumt von kleinen Bars und Tavernen. Anders als in der Touri-Gegend am venezianischen Hafen hat es hier eine sehr entspannte Atmosphäre. Hier könnte man öfter sein.

Ich war hier und da, habe meine Lieblingskosmetika auf Olivenöl-Basis gekauft, eine bestimmte Kirche aufgesucht und in dem Kafenion vor der Agios Nikolaos Kirche - das ist die Kirche mit Glockenturm und Minarett - einen Frappé getrunken. Danach bin ich ins (relativ) neu eröffnete archäologische Museum von Chania gegangen. Das ist ein ausgesprochen schöner und übersichtlicher Neubau. Die ganz frühen Zeiten - das Neolithikum und die minoische Zeit - interessieren mich nicht so sehr, aber was in biblischer Zeit geschaffen und gedacht wurde, interessiert mich. Der Bezug Kretas zu Kleinasien und überhaupt in den Osten ist stark, bis dahin, dass Künstler aus Kleinasien (der heutigen Türkei) die Bodenmosaike in kretischen Häusern verlegt haben. ... Den Nachmittag und Abend haben Wolfgang und ich am Strand und in Vamos verbracht - ruhig und schön. Das Mittelmeer hat übrigens eine Temperatur von 24°C - gefühlt ist es noch wärmer, finde ich.


Donnerstag, 29. Juni 2023
Ulrike schreibt: Wir sind heute früh nach Kreta geflogen, genauer gesagt: nach Chania im Westen der Insel. Am Flughafen und beim Fliegen selbst habe ich gemerkt, wie "entwöhnt" ich von manchen Dingen, auch Kleinigkeiten, bin. Weil ich sie lange nicht gemacht habe. Zum Beispiel einen Trolly mit unseren Koffern drauf auf die Rolltreppe schieben. Ich hatte tatsächlich die Befürchtung, das funktioniert nicht ....

In Chania selbst war dann alles vertraut. Wir haben am Flughafen einen Mietwagen entgegengenommen (glücklicherweise mit guter Klimaanlage!) und sind nach Vamos gefahren. Das ging ganz ohne Karte und Navi, die Erinnerungen sind stark und helfen bei der Orientierung.

Wir haben uns zwei Ferienwohnungen angeschaut und haben die zweite genommen. Sie sieht aus wie eine Berliner Altbauwohnung, ist sehr hoch, also ganz untypisch für Kreta. Die ersten Tage bleiben wir hier in Vamos. Am wichtigsten aber war, dass Wolfgang und ich einen wunderbaren gemeinsamen Tag hatten. (Wolfgang sagt dazu gerade: "Ja" :-) Wir merken zunehmend, wie wenig selbstverständlich das alles ist. Das gute Essen in der Dorf-Taverne, die Zeit am Meer in Almyrida, das Baden im Mittelmeer heute Abend, die Freundlichkeit der Menschen. Wir sind sehr dankbar.


Mittwoch, 28. Juni 2023
Ulrike schreibt: Wir sind heute tatsächlich aufgebrochen und sind nun in einem Flughafenhotel in Zürich, 5. Stock, ohne Klimaanlage. Ich finde es ein bisschen skuril, aber auch romantisch: So etwas denkt man sich nicht aus vorher. Dass wir bei weit offenen Fenstern (Hitze) im obersten Stock auf einem Boxspring-Bett sitzen, ein Sandwich essen, etwas trinken und aus dem Fenster in die Nacht gucken. ... Wir hoffen, dass auch ihr Ferientage habt und Schönes geniessen könnt. .... Morgen erfahrt ihr, ob und wo wir gelandet sind.


Dienstag, 27. Juni 2023
Ulrike schreibt: Seit gestern habe ich Urlaub und freue mich sehr! Wolfgang und ich müssen aber umdisponieren. Am Samstag war ich mit dem Auto unterwegs - bei Gluthitze und Stau - und auf einmal dampfte es aus dem Motorraum. Das hat mich unangenehm an den Motorschaden im letzten Sommer an der Ostsee erinnert .... . Ich habe das Auto in die Werkstatt gebracht und tatsächlich ist das Kühlsystem kaputt. Also: aus "Urlaub in Berlin und von da aus ein paar Tage an die Ostsee fahren" wird nichts.

Wir haben gestern alternativ einen Flug gebucht. Ich schreibe, wohin wir reisen, wenn wir tatsächlich angekommen sind. Der Flug am Donnerstag geht so früh, dass wir in Zürich am Flughafen übernachten - also in einem Hotel am Flughafen :-)

Wolfgang und ich lesen und übersetzen (möglichst) jeden Tag das Johannesevangelium bzw. die Briefe des Johannes. Ich staune über die präzisen Formulierungen. Darüber, wer Jesus ist, wer die sind, die aus Gott gezeugt sind, wer die Welt ist. Wolfgang wird bald ein wöchentliches Bibellesen zum Johannesevangelium anbieten. Wahrscheinlich macht er das online (ZOOM etc.), und teilnehmen kann jede und jeder, der möchte.

Im August sind wieder Schweige-Exerzitien in Rasa (Tessin) - nämlich vom 21.-26. August und vom 26.-31. August. Die ersten Schweige-Exerzitien im März waren sehr gut besucht, jetzt im August sind es eher wenig Teilnehmerinnen und Teilnehmer, vor allem in der zweiten Kurswoche. Vielleicht könnt ihr Menschen Bescheid geben, für die das etwas wäre? Wolfgang wird mit uns Psalm 71 betrachten: «AUCH WENN ICH ÄLTER WERDE ..., bleibe ich in Gottes Hand».

Wichtig: Es ist kein Psalm für alt gewordene Menschen. Wir wollen uns vielmehr mit Reifungsprozessen im Glauben beschäftigen. Wir gehen dem nach, wie sich unser Glaube vertieft und verwandelt, sich auch vertiefen und verwandeln muss. Ich finde das sehr spannend. Den Flyer findet ihr links im blauen Feld, wenn ihr auf Rasa, Schweigen im Tessin klickt.


Freitag, 23. Juni 2023
Ulrike schreibt: Es geht für Wolfgang und mich mit grossen Schritten auf die Ferien zu. Ich schreibe euch am Dienstag, wo wir dann tatsächlich sind. Wahrscheinlich nichts Aufregendes. Jetzt bin ich am Aufräumen, am Erledigen dessen, was liegengeblieben ist. Sonntag werde ich in der methodistischen Kirche (EMK Liestal, 10 Uhr) vertretungsweise predigen. Herzliche Einladung an die, die Lust haben, zu kommen :-)

Vom letzten Berlin-Aufenthalt habe ich gar nicht erzählt. Am meisten aufgefallen ist mir die unglaublich vielfältige Ausstattung mancher Lebensmittelläden, wo auch ich staunend an den Regalen vorbeigehe. Mehr um zu gucken, als um zu kaufen. Und in derselben Strasse stehen vor den Läden Kleiderboxen aus Stahl mit Altkleidern zum Mitnehmen. Und da ging ständig jemand hin - vor allem Frauen - und schaute nach, ob etwas für sie drin ist.

Hier in der Schweiz war ich in den letzten Wochen mehrmals im Kunstmuseum Basel und in der Fondation Beyeler. Die Ausstellung über Basquiat - The Modena Paintings - hat mir unerwartet gut gefallen. Basquiat war ein junger und jung gestorbener Künstler aus New York, schnell entdeckt und schnell vermarktet. Seine Bilder sind kraftvoll und raumgreifend, das beeindruckt mich am meisten. .... Dann gibt es eine Ausstellung mit Installationen von Doris Salcedo, einer Künstlerin aus Kolumbien. Bisher war es nur der eine grosse Raum mit Steinplatten, in die sie Namen von ermordeten Menschen hat eingravieren lassen. Die Namen werden sichtbar, wenn von unten ein Wasserfilm über die Steinplatten fliesst. Jetzt gibt es weitere Räume und Kunstwerke, die dem Gedächtnis, der Vergegenwärtigung getöteter Menschen gewidmet sind. In einem Raum zum Beispiel hat sie jeweils einen oder zwei Schuhe (von entführten Menschen, glaube ich) in eine Nische - wie eine Grabnische - in die Wand gestellt. Und diese Nische hat sie mit einem hautfarbenen Transparent mit der Hand vernäht.

Ach - und bei der Art Basel war ich am letzten Wochenende. Weil ich die in den letzten Jahren immer verpasst habe, bin ich hingegangen. Die Ausstellung in Halle 1 mit vielen Installationen und Video-Arbeiten hat mir gut gefallen. In Halle 2 sind dann Galerien vertreten. Ich kenne mich nicht aus. Aber als erstes ist mir aufgefallen, dass es Unterschiede gibt: Die Atmosphäre im Erdgeschoss (mit Galerien aus den USA) war ganz anders: mit Werken der klassischen Moderne (Picasso), Ausdruck eines riesigen Geldflusses. Im Obergeschoss von Halle 2 haben Galerien dagegen eher Experimentelles ausgestellt. Ich habe längst nicht alles gesehen - zu viel -, aber es gab nichts, was mir neue Sehweisen eröffnet hat, was ich darum «hätte haben wollen».

Ansonsten sind Wolfgangs Kinder und Grosskinder viel bei uns. Ich gehe immer noch regelmässig zum Schwimmen ins Freibad. Ich finde es bei regnerischem Wetter am schönsten - gestern war es schwül, bewölkt, Nieselregen, und fast leer. Wunderbar. Und auch im Schwimmbad gibt es - wie in der Kirche - eine kleine Community derer, die immer da sind. ... Nachher treffe ich mich mit unserem Vikar in der Gemeinde. Wir hatten die Idee, anstelle des nächsten Prüfungs-Essays einen Podcast einzureichen. Jetzt werde ich mich ein bisschen aufs Thema vorbereiten, denn unser Vikar ist klug :-)


Sonntag, 11. Juni 2023
Ulrike schreibt: Heute haben wir in Liestal Gottesdienst gefeiert. Unser Vikar hat Kinder gesegnet und ich habe die Predigt gehalten. Wer sie hören möchte, kann das gleich hier tun. Die Geschichte "Der Segen meines Grossvaters" ist von Rachel Naomi Remen und der Predigtabschnitt ist aus der Bergpredigt: Matthäus 5,43-48.


Ganz unten auf dieser Seite [dort, wo die Buchstaben blau werden] können Sie diese Predigt herunterladen unter: »2023-SEGNET«

Ich bin ab morgen - sehr früh - in Berlin und besuche meine Eltern. Wer sonst noch Lust auf einen Kaffee und ein bisschen erzählen hat - meldet euch gern! Am Mittwoch am späten Abend bin ich wieder zurück in Liestal.

Donnerstag, 1. Juni 2023
Ulrike schreibt: Am Samstag kommender Woche (10. Juni 2023) lädt die Fritz-Blanke-Gesellschaft - das ist ein Freundeskreis rund um Wolfgang - zum Studientag nach Zürich ein. An Studientagen gehen wir einen ganzen Tag lang (9.45 Uhr bis 16.30 Uhr) einem einzigen Thema nach. Am 10. Juni wird es sein: Das Leid in der Welt ... und was hat Gott damit zu tun?

Kaum eine Frage wird so oft gestellt: Warum gibt es all das Leid in der Welt? Rätselhafte Krankheiten, Unfälle, Katastrophen bis hin zu Epidemien und kriegerischen Auseinandersetzungen: Sie scheinen immer mehr zuzunehmen. Kommt uns das Leid immer näher?

Wir nehmen uns Zeit, unsere Gedanken, Erfahrungen und Ängste zu teilen. Gibt es sinnvolle Antworten auf unsere Fragen? Im Lauf der Geschichte haben die Menschen verschiedene Lösungen vorgeschlagen. Immer geht es um die Frage, wer oder was die Schuld am Leiden trägt: Menschen, Mächte, Strukturen ... oder Gott? Oder lässt sich die Frage gar nicht beantworten, weil es im Verlauf der Geschichte gar keine Gerechtigkeit gibt? Ist dann alles sinnlos?

Wolfgang und ich gehen an diesem Studientag sorgsam den verschiedenen Wegen der Bibel nach, diesen Fragen Raum zu geben: Wie werden die Fragen gestellt? Welche Antworten werden versucht? Welche Grenzen haben die einzelnen Versuche? Das Besondere an der Bibel ist, dass die Fragen nie theoretisch gestellt werden. Es sind immer einzelne Menschen mit ihrem jeweiligen Leiden, ihren unterschiedlichen Versuchen, ihrem Scheitern, ihrer Auflehnung und auch ihrem Glauben, die da vor uns stehen:

der Beter von Psalm 73, Hiob und seine Freunde, der leidende Gerechte in Psalm 22 und Jesaja 53 usw., endlich Jeremia mit seiner Lebensgeschichte — und Jesus mit seinem bewussten Weg zum Kreuz ... Jeder versucht eine Antwort - und keiner hat die ganze. Was lernen wir daraus für unser Fragen, für unsere Versuche, eine Antwort zu finden?

• Zeit zum Austausch unserer bisherigen persönlichen Erfahrungen • Kurzreferate zu einzelnen Aspekten
• Wir lesen biblische Texte zum Thema (einzeln)
• Austausch in Gruppen zu den einzelnen biblischen Texten
• jeweils Zwischenhalt im Plenum
• Am Ende versuchen wir eine Zusammenfassung dessen, was uns deutlich geworden ist - und was offen bleiben muss.

Ort: EMK Zürich-Ost, Zelthof, Zeltweg 20, CH-8001 Zürich (650 m von der Tramstation «Kunsthaus»)
Den Flyer finden Sie hier: 202300610_FBG_Studientag


Freitag, 26. Mai 2023
Ulrike schreibt: Vorgestern war ich das erste Mal in diesem Jahr im Rhein, ein paar Züge schwimmen. Es fühlt sich nicht so kalt an wie es war (15°C). Jetzt bei dem warmen Wetter wird der Rhein sich schnell erwärmen.

Im Schwimmbad in Rheinfelden bin ich ausgesprochen gern, die Badmeister sind freundlich und man sieht oft dieselben Leute. Es sind viele kleine Dinge, die mich freuen. Heute kommt der Badmeister und spannt mir den Sonnenschirm auf, als ich zu den Liegeflächen aus Holz direkt am Wasser gehe.

Ich zeige auf meinen mitgebrachten Kaffee und frage ihn "Den darf man hier nicht trinken, nicht wahr?" Es steht angeschrieben, dass man im Bereich direkt um das Wasserbecken nicht konsumieren darf. Er sagt: "Doch, Sie dürfen alles". Da habe ich mich gefreut. Über den Zuspruch, alles zu dürfen, der auf einem Zutrauen beruht. Es ist das Zutrauen, dass man die Erlaubnisse nicht missbrauchen wird. Ich habe mich an Paulus erinnert und meine, etwas mehr von seinem Glauben zu verstehen. Paulus hat von Gott gehört: "Du darfst alles". Diesen Zuspruch teilt er mit den christlichen Gemeinden und die glauben ihm nicht wirklich. Die Erlaubnisse Gottes sind vom Zutrauen Gottes getragen. Wir werden unsere Freiheit nicht missbrauchen.

Dann haben Wolfgang und ich heute zwei Rankhilfen rechts und links vom Fenster von Wolfgangs Arbeitszimmer angebracht. Die Rosen mit ihren starken Trieben und der Jasmin wissen nicht wohin wachsen, darum die Idee, zwei Gitter neben den Fenstern anzubringen. Es war eine echte Leistung, die Gitter mit Dübeln und Schrauben in der Hauswand zu befestigen. Denn auf beiden Seiten vom Fenster kann man nicht stehen, auf der einen Seite geht es mehrere Meter steil hinunter. Ich bin also halb draussen auf dem Fensterbrett mit dem schweren Bohrer und Wolfgang bleibt drinnen und hält mich fest. Es hat geklappt: die Rankhilfen sind stabil und hängen sogar gerade! Und die Rosen sind bereits an ihren Ort gebogen.


Sonntag, 21. Mai 2023
Wolfgang schreibt: Gestern hat Ulrike Gottesdienst in der Stadtkirche Liestal, sowie im Gemeindezentrum Seltisberg gefeiert. Grundlage der Predigt ist 1. Samuel 3,1-10: REDE - DEIN KNECHT HÖRT. Sie können die Predigt gleich hier anhören:


Ganz unten auf dieser Seite [dort, wo die Buchstaben blau werden] können Sie diese Predigt herunterladen unter: »2023-DEIN KNECHT HÖRT-1.Sam3«

Gottes Reden in Israel ist selten geworden. Es gibt nur noch Erinnerung daran, «dass Gott mit uns spricht».
Und dann fängt Gott wieder an. Er ruft den Samuel. Dabei fällt auf: (a) Samuel hat keine Erfahrung mit dem Reden Gottes machen können. Wo hätte er lernen können? (b) Samuel ist jung, wahrscheinlich noch Teenager. Das Alter qualifiziert nicht, aber es disqualifiziert auch nicht. (c) Gott fängt neu an. Und der Betrieb im Heiligtum geht weiter wie bisher.


Mittwoch, 17. Mai 2023
Ulrike schreibt: Heute Mittag werde ich einen Bekannten beerdigen, er ist nicht viel älter als ich. Wir haben uns vor vielen Jahren am Bahnhof in Liestal kennengelernt und haben immer wieder einmal ein paar Worte gewechselt. Es ist verblüffend, wie manche Begegnungen im Nachhinein so gar nicht zufällig wirken.

Heute Abend ist Matthäus-Gruppe in unserer Kirchgemeinde. Heute leite ich und wir lesen und diskutieren miteinander den Predigttext für Sonntag (21. Mai, 9.30 und 11 Uhr). Das ist mir eine Hilfe. Am Sonntag sind die Gideons International zu Gast in unserer Kirchgemeinde. Ich habe mich vorgängig mit Fredy Eichenberger getroffen. Es ist schon interessant zu hören, was im christlichen Kontext wo und wie läuft.

Morgen an Auffahrt feiert unser Vikar Joshua Henrich seinen Prüfungsgottesdienst in der Stadtkirche Liestal (9.30 Uhr). Das Europäische Jugendchor Festival ist bei uns zu Gast und ein Chor wird singen. Am Nachmittag feiere ich dann mit den Seniorinnen im Pflegezentrum Brunnmatt den Auffahrts-Gottesdienst.

Ich habe noch gar nicht von der wirklich schönen Frauen-Begegnung am Wochenende berichtet. Am ersten Abend mit den ukrainischen Frauen war für mich eindrücklich, dass solche Begegnung wirklich den Wunsch nach Gemeinschaft voraussetzt. Und den gibt es. Und wie wichtig es ist, dass nicht eine Seite die "Gebende" und die andere die "Empfangende" ist. Wahrscheinlich gilt das auch für das Miteinander mit "ganz normalen" Liestaler Gemeindemitgliedern, dass die Beziehung auf wechselseitigem Geben und Nehmen beruht.

Die Impulse am Samstag Morgen - von Eva, einer Farb- und Materialgestalterin, und von Andrea, einer Psychotherapeutin in eigener Praxis, waren sehr erfahrungsbezogen. Beide haben uns erst "wahrnehmen" lassen und dann darüber reden und schliesslich reflektieren lassen. Am Nachmittag eine tolle Stadtführung durch Basel. Die hat eine ukrainische Stadtführerin gemacht: super sorgfältig und interessiert die Frau, und sie hat sich spontan an unser Thema angepasst und ihren Rundgang über prägende Frauen und weibliche Bildungsgeschichte in Basel gemacht. Zum Schluss wurden alle durch eine kleine Rheinfahrt :-) erfreut.

Am Sonntag kam der Schluss-Impuls von Susanna, die Informatikerin ist. Was macht virtuelle Kommunikation mit unserer Aufmerksamkeit und unserer Wahrnehmung? Was hilft zu einem begrenzten und selbstbestimmten Umgang mit virtueller Kommunikation? Wichtig ist vor allem, die eigenen Sinne im real life zu üben. Einen starken Weltbezug im Sehen, Hören, Riechen, Fühlen und Schmecken zu pflegen.
Alle waren glücklich über die gemeinsame Zeit, die guten Impulse, den guten Austausch. ... Wir machen also auf jeden Fall weiter.

Morgen wird Wolfgang aus dem Spital entlassen. Er war jetzt zwei Wochen fort. Das ist der Vorteil elektonischer Kommunikation, dass wir an jedem Morgen weiter Bibel übersetzt haben. Dass manches weitergehen darf, auch wenn der Ort oder die Kräfte nicht immer dieselben sind.

Was mich extrem freut, ist, dass am Wochenende die Badesaison begonnen hat. Gestern war es eine Überwindung, bei 12° C Lufttemperatur ins Wasser zu steigen. Das Wasser hat fast 23°, das ist sehr o.k..Und ich merke, dass nach einigen Tagen die Kondition wieder zurückkommt, was mich freut!


Freitag, 12. Mai 2023
Ulrike schreibt: Dass die Zeit schnell vergeht, fällt mir auf, wenn ich in den Garten hinaus schaue. Unser Haus ist von hellgrün leuchtenden Wänden aus Blättern umgeben. Wir schauen ins Grün, statt in die Ausläufer des Jura :-) Statt Narzissen und Tulpen stehen jetzt Disteln, Mohn und Salbei in der Wiese. Und ich bin mit dem Motorroller unterwegs.

Heute Abend beginnt unser Frauen-Begegnungs-Wochenende in Liestal. Bis Sonntagmittag verbringen wir - das sind +/- 20 Frauen - Zeit miteinander. Im September 2022 haben wir uns für ein erstes solches Wochenende in Berlin getroffen. Diesmal sind einige Berlinerinnen nach Liestal gekommen. Thema unseres Wochenendes sind "resonante Weltbeziehungen". Einzelne von uns haben dazu etwa 15-minütige persönliche Impulse vorbereitet: "Wo erlebe bzw. wo gestalte ich Gemeinschaft/ resonante Weltbeziehung? Was braucht es dazu? Was sind meine Erfahrungen? Wo entsteht Neues, Unerwartetes?"

Der Ausdruck "Resonanz" stammt vom Jenaer Soziologen Hartmut Rosa. Er berührt sich (natürlich) mit vielen therapeutischen oder philosophischen Entwürfen, die die Ich-Du Beziehung in den Fokus rücken. Ich denke an Martin Bubers Dialogphilosophie (Ich und Du, 1923).
Hartmut Rosa fragt, wo in unserer Gesellschaft (noch) aufeinander gehört wird. Wo treten wir hörend in Beziehung zu anderen Menschen, in Beziehung zu uns selbst, in Beziehung zur Schöpfung? Menschen neigen dazu, das, von dem sie wollen, dass es gehört, gesehen, wahrgenommen wird, zu "platzieren". ... Ich bin gespannt auf die unterschiedlichen Beiträge und Gespräche.

Es ist viel geschehen in den letzten Wochen, das ich nicht erzählt habe. Bei meinem letzten Berlin-Aufenthalt habe ich im TSB (Theologisches Studienzentrum Berlin) unterrichtet. Sie haben mich gefragt, ob ich ab und zu, wenn ich in Berlin bin, als Gastdozentin junge Studierende unterrichten würde. Ich habe das erstmalig in Form eines 4-stündigen Blockseminars zum Betrachtenden Gebet gemacht. Der Kontakt mit den jungen Leuten macht Spass und entspricht mir. Über manche ihrer Gesprächsbeiträge denke ich noch nach, da eignet sich manches als Forschungsthema. Zum Beispiel: Wie sie mit jungen Menschen "betrachten" können, die völlig anders wahrnehmen, als sie selbst es tun? Die vorgegebene Bilder in sich einlassen und deren Inneres nicht geübt ist, selbst (!) zu schauen und innere Bilder entstehen (!) zu lassen. Usw.. Viel Gutes.

Wolfgang ist zur Zeit im Spital, es geht ihm aber gut. Er hatte eine Sepsis und ist gut und schnell behandelt worden. Für einen seiner Vorträge bin ich (online) eingesprungen. Das hatten wir schon lange nicht mehr, dass ich in die Lücke springen musste. Ich kann es noch :-)


Freitag, 28. April 2023
Ulrike schreibt: Der Besuch der Buchmesse Leipzig hat sich gelohnt. Wenn ich näher dran wäre und mehr Zeit hätte, würde ich nochmals hinfahren. Zuerst war ich beim Podiumsgespräch Reden wir. Über Demokratie. Eine Veranstaltung des Writers in Exile Programms des PEN Deutschland. Wie nehmen Autorinnen, die ihre Heimatländer (z.B. Türkei, Afghanistan, Iran ...) verlassen mussten, von ihren Erfahrungen her die Demokratie in Deutschland wahr? Was schätzen sie, was vermissen sie?

Das war gut, aber weil Claudia Roth als Staatsministerin für Kultur und Medien mit auf dem Podium sass, hatte sie die meiste Redezeit. ... Beeindruckt hat mich übrigens, dass ich keinen Personenschutz, überhaupt keine Kontrollen wahrgenommen habe. Ausser der Ticket-Kontrolle am Eingang :-) Jeder kann sich öffentlichen Personen, Schriftstellerinnen, Politikern usw. nähern. Dass das in Deutschland und der Schweiz so ist, macht mich froh.

Am Nachmittag war ich bei einer ähnlichen Veranstaltung: mit Sandra Hetzl, Eva Menasse und Deniz Yücel, alle drei sind Board-Mitglieder des neugegründeten PEN Berlin. Von Eva Menasse haben Wolfgang und ich im letzten Jahr den Roman Dunkelblum gelesen. Deniz Yücel ist (auch dadurch) bekannt, weil er als Journalist 2017/2018 in türkischer Untersuchungshaft sass wegen angeblicher Terrorpropaganda. ... Die drei haben erzählt, wie sie sich ehrenamtlich für verfolgte Kolleginnen und Kollegen einsetzen. Das hat mich beeindruckt, weil konkret, klug und freundschaftlich. Yücel hat erzählt, dass es für Menschen in Haft am wichtigsten sei, dass sie "innerlich unbeschadet bleiben". Das geschieht vor allem dadurch, dass sie Solidarität erfahren. Dass sie merken, dass an sie gedacht wird, dass sich andere für sie einsetzen. Ob und wie erfolgreich sie sich einsetzen, das sei nicht das Ausschlaggebende.

Heute Abend wird im Berliner Ensemble - also gut erreichbar - eine ähnliche Veranstaltung sein, 'Türkiye, was geht?' Ebru Taşdemir im Gespräch mit dem Autor und Journalisten İrfan Aktan (Ankara) und Deniz Yücel (PEN Berlin) über die bevorstehenden Wahlen in der Türkei und die historische Chance, ein autoritäres Regime abzuwählen. Ich gehe hin.

Ich habe auf der Buchmesse natürlich noch viel anderes gesehen und gehört. Auch einfach nur herumgesessen, schön Kaffee getrunken, Kuchen gegessen usw.. Gastland der Buchmesse ist in diesem Jahr Österreich. Also war ich auch bei einer Veranstaltung des Hauptverbands des deutschen Buchhandels: Wieviel Moral braucht unsere Gegenwart? Drei Philosophen haben miteinander diskutiert - sehr ich-bezogen und selbstgefällig. Die eigentlich gut aufgestellte Moderatorin Tania Martini hatte keine Möglichkeit, kritisch dazwischen zu fragen.

Wer ein gutes Interview hören möchte, dem empfehle ich die aktuelle Folge des Podcasts Alles Gesagt? der Wochenzeitung Die ZEIT. Man kann das Interview bei Spotify oder auf Youtube hören: Armin Wolf, verstehen Sie Österreich? Hier ist der Link: www.youtube.com/watch?v=Ej-vm9dBYZM


Montag, 24. April 2023
Ulrike schreibt: Die Osterzeit war schön und dicht. Letzte Woche habe ich einen Artikel für die Zeitschrift Amen (Juni-Ausgabe) abgegeben. Sie hatten mich gebeten, über Unterscheidung der Geister zu schreiben - also darüber, wie man Gottes Stimme von anderen Stimmen unterscheiden kann. Das habe ich getan. ... Am Tag der Abgabe (Thema: Gottes Stimme hören) hatte ich ein inneres Wissen: dass ich einen bestimmten Menschen besuchen soll. Ich bin also zu ihm hingegangen. Es war wundersam: für den Betreffenden und für mich. Ich wusste ja nicht um ihn und darum, wie es ihm geht. Das Ergebnis dieses Besuchs war nur 'gut', denn Gott ist gut.

Gestern Abend bin ich vom Euroairport Basel nach Berlin geflogen. Ich habe mich gewundert, dass es auf dem Flughafen dermassen voll ist. Heute, am Montag, weiss ich warum. In Berlin wird wieder gestreikt und der Flughafen BER ist heute für Passagierflüge geschlossen. Im März bin ich - das habe ich erzählt - mit der Bahn von Berlin aus zurück in die Schweiz gefahren. Was gar nicht gut klappte.

Hier in Berlin ist es warm und sommerlich. Hauptgrund für meine Reise ist ein Familiengeburtstag. Daneben habe ich noch zwei andere Anlässe, die mir wichtig sind. Am Mittwoch werde ich im TSB (Theologisches Seminar Berlin) junge Studierende unterrichten und am Donnerstag werde ich zur Buchmesse nach Leipzig fahren. Es ist lange her, dass ich auf der Buchmesse war, und ich freue mich sehr auf die viele Zeit. Die 80 Minuten Fahrt (Berlin-Leipzig) kosten ohne Ermässigung (hin und rück) übrigens 113,- Euro; das ist nicht billiger als in der Schweiz.

Am TSB werde ich ein 4 stündiges Blockseminar über Betrachtendes Gebet geben - über das betende Lesen der Bibel. Über die Kraft von Bildern, über Gottes Reden, Unterscheidung der Geister ... - und was Betrachten in einer Zeit heisst, die sich vorwiegend durch social media verständigt. Ich denke mal, dass ich den Kurs dann auch für uns in Liestal anbieten werde - mit dem Lerngewinn, der mir durch die jungen Menschen in Berlin zukommt. Denn das ist mir eine latente Frage: worin hat sich die Lern-Richtung in bezug auf die Verkündigung des Evangeliums umgekehrt? In welcher Hinsicht lernen wir Älteren von jungen Menschen?


Sonntag, 9. April 2023 — OSTERSONNTAG
Ulrike schreibt: Wolfgang und ich wünschen Euch und Ihnen ein frohes Osterfest! Hier können Sie die Osterpredigt zu Markus 16,1-8 anhören. Ich habe sie in Form einer Homilie gehalten, bin versweise an der Erzählung entlang gegangen:


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Mich hat an dem Bericht vieles gefreut, zum Beispiel

- wie nüchtern Markus beschreibt, was geschehen ist. Er verzichtet auf Meinungen, Erklärungen, Deutungsversuche. Geschehen ist, dass Jesus sich als stärker erwiesen hat als der Tod. Solch ein nüchternes Reden wünsche ich uns auch.

- dass es heisst "sagt seinen Jüngern und Petrus, dass er vor euch hingeht nach Galiläa" (Markus 16,7). Petrus wird extra genannt. Ich verstehe das so, dass Jesus ihn nicht im Ungewissen lassen will. Petrus hatte Jesus drei Tage vorher verleugnet. Petrus soll wissen, dass er immer noch dabei ist. Schon jetzt soll ihn der Trost erreichen: der Trost, dass der Auferstandene in Galiläa nicht nur auf die Anderen, sondern auch auf ihn wartet.


Montag, 3. April 2023
Ulrike schreibt: Ein dichtes und schönes Wochenende liegt hinter mir. Der Oasentag war gut und mit vierzehn Frauen (einigermassen) gut besucht. Es ist recht viel Arbeit, Impulse für die eigene Betrachtung vorzubereiten. Toll war die Erfahrung, miteinander auf dem Weg zu sein. Das geht auch im Schweigen. Wobei das Mittagessen im Schweigen - die körperliche Erfahrung von Miteinander - auch wichtig war.

Wolfgang hat am Wochenende einen der Impulse von Rasa (März 2023) zu Psalm 27 als Beilage für den Rundbrief der Fritz-Blanke-Gesellschaft bearbeitet. Er handelt davon, dass wir unsere Beziehung mit Gott nicht nur anhand von schönen Erfahrungen klären und fassbar machen. Es sind Erfahrungen von Bedrohung und Not, die unser Verhältnis mit Gott klären und vertiefen. Wie das zugeht, davon handelt der Impuls zu Psalm 27. ... Wer bisher nicht zum Freundeskreis der Fritz-Blanke-Gesellschaft gehört - das ist ein Freundeskreis, der Wolfgangs Arbeit unterstützt - das aber gern möchte, der kann sich bei mir melden. Ich gebe Infos.

Heute beginnt die Karwoche. Die meisten Passionsandachten - beginnend heute, 18 Uhr - feiert unser Vikar. Ich bin dabei :-). Ich feiere diese Woche den Gottesdienst im Pflegezentrum Brunnmatt am Gründonnerstag (15.30 Uhr), und die Ostergottesdienste in Liestal und Seltisberg (9.30 Uhr und 11 Uhr) feiern wir gemeinsam. Ich habe auch Beerdigungsbereitschaft, treffe mich mit Hinterbliebenen, um die Abdankungs-Gottesdienste vorzubereiten.


Mittwoch, 22. März 2023
Ulrike schreibt: Für Samstag, den 1. April 2023, laden wir zum Oasentag nach Liestal ein. Wolfgang und ich haben solche Oasentage über viele Jahre hin angeboten. Manchmal mit Übernachtung von Sonntag zu Montag, was dann ‹Geistlicher Montag› hiess, manchmal als Stille Wochenenden. Wenn ich zurück denke .... In der Schweiz waren wir regelmässig in Kloster Kappel und im Nidelbad, in Seewis und in Wildberg/ZH; in Berlin waren wir im Haus der Stille in Wannsee, im Stadtkloster Segen, in Kloster Lehnin, in der Kaiser-Friedrich-Gedächtniskirche usw.. Das waren die regelmässigen Orte.

Für den 1. April lade ich in unsere eigene Kirchgemeinde als Stille-Ort ein. Impulse gibt es von der Geschichte der Hagar her. Wer solch einen halben Tag mit sich selbst und mit Gott verbringen möchte, den bitte ich bis Ende der Woche um Anmeldung. Hier findet ihr den Flyer mit mehr Informationen: 2023.04-Oasentag-HAGAR

Ein gemeinsames Stille Wochenende in Riehen bieten Wolfgang und ich vom 24.-26. November 2023 an. Wir lesen und übersetzen gerade miteinander das Buch Hiob und werden dann mit euch Impulse zu Gott und Hiob teilen.


Sonntag, 19. März 2023
Ulrike schreibt: DREIFACHE DUNKELHEIT: Drei Meditationsimpulse von Ulrike zu Lukas 23,44-47 an der Abendfeier in der Stadtkirche in Liestal. Sie können diese Meditationsimpulse gleich hier anhören:


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Hier ist der biblische Abschnitt, Lukas 23,44-47 (eingefügt ist Markus 15,34-36):

Und es war schon um die sechste Stunde, und es kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde. Und die Sonne verlor ihren Schein, und der Vorhang des Tempels riss mitten entzwei.

[Und zu der neunten Stunde rief Jesus laut: «Eli, Eli, lama asabtani?» Das heisst übersetzt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Und einige, die dabeistanden, als sie das hörten, sprachen sie: «Siehe, er ruft den Elia.» Da lief einer und füllte einen Schwamm mit Essig, steckte ihn auf ein Rohr, gab ihm zu trinken und sprach: «Halt, lasst uns sehen, ob Elia komme und ihn herabnehme!»]

Und Jesus rief laut: «Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände!» Und als er das gesagt hatte, starb er. Als aber der Hauptmann sah, was da geschah, pries er Gott und sprach: «Fürwahr, dieser Mensch ist ein Gerechter gewesen!»

(1) DA KAM EINE FINSTERNIS ÜBER DAS LAND.
Erfahrungen von Dunkelheit. Jesus fühlt sich verlassen von Gott. Das ist Teil eines Weges, wie auch Psalm 22 einen Weg beschreibt. Es ist nicht das „Ende“.

(2) MISSVERSTANDEN UND VERSTANDEN
Über Begleitung in Zeiten der Dunkelheit. Jesus wird missverstanden (= er ruft nach Elia, um sich retten zu lassen.) Und er wird verstanden, interessanterweise vom römischem Hauptmann, der nicht Jude ist.

(3) WAS TUN? - SICH ÜBERLASSEN
Jesus kann nichts für sich selbst tun. Er befiehlt seinen Geist in die Hände seines Vaters. Auf alles eigene Tun verzichten.


Sonntag, 19. März 2023
Wolfgang schreibt: GEHEIMNIS UM JESU TOD: Griechen fragen nach, weil sie Jesus sehen wollen. Für Jesus war das der Schlüssel, das Geheimnis um seinen Tod zu verstehen: jetzt ist es soweit - er wird erhöht - Erhöhung meint seine Kreuzigung … Ulrike hat heute über diesen Abschnitt aus Johannes 12 gepredigt. Sie können diese Predigt gleich hier nachhören.


Ganz unten auf dieser Seite [dort, wo die Buchstaben blau werden] können Sie diese Predigt herunterladen unter: »2023-JOH12,21-24.32«



Samstag, 18. März 2023
Ulrike schreibt: Für Morgen herzliche Einladung zum Gottesdienst - am Morgen um 9 Uhr in Liestal, um 11 Uhr auf dem Seltisberg. "Dein Wort ist meines Fusses Leuchte und ein Licht auf meinem Wege" (Psalm 119,105) ist morgen Taufspruch für ein Kind und damit auch Gegenstand der Predigt. Was es heisst, seinen Weg vom Wort Gottes her sehen zu können, werde ich am Evangelium des Sonntags - Johannes 12,20-24 - entfalten.

Um 18 Uhr dann Einladung zur Abendfeier nach Liestal. Wir hatten ja drei Offene Abende über Erfahrungen von Dunkelheit. Ich werde morgen im Blick auf Jesus weiter entfalten, was die "Dunkle Nacht der Seele" (Johannes vom Kreuz) ist. Mit Anbetungsliedern, Stille und Feier des Abendmahls.


Donnerstag, 16. März 2023
Ulrike schreibt: Heute ist Abreisetag in Rasa. Nach dem Frühstück feiern wir Gottesdienst und Wolfgang gibt einen letzten - den zehnten Impuls - zum Psalm 27. Ich habe viel gelernt, besonders in den letzten beiden Impulsen. Was heisst es, das Angesicht eines anderen Menschen oder das Angesicht Gottes zu schauen (Vers 8)? Und warum kann David in Vers 9 und 10 seine Ängste zur Sprache und vor Gott bringen? Dass das nur derjenige kann, der zuvor gewiss und fest geworden ist über Gott (Vers 1-3).

Dass Rasa als Ort wunderschön ist, wissen die meisten. Auch das Wetter war sonnig, nachts hat es manchmal geregnet. Ich war gestern Nachmittag in Ascona; ich liebe ja den Strand und das Wasser, auch wenn es noch zu kalt zum Baden ist. In der öffentlichen Badi gibt es vor Wind schützende Mauern - wunderbar - von denen aus man auf den See schauen kann. Da lagen ein paar Italiener auf Liegestühlen in der Sonne. Eine ältere Frau war auch schwimmen, ein paar Minuten im Wasser, wobei das Wasser wirklich nur 7 Grad hat. Oben Fotos von gestern.

Vielleicht kommen ja einige von euch im Augst nach Rasa zu den nächsten Schweige-Exerzitien - und ihr macht einen Abstecher in die Badi in Ascona :-)


Dienstag, 14. März 2023
Ulrike schreibt: Hier stellen wir euch den Impuls von Wolfgang Bittner zu Psalm 27, Vers 4, zur Verfügung:

Ich habe euch ein Lied mitgebracht, das zu unserem Psalm passt. Es ist von Paul Gerhardt und heisst: «Ist Gott für mich, so trete gleich alles wider mich». Paul Gerhardt hat das Lied nicht zum Psalm 27 geschrieben, sondern zum Römerbrief, Kapitel 8, ab Vers 38. Es ist wahrscheinlich eine Meditation über folgende Verse:

«Ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben,
weder Engel, noch Mächte, noch Gewalten,
weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges,
weder Hohes noch Tiefes
noch irgendein anderes Geschöpf
uns wird scheiden können von der Liebe Gottes,
die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.» (Römer 8,38f)

Glaube hat es damit zu tun, dass er angefochten ist, dass es Menschen gibt, Bewegungen gibt, Regungen von aussen und Regungen von innen, die mich vom Glauben wegziehen wollen, die mich von Gott wegziehen wollen. Paulus schreibt in Römer 8: Wer Christus erfahren hat, der lernt im Glauben, dass es nichts gibt, was mich von Gott wegbringen kann. Das liegt nicht an mir, an meinem Bemühen, sondern das liegt an dem, was Gott getan hat, was Christus für mich getan hat.

David bringt die Grundeinsicht «Es kann mich niemand und nichts wegbringen von ihm» in Psalm 27 zum Ausdruck. Es ist David und seine Lebensgeschichte, an der wir uns das deutlich machen können. In seiner Lebensgeschichte kommt vieles vor. Äussere Umstände, Menschen, Saul, seine eigenen Söhne, seine Mitarbeiter, am Ende er selber. Da liegt unglaublich viel an Dynamik und Kraft, die ihn wegbringen könnte von Gott. Man kann es gar nicht abwägen, was das Schwerere ist: Sind das die Anderen, bin ich das selber?

DAVIDS GESCHICHTE IST URBILD UNSERER GESCHICHTE

Am Ende ist es das, was Gott tut und verspricht, das ihn – David – und seine Geschichte zur messianischen Geschichte werden lässt. Das heisst, nichts bringt dich und deine Geschichte, deine Familie bis hin zum Messias, von Gott weg. So haben wir den grossen Bogen, der bei David beginnt und sich zu Jesus, dem Messias, spannt. Wir als Christen sind ebenfalls messianische Menschen. Es ist unsere Geschichte, die wir bei David lesen. Denn auch bei uns wiederholt sich das in einer je anderen, eigenen, persönlichen Form und Biografie. Was uns hier von David gesagt wird. Die Beziehung zu Gott, das Gute, das Schwere und eben auch all das, was uns wegziehen kann und wegziehen will. Das, was von aussen kommt und das, was von innen kommt. Es ist eine Wiederholungsgeschichte. Und ich kann sagen: das ist meine Geschichte.

ES IST AUCH PAULS GERHARDTS GESCHICHTE

Ich habe euch das Lied von Paul Gerhardt kopiert. Auch bei Paul Gerhardt war es so: Er hat seine Kinder verloren mit Ausnahme von einem, er hat seine Frau verloren. Seinen Beruf, das heisst seinen Heimatruf in seine Berliner Heimatkirche, er musste aus Berlin weggehen, hinüber in den Spreewald. Er hat dort sogar seine Fähigkeit zum Dichten verloren. Ich habe keine Ahnung, was das für einen Menschen bedeutet, der so sprachfähig war. Und er ist im Glauben geblieben.

Es gibt dieses Glaubenslied, das genau diese Dynamik zu umschreiben versucht. Manche von uns kennen es vielleicht. «Ist Gott für mich so trete gleich alles wider mich./ Sooft ich ruf und bete/ weicht alles hinter sich./Hab ich das Haupt zum Freunde/ und bin geliebt bei Gott/, was kann mir tun der Feinde und Widersacher Rott’?» Auf unseren Liedblättern findet ihr das Lied vollständig in der Originalfassung mit fünfzehn Versen. Eine schöne Aufgabe, das Lied zu singen oder zu beten für diejenigen von euch, die Freude daran haben.


Psalm 27, Vers 4
«EINS» - EIN WUNDERSCHÖNES, GLÜCKLICHES WORT

Wir haben mit den beiden Grundgedanken begonnen: David beschreibt und bedenkt sein Verhältnis zu Gott, das Gute, das diese Beziehung auszeichnet (Vers 1) und das Schwere (Vers 2-3). Jetzt geht es markant einen Schritt weiter.

Die Verse heute, das sind Vers 4 bis 6, bilden eine Einheit. Es ist gut, wenn ihr sie für euch lest und meditiert, so dass ihr den Zusammenhang, den Klang dieser drei Verse hört. Es sind drei sehr verschiedene Aspekte, nicht dieselben. Aber sie haben gleichsam dieselbe Mitte. Ich lese sie in der Übersetzung von Martin Buber vor:

«Eines habe ich von ihm erwünscht, das ist’s, was ich suche:
Sitz zu haben in SEINEM Hause alle meine Lebenstage.
Seine Mildigkeit schauen zu dürfen, morgendlich in seiner Halle zu sein.

Denn er verwahrt mich in seiner Schirmung am Tag des Bösgeschicks,
er versteckt mich im Versteck seines Zeltes, auf den Felsen hebt er mich.

Und dann hebt sich mein Haupt über meine Feinde rings um mich her.
Opfern werde ich in seinem Zelte Opfer mit Jubelschmettern, singen und harfen IHM.»

«EINES» ERBITTE ICH

Wenn ihr die Verse auf deutsch lest, dann kann man schon beim Lesen darauf achten, wie hier immer drei Dinge zusammen geordnet werden. Wir hatten das schon in den ersten drei Versen: eine Art Dreiklang und jetzt dasselbe auch hier. Unser Vers 4 beginnt mit einem Wort, das es so auf deutsch natürlich gibt, aber anders gibt. Das Wort «eines». Wir haben das Wort «eins». Einmal als Zahlwort «eins» und einmal als unbestimmter Artikel «einer». Den unbestimmten Artikel gibt es auf hebräisch nicht. Es gibt nur das Zahlwort eins. Wenn in der Übersetzung bewusst «eins» steht, dann ist das mit hohem Bewusstsein gemeint. David sagt: «Eines bitte ich». Das heisst, ich habe mir überlegt und ich bin bei meinem Beten dazu gekommen zu fragen, was bitte ich ihn eigentlich?

Das Ergebnis ist: Eigentlich habe ich nur eines zu bitten. Meine Sehnsucht, meine Wünsche, meine Bitten lassen sich zusammenfassen in einem. Das ist also die Reduktion der Vielfalt, die Konzentration der Vielfalt auf eines. Das wäre bereits eine schöne Aufgabe für das eigene Besinnen: Wie ist das, wenn ich meine Sehnsüchte, meine Wünsche, das, was ich vor Gott hintragen möchte, in eines fasse? Nicht wenn ich das künstlich zu einem konzentriere. Auch nicht, wenn mir gesagt wird, so bei dem vielen, was da ist, darfst du dir noch eines aussuchen. Auch das ist es kaum.

DAVID MERKT ES SELBER

Was ich empfinde bei David, ist, dass er selber plötzlich merkt, dass das Vielerlei an Wünschen, Fragen, Bitten, die ich an Gott habe, das darf ich, das darf ein Vielerlei sein und bleiben. Niemand soll mir das verbieten und auch bei Gott kenne ich kein solches Wort, das mein Bitten irgendwie einschränken würde. Dass er etwa sagen würde: Also, einen Wunsch hast du jetzt noch frei. Oh Schreck, was lasse ich aus, wie schrecklich, wenn ich das Falsche wähle. Ich empfinde bei diesem Vers, dass David in seinem Beten plötzlich merkt: Was ich will, das ist im letzten eigentlich nur eines. Das geht nicht gegen die Vielfalt. Sondern die Vielfalt selber fasst sich zusammen in dieses Eine.

ÄUSSERES BITTEN UND INNERES WÜNSCHEN FALLEN ZUSAMMEN

Und nun wird dieses Eine beschrieben, und zwar in zweifacher Hinsicht. Er sagt: Eines bete ich, und eines wünsche ich. Das erste Verb, das hier steht, «fragen» oder «beten», das ist die äussere Form. Ich kann es formulieren. Das zweite, das Wünschen, ist das Innere. Wenn ich mein Inneres frage, dann ist es auch nur eines. Ich finde das einen wunderschönen Gedanken und eine Einsicht, wenn das äussere Bitten und das innere Wünschen zusammenfallen. Wenn es keinen Zwiespalt gibt zwischen dem Äusseren, also dem, was ich in Worte fasse, und dem von dem ich merke, das meint mein Inneres wirklich. Da ist plötzlich nichts mehr kompliziert. Ich finde das traumhaft schön, wenn das Innere, mein Inneres so ganz ist, dass das äussere Bitten und das innere Wünschen in eines zusammenklingen. Ich weiss nicht, ob ich es ausdrücken kann und ob es so verständlich ist? Dazu kommen, dass es eins wird. Mit diesem Wort beginnt unser Vers: «eines» - ein wunderschönes, glückliches Wort!

ES SIND DREI ASPEKTE

Nun was ist das Eine? Das Eine sind drei. Das ist fast wie bei der Gotteslehre, der eine Gott ist drei. Auch hier haben wir eine Trinität. Das Eine, das David beschreibt, ist:
Ich möchte wohnen, dann: ich möchte schauen, dann: und ich möchte … hmm. Hier weiss man nicht, was das hebräische Wort an dritter Stelle heisst. Beginnen wir von vorn. Ich möchte gerne wohnen im Hause des Herrn alle Tage meines Lebens.

(1) WOHNEN IM HAUSE DES HERRN

Wer das so beschreiben kann, der wünscht sich, in seinem Leben angekommen zu sein. Es geht nicht darum, dass er sagt, ich möchte die schönste Wohnung, die man kriegt. Sondern alle Tage meines Lebens möchte ich im Hause des Herrn wohnen. Da geht es nicht um ästhetische Kategorien. Da geht es um Heimat, um den Ort, von dem mein Inneres weiss und auch mein Äusseres überzeugt ist, hier bin ich angekommen.

Ich habe mir überlegt, wo es mir in meinem eigenen Leben mit Wohnungen so ergangen ist. Ich wohne jetzt in der Wohnung Nummer 26. Ich kann also ein bisschen in meinem Gedächtnis herumwandern. Bei den Wohnungen gehört ja immer auch das Dorf dazu oder die Stadt, das Quartier, die Landschaft. Da gehört manches dazu. Es sind nicht nur die die Tür und die vier Mauern ringsherum.

NACH HAUSE KOMMEN

Es gab merkwürdigerweise selten Wohnungen, von denen ich gesagt hätte, da bin ich Zuhause. In meiner Sprache wäre das: Da ist meine Seele angekommen. Einmal, als ich eine Stelle gesucht habe, da habe ich mich zum Vorstellen aufgemacht. Der Fahrplan war so komisch, dass ich zwei Stunden früher ankam. Ich bin eine Station vorher ausgestiegen, ich habe gedacht, ich spaziere da ein wenig herum. Und ich laufe durch einen Wald. Wo man aus diesem Wald herauskommt und das Dorf sieht, sieht man die ganze Landschaft. Ich kann mich erinnern, wie heute, das war mit einem Schlag, mit einem Blick klar: Ich bin endlich nach Hause gekommen. Bis heute geht es mir so, wenn ich daran zurück denke. Ich war zuhause angekommen.

Später habe ich mich erinnert, dass ich genau von dieser Szene schon einmal geträumt hatte. Ich hatte vorher nicht gewusst, wo das ist. Das ist die eine Szene. Die zweite Szene: Ich hatte relativ dringend umziehen müssen und innerhalb von relativ kurzer Zeit eine Wohnung gesucht. Ich hatte wenig Zeit dafür. Aus Intuition habe ich gedacht: in einem bestimmten Dorf, da könnte es sein, das könnte stimmen. Ich habe mir die Wohnungsanzeigen kopiert, mich angemeldet, und das war merkwürdig.

Da gab es eine Wohnung, die war frei, günstig und lag auch an einem schönen Ort. Und als ich dort reingekommen bin, habe ich gedacht: «Menschenskind, die Wohnung ist ja krank. Wenn ich da am Abend von einem Vortrag nach Hause komme, dann muss ich ja die Wohnung erst noch pflegen und trösten.» Eine traurige Wohnung. Ich kann nicht einmal sagen, woran es lag. Dann habe ich in demselben Ort eine Wohnung gefunden, und als ich in diese Wohnung hineingekommen bin, die Vormieterin hat sie mir gezeigt, da kam ein Satz aus mir heraus – ich weiss selbst nicht warum. Da habe ich gesagt: «Oh, in der Wohnung möchte ich sterben.» Mir war nicht ums Sterben! Aber es war das erste Mal und bis jetzt auch das letzte Mal, dass ich in eine Wohnung gekommen bin, wo ich gedacht habe, die Wohnung wird mich empfangen und trösten, und wenn ich heimkomme, wartet sie auf mich. Diese Wohnung hat die Kraft mich bis ins Sterben zu begleiten. Das war auch so. Nein, ich bin dort nicht gestorben.

Es war übrigens die Wohnung, in der ich am wenigsten lange gewohnt habe. Ein gutes Jahr nur. Aber ihr merkt, das Empfinden ist immer noch da. Das ist, was mir in den Sinn kommt, wenn ich diesen Vers hier lese: «Eines wünsche ich, zu wohnen in seinem Hause alle Tage des Lebens.»

So würde ich es umschreiben: «Eines wünsche ich mir, bei dir so anzukommen, dass ich endlich Zuhause bin.» Ich beschreibe das jetzt nicht weiter. Ihr habt eure eigenen Empfindungen und eure eigenen Erinnerungen. Vielleicht sind es Sehnsüchte und noch gar keine Erinnerungen. Nur das Wissen, was hier gemeint. Das gibt es in uns Menschen.

Das ist das Erste. Wir haben gesagt, David beschreibt, was er sich wünscht. Er sagt «Eines» wünsche ich. Er beschreibt es mit drei Ausdrücken. Das eine ist «das Wohnen». Das zweite: ich möchte gern schauen – in dieser Wohnung – die Lieblichkeit des Herrn.

(2) ZU SCHAUEN DIE «LIEBLICHKEIT» DES HERRN

«Lieblichkeit» das heisst, vielleicht so wie bei meiner zweiten Wohnung, wo ich gedacht habe, die hat eine Kraft auf mich zu warten und mich zu trösten. Ich würde das in meiner Sprache nicht Lieblichkeit nennen, ich würde einen anderen Ausdruck dafür brauchen. Lieblichkeit heisst eine Stärke, eine Kraft, und wenn man so will, auf eine gute Weise eine Mütterlichkeit. Ein Ort, von dem man sagen kann, dass es hier wirklich gut ist.

Interessant ist in dieser zweiten Wohnung – ich hatte dort sehr viel Besuch – dass ein Satz immer wieder kam. Menschen, die mich dort besucht haben, haben gesagt: «Eigenartig, ich könnte gleich dableiben.» Und es war verständlich, dass es wirklich so war: eine Wohnung, die einen zum Bleiben eingeladen hat. Das gehört zu dem, was David sich hier wünscht, zu diesem Einen. Ich möchte eine Wohnung. Bei dir, im Haus des Herrn wohnen, mein Leben lang. Und dann etwas schauen von einem Ort, an dem man bleiben kann.

EINEN ORT, WO ICH KLAR SEHEN KANN

Ich möchte nicht diesen Ausdruck Lieblichkeit oder Schönheit mit einem weiteren Ausdruck beschreiben. Man kann es glaube ich nur mit Erfahrungen beschreiben, umschreiben und deuten. Aber hier steht ein Verbum, das heisst «zu schauen» deine Lieblichkeit, deine Schönheit. Das Wort, das hier für «schauen» steht, wird oft gebraucht bei Propheten, wenn sie eine Schauung haben. Vielleicht würden wir sagen, es gibt einen Ort, an dem ich plötzlich hellsichtig werde. Hellsichtig nicht im esoterischen Sinn, sondern ein Ort, wo mir die Dinge plötzlich klar werden. Wo ich klar sehen kann.

EIN ORT, AN DEM GOTT WOHNT

Interessant ist für mich – vielleicht darum interessant, weil ich es an David erst an diesem Vers begriffen habe – dass es auch für mich zutrifft. Diese Hellsichtigkeit, diese Klarheit, die macht David nicht an einer Erfahrung fest, auch nicht an einer Begegnung mit Menschen, nicht an einer Erfahrung, die Gott schenkt, sondern an einem Ort, an dem Gott wohnt.

Auch das ist eine Aufgabe, mit der man selber ins Nachdenken kommen kann. Es kann sein, dass ich das kenne. Dass es einen Ort gibt, wenn ich an den komme, dann werden die Dinge hell und leicht und klar. Wahrscheinlich haben im guten Sinn die Wallfahrtsorte eine solche Aufgabe gehabt und auch erfüllt. Ich gehe an den Ort, weil ich erfahre, dass Gott dort nahe bei mir ist. Was mir unklar und durcheinander war, plötzlich kann ich es sehen. Es ist gut, wenn man solche Orte hat. Manch einer von uns würde vielleicht sagen, nein ein Ort ist das für mich nicht. Oder mancher würde sagen, das hören wir auch immer wieder: Wenn ich nach Rasa komme, dann werden mir Dinge relativ schnell klar. Und man kann nicht genau sagen warum. Rasa ist wunderschön, aber es gibt in gewisser Weise auch noch schönere Orte. Vielleicht ist es meine Geschichte, dass ich hier mit Gott etwas erfahren habe, das sich wiederholt.

Aber eben, bei manchen ist es nicht ein Ort, bei manchen ist es ein Mensch. Wenn ich zu diesem Menschen gehe oder an ihn denke, dann werden Dinge auch plötzlich klar. Ich kann ein Gespräch suchen und das ist vielleicht nicht einmal aufregend, aber es klärt sich etwas. Dinge die aufregend und ungeklärt waren, liegen plötzlich hinter mir. Es wäre eine schöne Aufgabe, wenn ihr euch überlegt, wo, wahrscheinlich in einer anderen Form, es euch in eurem Leben so gegangen ist. Dieses «Eine» von dem David hier spricht.

(3) EIN MORGENDLICHES SCHAUEN?

Nun kommt das Dritte (in Vers 4). Das Verb ist nicht zu übersetzen, weil man es so nicht versteht. Hier steht ein Verbum, das auf hebräisch «bkr» heisst. «Boker» als Nomen ist der Morgen. «Guten Morgen» wünscht man in Israel «Boker tov». Wir können aus dem Wort «Morgen» - gemeint ist also nicht der nächste Tag, sondern der frühe Morgen - kein Verbum bilden. Im Hebräischen steht aber ein Verbum. Aber was bedeutet das? Es gibt verschiedene Theorien, aber keine davon überzeugt mich wirklich. Ich kann euch nur sagen, dass ich es nicht verstehe. Vielleicht kann man dahingehend überlegen, dass manchmal am Morgen Dinge in einem neuen Licht escheinen. Aber es gibt Menschen, die machen genau die umgekehrte Erfahrung. Was am Abend klar war, ist am Morgen wieder durcheinander. Gibt es ein morgendliches Schauen? Das wäre ein Versuch fürs Übersetzen. David sagt, dieses «morgendliche Schauen», wenn es so heisst, in deiner Halle. Die Halle, das ist der Tempel. Da muss David etwas begegnet sein, von dem er sich auch jetzt wünscht, dass es ihm im Tempel entgegenkommt.

Ich habe keine Erfahrungen mit Tempeln. Der Begriff «Tempel» ist mir eher fremd. Aber das kann euch anders gehen. Vieleicht ist es eine Kirche, je nach Baustil, Romanik, Gotik, Barock, oder eine orthodoxe Kirche voll mit Gold, Licht und Musik. Also gemeint ist nicht nur etwas Visuelles, sondern ein gesamthaftes Leben. Wir wissen also nicht, was genau David hier beschreibt. Aber vielleicht ist das gar nicht so wichtig. Ich würde gerne für heute Vormittag hier stehen bleiben. David sagt: «Eines» wünsche ich; oder all mein Wünschen und Bitten fasst sich zusammen in Einem. Und dieses Eine beschreibt sich zunächst in drei Dingen:

o Wohnen im Hause Gottes alle Tage meines Lebens. In meiner Sprache würde ich sagen, in einer Wohnung ankommen, nach Hause kommen.
o Warum nach Hause kommen? Um dort etwas zu betrachten, nämlich dass Gott schön ist. Vielleicht kann da das Wort «lieblich» einen neuen Klang bekommen, dass es einfach gut ist, lieblich, schön, wenn man bei Ihm ankommt.
o Vielleicht bekommt nun auch der dritte Aspekt, das Wort «Morgen» oder «morgendlich» doch einen Sinn: Wie am Morgen erscheint alles in einem neuen, guten Licht.


Sonntag, 12. März 2023
Ulrike schreibt: Wir sind gestern gut in Rasa angekommen. Zwischen Liestal und dem Gotthard-Tunnel gab es Schneefall und ziemlich viel Stau. Hinter dem Tunnel stiegen die Temperaturen auf knapp 20°C und auch hier oben in Rasa scheint die Sonne. Wolfgang hat heute Nachmittag bereits den dritten Impuls zu Psalm 27 gehalten. Ihr könnt ihn hier mithören. Unten habe ich ihn verschriftlicht.


Ganz unten auf dieser Seite [dort, wo die Buchstaben blau werden] können Sie diesen Meditationsimpuls herunterladen unter: »PSALM27-[03]-Verse2-3«


Psalm 27, Vers 2 und 3

2 «Wenn die Bösewichte an mich wollen, mich zu verschlingen,
meine Bedränger und meine Feinde,
müssen sie selber straucheln und fallen.
3Wenn sich auch ein Heer wider mich lagert,
so fürchtet sich dennoch mein Herz nicht;
wenn sich Krieg wider mich erhebt,
so verlasse ich mich auf ihn.»

Wir halten uns noch einmal vor Augen: Der Psalm 27 beginnt damit, dass der Psalmbeter seine Beziehung zu Gott zu klären versucht (Vers 1). Klären heisst: Ich versuche mir klar zu machen, wie steht es eigentlich zwischen dir und mir? Das kann auch heissen: wenn eine Beziehung bereits gut ist, dann möchte ich mich noch tiefer freuen an der Beziehung zwischen dir und mir. Indem ich mir klarmache, wie geht es zu zwischen uns? Was ist das Gute? Was bewährt sich zwischen dir und mir? Vielleicht auch: wo gibt es Lücken, wo liegen Schwierigkeiten, wo liegen Gefährdungen? Die Frage gilt ja dem, es besser zu machen. Es ist keine kritische Frage.

GOTT – MEIN LICHT, MEIN RETTER, MEINE LEBENSBURG

Wir haben gesehen wie der Psalmbeter, wie David, mit drei positiven Bildern einsetzt. Er vergleicht Gott mit dem Licht, was immer er darunter versteht. Er vergleicht Gott mit der Rettung, dem Retter. Und er vergleicht ihn mit der Lebensburg. Dort, wo sein Leben in einer Burg gesichert ist. Das sind die drei Bilder, die er zunächst verwendet. Die ihm vielleicht zunächst in den Sinn kommen. Er sagt: Gott, das bist du für mich. Aus diesen drei Bildern haben wir die Anregung übernommen zu fragen: Wenn ich drei Bilder suchen möchte, die meinem Verhältnis zu Gott entsprechen, was sind meine drei Bilder? Oder: sind die drei Bilder, die der Psalm 27 nennt, gut für mich? Wo kann ich etwas damit anfangen, wo zögere oder zittere ich, oder wo habe ich Bedenken, weil ich sage: Bei diesem Bild, das für David offensichtlich hilfreich und stark ist, kommen mir Zweifel, weil das Bild für mich etwas anderes sagt. Es lohnt also, den Bildern nachzuspüren. Es sind zunächst einmal drei positive Bilder.

Nun wechselt der Psalm und verwendet in Vers 2 und 3 negative Bilder. Das bedeutet, eine starke Beziehung wird nicht nur dadurch beschrieben, dass ich sie positiv – wie in Vers 1 – beschreibe, sondern auch dadurch, dass ich die Krisen beschreibe, die mit dieser Beziehung verbunden sind. Es ist ein Zeichen der Stärke, wenn ich Krisen beschreiben kann und dem nicht ausweiche. David hat davor offensichtlich keine Scheu. Die Krisen gehören für ihn zum positiven Teil, wie er sich die Beziehung zu Gott erklärt und klärt.

WAS ODER WER BEDRÄNGT MEINE BEZIEHUNG ZU GOTT?

Wir beschäftigen uns heute Nachmittag mit Vers 2 und Vers 3. Es ist nicht ganz einfach mit den Übersetzungen, aber wir kriegen das schon hin. Der Vers 2 beginnt damit, dass David sagt: Es kommt mir etwas nahe. Ich kläre meine Beziehung zu Gott und da kommen mir «Bösewichte» nahe. Ich finde das interessant zu überlegen. Welche Bösewichte kommen in meinem Leben vor, die meine Beziehung zu Gott bedrängen? Es gibt keine Beziehung ohne Bösewichte. Auch unter uns Menschen nicht. In einer menschlichen Beziehung geht es vielleicht wunderbar zu, ganz, ganz gut geht es zu –, wenn nur die Bösewichte nicht wären. Die Bösewichte werden jetzt beschrieben. Die tun gar nicht so viel, sondern sie kommen nahe. Vielleicht waren sie vorher weit weg. Vielleicht waren sie von Anfang an in der Beziehung schon da und haben sich kaum bemerkbar gemacht. Aber plötzlich kommen sie näher. Ihr merkt, die Psalmen, die Bibel, weiss unglaublich viel vom Leben. Die Bösewichte sind nicht einfach von jetzt auf gleich da. Sondern es geht schön langsam. Nun wird beschrieben, was das Ziel dieser Bösewichte ist. Sie kommen nahe «um mein Fleisch zu fressen» (Vers 2, Elberfelder Übersetzung). Das Wort, das hier mit Fressen übersetzt ist, müsste ich eigentlich übersetzen: die essen. Das meint das ganz normale Speisen. Die setzen sich hin und dann beginnen sie zu essen. Und was essen sie? Sie essen mein Fleisch. Ich finde dieses Bild dramatisch, es ist nicht einfach. Aber ich bin dankbar, dass es auch ein bisschen komisch ist, humorvoll.

WER BEISST AN MEINER BEZIEHUNG ZU GOTT HERUM?

Wer ist da in meiner Beziehung zu Gott, der sich an den Tisch setzt und an mir herumknabbert? Vielleicht nicht nur herumknabbert, sondern sich vielleicht schon kräftig ein paar Stücke abschneidet und reinbeisst? Ich finde es schön, dass dieses Bild nicht direkt die Sache nennt, sondern als Bild versucht, es begreiflich zu machen. Und auch das kann ich in meine Meditation, mein betendes Weiterdenken nehmen: Offensichtlich haben die sich vorher nicht bemerkbar gemacht. Es war vorher mehr oder weniger gut, es war alles ruhig. Und vielleicht langsam erst merke ich, dass jemand herumschneidet und herumkaut. Was ist das?

WO IST ETWAS ENG GEWORDEN?

David nennt diese Bösewichte «meine Bedränger und meine Feinde». Das Wort Feinde ist klar, sie stehen bewusst in Opposition zu mir, treten gegen mich auf. Ich muss mir nichts vormachen, eigentlich weiss ich es. Das sind Menschen, das sind Kräfte, das sind Bewegungen, die gegen mich sind. Der zweite Ausdruck, der vorher steht, ist «Bedränger». Der Begriff sagt nämlich, da ist etwas, dass es mir eng macht. Ich glaube, dass die meisten von uns ein gutes Gespür haben dafür, wenn es Dinge gibt, oder Gedanken, oder Menschen, oder Beschäftigungen, durch die etwas in mir und etwas in unserer Beziehung eng wird.

Ich möchte dieses Bild des Engwerdens gar nicht ersetzen. Ich würde es als eine Aufgabe auffassen, eine Aufgabe, darüber nachzudenken, hineinzuspüren in das eigene Leben: wo geschieht so etwas mit mir? Vielleicht war es sogar so, dass es vorher weit, dankbar und fröhlich und ermutigend war, ein Mensch, mit dem es gut und weit gewesen ist, eine Aufgabe, die in mir Weite hervorgerufen hat, und das ist jetzt nicht mehr so. Es ist eng geworden.

NICHT STRAUCHELN, SONDERN STARK WERDEN

David führt diesen Gedankengang zu Ende, indem er sagt: Sie sind es, die «straucheln und fallen». Der Gedankengang ist der folgende: Es kommt mir etwas nahe. Es sind Bösewichte, die mir nahekommen, sie wollen mein Fleisch essen. Das ist nicht wenig, was sie da wollen. Sie zeigen, dass sie gegen mich sind. Vielleicht begreife ich das erst im Laufe dieses Prozesses. Ich fasse den letzten Satz vom «Straucheln und Fallen» so auf, dass diese Feinde meinen und man selbst auch meint: Am Ende bin ich es, der strauchelt und fällt.

David aber begreift etwas anderes. Nein, wenn dieser Prozess ins Bewusstsein kommt – das ist das, was wir hier tun und was David in diesem Psalm tut. Wenn ich mir offen vor Augen halte, was da mit mir geschieht, ist das Ergebnis nicht, dass ich strauchle und falle, sondern dass die anderen straucheln und fallen. Ich hoffe, dass das deutlich ist. Da ist ein Einfluss auf mein Leben, der mich in Bedrängnis bringt, damit ich falle. Und David begreift, wenn man durch diese Krise gut hindurch geht, wenn man vor ihr nicht flieht, sie nicht auf die Seite schiebt, sondern sie aushält, dann geht man gestärkt aus dieser Krise hervor.

DAS SCHÖNE UND DAS GEFÄHRLICHE – BEIDES KLÄRT

In dieser Krise wird man nicht straucheln und fallen, obwohl es zunächst genau danach aussieht. Jeder, der mit Menschen und mit Beziehungsgeschichten zu tun hat, der weiss, es gibt Beziehungen, die gehen nicht gut aus. Die werden eng und man weiss nicht, wo es hinführt. Es gibt aber durchaus und mit guter Hilfe auch in der Beziehung mit Gott den anderen Weg, dass man gestärkt aus dieser Krise hervorgeht. Dass die Beziehung mit Gott reift und stark wird und keine Spur davon, dass ich strauchle und falle. Das heisst nicht, dass es nicht gefährlich ist. Tatsächlich, vielleicht sieht es eine Zeitlang genau danach aus. Wenn an meinem Fleisch herumgefressen wird, weiss ich wirklich nicht, ob das gut herauskommt. Ich bewundere an diesem Anfang von Psalm 27, mit welcher Nüchternheit und Klarheit David seine Beziehung Gott gegenüber in den Blick nimmt. Er beginnt mit dem Schönen, mit diesen drei wunderbaren Bildern, aber er spricht sogleich auch von dem, was gefährlich ist, was Schmerzen bringt und die Beziehung an eine Grenze treibt. Damit ist aber noch nicht alles gesagt. Der Vers 2 ist der Anfang, nun kommt in Vers 3 mehr oder weniger dasselbe noch einmal.

DAVID HAT EIN ERFAHRENES HERZ

Und zwar rückt die nächste Gefährdung gleich doppelt heran. Das ist wohl bei uns Menschen so. Wenn man meint, man hat die Krise hinter sich gelassen, dann kommt sie gleich doppelt wieder. Aber man hat etwas gelernt durch die erste Krise. Man ist nicht mehr so hilflos wie beim ersten Mal. Luther übersetzt Psalm 27, Vers 3:

«Wenn sich ein Heer wider mich lagert.
So fürchtet sich dennoch mein Herz nicht.
Wenn sich Krieg wieder mich erhebt,
so verlasse ich mich auf ihn.»

Ich übersetze den Vers frei aus dem Hebräischen: «Wenn sich ein ganzes Lager um mich herum lagert» … «Lager» ist ein Fachbegriff für Israel, wenn es durch die Wüste geht und einen Lagerplatz sucht, oder wenn ein anderes Volk im Kriegszug kommt und einen Lagerplatz sucht und den Feind im Auge hat. So verwendet David dieses Bild und sagt: Die Krise kann so aussehen, dass sich ein ganzes Heer gegen mich lagert. Wohl ist einem bei einem solchen Bild nicht. Aber David hat sofort eine Antwort, nämlich: «Mein Herz fürchtet sich nicht». Woher hat David das? Wenn ein Heer, ein ganzes Lager sich um mich lagert, dann wäre es vernünftig und verständlich, dass einen die Furcht packt. David aber sagt, mein Herz fürchtet sich nicht. Warum? Er hat ein erfahrenes Herz. Das ist es, was einem in einer Beziehung zuwächst. Man bekommt Erfahrung. Man weiss und sagt, das kenne ich, das gab es auch schon. Ich lasse mich nicht einschüchtern, es sieht nach Katastrophe aus, aber so gross ist die Katastrophe nicht. Interessant ist, wie David das formuliert. Er sagt: durch meine Erfahrung, durch meine Lebensgeschichte hat mein Herz etwas gelernt. Es hat gelernt, dass man sich nicht bei allem sofort fürchten muss.

LERNEN, MIT FURCHT UMZUGEHEN

Das ist wie ein guter Freund, eine gute Freundin, die einem auf die Schulter klopft und sagt: So, jetzt nimm es einmal ein bisschen ruhig. Warte ein bisschen ab. Wenn du dich sofort fürchtest, wirst du nur blind. Wohl dem Menschen, der ein Herz in sich hat, das sich nicht sofort zu fürchten beginnt. Es kann sein, dass einem das geschenkt worden ist. Es gibt Menschen, die sind von ihrer Anlage her nicht so schnell in die Furcht zu treiben. Man kann sagen, die haben es wenigstens in dieser Hinsicht gut. Aber das ist auch etwas, das man lernen kann. Aus der Erfahrung des Lebens lernt das Herz mit der Furcht umzugehen. David fährt weiter – und ihr merkt, wie die Bilder immer grösser, schwerer, fast dramatisch werden. Da war es zuerst das Heerlager, das um ihn lagert, und jetzt kommt der Krieg.

ERST DAS LAGER, DANN DER KRIEG

«Wenn gegen mich aufsteht der Krieg» … Es ist nicht nur ein Lager, sondern plötzlich entsteht Krieg. Das sagen wir auch bei uns: Zuhause ist gerade Krieg. Es gibt Menschen, die lassen sich nicht erschrecken. Das ist gut so. David hat offensichtlich etwas gelernt. «Wenn aufsteht gegen mich der Krieg» – und nun kommt ein merkwürdiger Satz. Er ist nicht eindeutig zu übersetzen. Guckt euch den in verschiedenen Übersetzungen an, die ihr vorliegen habt. Eine Übersetzung sagt «dennoch vertraue ich». Ich bin nicht sicher, dass das Wort «dennoch» dasteht. Das hebräische Wort b’sot heisst eigentlich «dadurch». Ihr merkt, ich zögere etwas. Ich will in den Text nicht etwas hineinschmuggeln, nur weil es mir gefällt. Seid skeptisch auch mir gegenüber.

ETWAS LERNEN, WAS ICH SONST NICHT LERNE

Meine Übersetzung von Vers 2 und 3 würde lauten: Wenn Bösewichte aufstehen, wenn es anfängt, an mir herumzuknabbern, wenn ein ganzes Lager um mich herum entsteht und dann aus dem Lager auch noch ein Krieg wird, dass David dann sagt: «Und daran lerne ich etwas». Damit beginnt etwas. Es beginnt etwas, das ohne diese Bedrängnis, ohne diese Zuspitzung und Aufbäumung der Not in meinem Leben nicht gewesen wäre. Was ich nicht hätte lernen können. Dadurch lerne ich – das Wort «lernen» schmuggle ich hier hinein – zu vertrauen. Wir hatten das Wort «vertrauen» bereits in anderen Psalmen angesehen. Es muss ein Lieblingswort des David sein.

ICH BEGINNE ZU VERTRAUEN

Das Verb, das hier steht, heisst: sich an jemand ankleben. An jemand anhängen. Vertrauen heisst, sich mit jemandem so verbinden, dass man ihm anhängt. Sich wie mit einem Seil mit ihm verbindet, so dass, wenn es kracht, wenn es losgeht, die Verbindung nicht auseinandergeht. Dieses Wort steht hier. Wenn man das so nehmen kann, und ich sehe keinen Grund, warum nicht, dann würde das heissen: Wenn die Feinde kommen, die Bösewichte, wenn es leise anfängt, dann das Lager kommt, der Krieg kommt, das dann etwas anderes beginnt.

Es beginnt etwas, das ohne das die Bedrängung nicht beginnen würde, vielleicht auch nicht beginnen könnte. Ich beginne zu vertrauen. Eine Beziehung wächst durch das Schöne, das die Beziehung einem bringt. Das war das Thema von Vers 1, die drei Bilder: Du, Jahwe, bist mein Licht, bist meine Rettung, du bist meine Lebensburg. Drei starke unausdenkbare Bilder, die man nicht genug anschauen und bedenken kann. Eine Beziehung wächst aber nicht dort, wo es nur solche Bilder gibt. Es ist eine Illusion, wenn man meint, man wächst nur durch das Schöne. Wer das glaubt, der weiss vom Leben noch nicht allzuviel.

WERTSCHÄTZUNG DER KRISE

Es ist die Grösse der biblischen Texte, dass sie unglaublich viel vom Leben wissen. Ich sehe das Schöne und das Gute. Und David sagt, ich schaue auch das Notvolle und das Schwierige an. Auch in der Beziehung zu Gott. Es kann einen aufmerken lassen, dass David in seiner Beschreibung für das Positive einen Vers mit drei Bildern hat. Für das Schwierige hat er zwei Verse. Zählt einmal, wieviel Bilder er dort hat. Ein bisschen verhalten könnte man sagen: wir haben es hier mit einer Wertschätzung der Krise zu tun. Die Wertschätzung der Krise heisst: Durch sie – das ist ein starker hebräischer Ausdruck, den man auf deutsch kaum widergeben kann – beginnt etwas. Etwas, das auf diese Weise sonst nicht beginnen würde, nämlich ich beginne zu vertrauen. Ich hoffe, dass das verständlich geworden ist.

Ich hoffe vor allem, dass deutlich wird, wie schön das ist. Dass es schmerzhaft ist, begreift jeder. Aber gerade darin kommen wir Schritt um Schritt vorwärts und Schritt für Schritt aufeinander zu. Es sind zwei gute Verse. Wer sagt, das ist mir zu schwer, dem rate ich: bleibe doch beim Vers 1. Das darf man. Ihr habt ein Leben lang Zeit, das muss nicht heute sein und nicht in diesen Tagen. Wenn ihr euch hinter Vers 2 und 3 macht, dann fragt danach: Woher kenne ich das? Das Knabbern? Wo sind die weggebissenen Stellen, die ich sorgsam verberge? Vor allem aber: Wo und wie sieht das begonnene Vertrauen aus, das mir dadurch geschenkt worden ist? Es liegt eine grosse Stärke darin, wenn man diesen Weg geht.


Samstag, 11. März 2023
Ulrike schreibt: Und nun sind die Offenen Abende auch schon wieder vorbei ... Ich habe manches über Depression neu verstanden, vor allem, wie sie 'funktioniert'. Heidrun Kaletsch hat von den Ansprüchen gesprochen, die Menschen an sich selbst stellen, und was geschieht, wenn jemand sich weigert, das von ihm selbst gesetzte Soll (z.B.: "Ich bin verantwortlich für ..." zu hinterfragen und zu korrigieren. Ich meine: Letztlich geht es darum, im mir zugedachten und mir möglichen Mass zu leben. Es ist nicht schön, überfordert zu sein, es ist aber genausowenig schön, unterfordert zu sein. ... Ich selbst habe - durch meinen Vortrag am Mittwoch - Johannes vom Kreuz für mich entdeckt. Dass merke ich daran, dass ich Freude an ihm habe. Heisst: Freude an dem, was ich beim Lesen verstehe.

Heute fahren Wolfgang und ich zu den Schweige-Exerzitien nach Rasa/ins Tessin. Darum auch oben die Fotos aus Rasa. Ich bin froh, dass die Winterreifen noch auf den Felgen sind, denn es schneit vor sich hin. In Rasa versuche ich, euch an manchen von Wolfgangs Impulsen zu Psalm 27 teilhaben zu lassen und den einen oder anderen Impuls zu verschriftlichen.


Mittwoch, 8. März 2023
Ulrike schreibt: Das Wieder-Ankommen in Liestal geht schnell: ich habe Gottesdienste im Pflegezentrum umgelegt (wegen Baumassnahmen), zig Mails geschrieben, gestern die Abendfeier im Team vorbereitet (macht Spass) und den Impuls für heute Abend zu Ende vorbereitet ... Heute beginnen die Offenen Abende zu Erfahrungen von Dunkelheit. Ich werde heute über Johannes vom Kreuz und seine Seelsorge sprechen. Johannes wusste darum, dass es eine zunehmende Verbundenheit mit Gott gibt, und wie diese mit Entzugserfahrungen (mir fehlt etwas) und Erfahrungen innerer Dunkelheit zusammenhängt. Das wird spannend. Heute, 19.30 Uhr im Kirchgemeindehaus. Erstmals nach Corona wieder mit Apéro hinterher.

Dr. Heidrun Kaletsch kommt heute schon in Liestal an. Sie wird Abend dabei sein, was mich freut, und dann an 'ihren' beiden Abenden:

Donnerstag, 19.30 Uhr: Depression als Antwort auf die Welt
Wir betrachten die vielfältigen äusseren Umstände und inneren Überzeugungen, auf die wir - logischerweise! - mit depressivem Ver- halten antworten. Mit Beispielen aus der Praxis.

Freitag, 19.30 Uhr: Depression als Frage an mein Leben
Wir nähern uns den Fragen, die eine Depression ans eigene Leben stellt: wie lange muss ich kämpfen? Wann ist es Zeit, mir und anderen zu vergeben? Mit Beispielen aus der Praxis.


Montag, 6. März 2023
Ulrike schreibt: Gestern Morgen bin ich - die Sonne war hinter den Bergen Jordaniens aufgegangen und hat den Himmel rosa gefärbt - im See Genezareth geschwommen. Heute Morgen wache ich in Liestal auf. Wir sind gestern Abend gut mit Swiss in Zürich gelandet. Ich schreibe ein paar erste Eindrücke:

Die Reise war unglaublich schön. Anders kann man es nicht sagen. Ich habe kaum gemerkt, dass wir 54 Leute waren, so gut und aufmerksam waren alle miteinander unterwegs. Ohne jede Wartezeit zwischendurch. Von unserem Reiseleiter Assaf Zeevi haben wir gelernt: über das Land, das Miteinander, über politische und soziale Verhältnisse, über biblische Orte und Zusammenhänge. Unsere Reiseteilnehmer haben oft gesagt, dass sie das Land 'spüren'. Das lag sicher auch daran, dass der Anschlag in Nablus und die Morde in Jericho in unserer Reisezeit geschehen sind.

Im Nachhinein: ... Eigentlich hätte man alles dafür tun müssen, um bei einer solchen Reise dabei zu sein. Ich schaue, wann und wie ich eine solche Reise für unsere Freunde und Gemeinde wieder organisieren kann. Die Reisezeit war übrigens super, das Wetter ein Glück: sonnig und etwas über 20°C, das Land war in weiten Teilen grün, Mandelbäume, Anemonen und Alpenveilchen blühen, der Mittelmeerstrand war voll von Badenden.


Montag, 20. Februar 2023
Ulrike schreibt: Es war in der Kirchgemeinde viel los im Februar. Im Gottesdienst am 12. Februar bin ich für eine Kollegin eingesprungen, den Gottesdienst gestern hat unser Vikar mit der Gemeinde gefeiert. Er hat über die erste Leidensankündigung Jesu gesprochen (Markus 8): darüber, dass Jesus über seine Schwachheit redet und sich in all seiner Verletzlichkeit zeigt. Wie ist das mit unserer Verletzlichkeit? Jesus kann sich verletzlich zeigen, weil er alles - und vor allem sich selbst - in Gottes Händen aufgehoben weiss. Gott selbst wird es schlussendlich "gut machen".

Wir sind ab Samstag mit der Kirchgemeinde und vielen Freunden in Israel. Ich bereite biblische Impulse für die einzelnen Orte unserer Reise vor. Wenn wir in Gethsemane sind, am Ölberg, werden wir - wie gestern - wieder auf Jesus schauen: Wie Jesus gelernt hat zuzulassen, loszulassen und sich selbst - dem Vater - zu überlassen. Und dass das Vorgänge sind, die man nicht plötzlich kann, sondern die wir bereits im Leben einüben. Das sind Reifungsprozesse, die nicht nur Christen angehen, sondern die menschlich sind. Was sich im Sterben vollzieht, ist für uns alle gleich. Die Frage wird sein: Was bin ich bereit zuzulassen, was lasse ich los und wem will ich mich überlassen.

Wolfgang bereitet die Schweige-Exerzitien in Rasa (vom 11.-16. März) vor. Sie sind schon eine ganze Weile ausgebucht, trotz Anmietung zusätzlicher Zimmer. Wolfgang lädt also weitere Interessierte ein, im August teilzunehmen. Die nächsten Exerzitien sind vom 21.-26. August und/oder vom 26. bis 31. August. Wolfgang wird mit den Teilnehmenden Psalm 71 betrachten:

»AUCH WENN ICH ÄLTER WERDE, .... bleibe ich in Gottes Hand. Wie der Glaube mit dem Alter reifer werden kann.« Es geht nicht um das Alter an sich, sondern — unabhängig vom eigentlichen Alter — um Reifungsschritte, um Übergänge im eigenen Leben. Wo merke ich, dass sich in meinem Leben etwas verändert, etwas reifen und neu gestalten kann und muss? Das betrifft meinen Alltag, meine Beziehungen und Planungen, auch mein Bibellesen und nicht zuletzt meinen Wunsch, Gott immer tiefer zu verstehen.


Montag, 6. Februar 2023
Ulrike schreibt: Ich war an diesem Wochenende für einen Familien-Geburtstag in Berlin. Schön war es. Nun bin ich bald auf dem Weg zurück nach Liestal.

Am Samstag bin ich durch Zufall in einem Bach-Kantaten-Gottesdienst in einer Berliner Innenstadtkirche gewesen. Ich bin kurz vor sechs Uhr am Abend über den Breitscheidplatz gelaufen, die Glocken haben geläutet, und vor der Kirche hat jemand eingeladen. Ich war überrascht, wie viele Leute für diesen Abendgottesdienst in der Kirche waren, und zwar ganz normale Menschen von der Strasse. Auch: wieviel Sehnsucht muss da sein, nach Trost, danach, etwas Gutes zu hören. Angekündigt war die Kantate Nr. 82 ("Ich habe genug"). Es sind Worte, die dem alten Simeon in den Mund gelegt werden. Simeon ist einer, "der auf den Trost Israels wartete" (Lukas 2,25). Ihm wird von Gott zugesagt, dass er nicht sterben wird, bevor er "den Gesalbten des Herrn" gesehen hat. Und das passiert dann auch:

"Und als die Eltern das Kind Jesus in den Tempel brachten,
um mit ihm zu tun, wie es Brauch ist nach dem Gesetz,
da nahm er ihn (= Jesus) auf seine Arme und lobte Gott und sprach:
Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast;
denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen,
das Heil, das du bereitet hast vor allen Völkern,
ein Licht zur Erleuchtung der Heiden und zum Preis deines Volkes Israel."

Mich hat überrascht, dass die Pfarrerin nur allgemein über Sehnsucht gesprochen hat. Sie hat gefragt, welche Erwartungen wir haben, die ebenso unwahrscheinlich sind wie die des Simeon. Sie hat nicht über meine Sehnsucht nach Gott, über meine Sehnsucht nach dem Heiland gesprochen. Über das Warten auf denjenigen, der es gut werden lässt mit uns. Warum nicht? Was ist mit uns Hauptamtlichen und unseren Kirchen los? Ist es Angst, den Menschen zu nahe zu treten?

Dann heute am Morgen ein Kaffee mit L., der Pastorin aus dem Nachbarhaus. Sie hat in einem Ladengeschäft vor einigen Jahren zusammen mit ihrem Mann eine Freikirche gegründet. Ihr Anliegen ist es, Gemeinschaft zu bauen und zu leben. Ihre Gemeinde hat einen guten Zulauf an jungen Menschen. Interessanterweise gibt es keine Mitgliedschaft, sondern jede/r befindet selbst darüber, ob er dazugehört.


Sonntag, 29. Januar 2023
Ulrike schreibt: Gestern war Karl-Barth-Studientag in Zürich, und es muss sehr gut gewesen sein. Ich habe den Teilnehmenden am Morgen nur Grüezi gesagt und habe dann in Zürich eigene Angelegenheiten erledigt. Ich war in der Zentralbibliothek. Ganz in der Nähe habe ich in der Spitalgasse einen neuen Laden gesehen: einen Klosterladen. In den bin ich hineingegangen. Aus allen möglichen Klöstern der Schweiz, Frankreichs, Deutschlands, Österreichs gibt es deren Produkte: Kerzen, Seifen, Marmeladen, Weine, Weihrauch, Kunsthandwerkliches. Ein wirklich sehr schöner Laden. Wolfgang und ich können jetzt Williams Myrobolans (Konfitüre aus Birne und Kirschpflaume) aus der Abbaye Notre-Dame-de-l'Annonciation du Barroux aufs Brot streichen :-) .

Eine junge Frau, wahrscheinlich eine Studentin, hat bedient und ich habe sie gefragt, ob sie - die hier arbeiten - gläubig sind. Mir war klar, dass das so ist. Die junge Frau hatte etwas, was ich schon lange nicht mehr so unmittelbar an einem Menschen wahrgenommen habe. Ich hatte den Eindruck, ihr sehe ich an, dass sie glaubt, und ich müsse (erst) sagen, dass ich gläubig bin.

Die junge Frau sagte, dass der Klosterladen und der Andachtsraum zwei Häuser weiter zusammengehören. Im Andachtsraum werde ewige Anbetung praktiziert. An jedem Morgen feiere ein Priester die Eucharistie und dann sei der Raum den ganzen Tag über offen für Menschen, die an der ewigen Anbetung teilhaben. Ich bin also die Strasse wieder heraufgegangen und habe den Andachtsraum ('Oremus') betreten. Es ist ein nach aussen hin unauffälliges Ladenlokal, im Inneren schlicht und schön gestaltet. Man möchte die Schuhe ausziehen, weil es so wohnlich wirkt.

Im hinteren Teil des Raums ist eine fast lebensgrosse Krippenszene aufgebaut. In dieser steht eine Monstranz mit einer Hostie - also dem geglaubten Leib Christi. Ich habe mich zum Beten niedergelassen. Ich habe das schon eine Weile nicht mehr so stark erlebt, dass man in eine Atmosphäre des Gebets eintritt. Die Gebete der anderen sind bereits 'da', und man setzt sich einfach dazu. Man wird von der Atmosphäre des Gebets durchdrungen, ohne dass man selbst etwas macht.


Dienstag, 24. Januar 2023
Ulrike schreibt: Am Samstag, in vier Tagen, ist Studientag der Fritz-Blanke-Gesellschaft mit Heinz Bhend und mit Wolfgang. Die Fritz-Blanke-Gesellschaft ist ein Verein, bzw. ein Freundeskreis, der sich zum Ziel gesetzt hat, Glaube und Gesellschaft - also das, was uns als Christen im Kleinen und Grossen bewegt - ins Gespräch zu bringen. Am Samstag wird Heinz Bhend Karl Barth vorstellen und Wolfgang wird den Tag moderieren. Ich habe gerade nachgeschaut: vor knapp 3 Jahren haben Wolfgang und ich in Liestal einen Karl-Barth-Lesetag angeboten. Wir haben von Karl Barth, Theologische Existenz heute (1933) und Die christliche Gemeinde in der Anfechtung (1942) gelesen.

Ich meine, dass unsere Zeit Lehrer/innen braucht - wie Karl Barth einer war. Menschen, an denen wir denken, urteilen und formulieren lernen. Wer am Samstag (9.45-16.30 Uhr) - auch ohne Vorkenntnisse - teilnehmen möchte: mehr Infos findet ihr links bei ‹Studientage›. Herzlich willkommen! Ort ist die EMK (Evangelisch Methodistische Kirche) in Zürich, nahe beim Kunsthaus.


Montag, 23. Januar 2023
Ulrike schreibt: Manche von euch wissen, dass ich seit etwa drei Jahren regelmässig laufe und schwimme. Nicht besonders ‹viel›, aber tatsächlich regelmässig. Unser Schwimmbad und der Sportplatz sind nahebei und fast immer zugänglich. Abends trainieren die Fussballer immer noch bei Flutlicht, so dass es schön hell ist ;-)

Wenn ich schwimme oder laufe, geschieht etwas. Da entstehen meine Predigten oder ich finde eine Gliederung für einen Vortrag/ für eine Veranstaltung. Es ist als ob im Rhythmus des Laufens einzelne Puzzleteile wie von selbst ineinander fallen. Ich kann mir dabei zuhören, wie es 'klack-klack-klack' macht. Plötzlich habe ich eine Idee, es entsteht ein inneres Bild. ... Wahrscheinlich kennt ihr das auch. Es gehen ja viele laufen oder walken oder ... sonstetwas machen.

Wichtig ist, dass ich in meinem eigenen Rhythmus und Tempo unterwegs bin. Wenn noch zwei weitere Schwimmer in meiner Bahn sind und ich darum mitdenken muss, schneller oder langsamer werde, dann entstehen keine Predigten. Es braucht die gleichförmige, vielleicht sogar monotone Bewegung oder Arbeit, damit sich das Innere sortieren kann. Gleichförmige Bewegung hilft, dass Gelesenes, Erlebtes, Durchdachtes ... sich zuordnet und seinen Platz findet. Ich stelle mir vor, dass in früheren Zeiten Menschen bei der Feldarbeit nicht bewusst nachgedacht haben. Dass aber die Impulse, Predigten, Gespräche, die sie gehabt haben, bei dieser körperlichen Arbeit in ihnen Wurzeln geschlagen haben. Arbeit war nicht nur Arbeit, sondern auch Zeit der inneren Aneignung.

Gestern war ich - nach dem Ökumenischen Gottesdienst in der Stadtkirche - im Kunstmuseum Basel. Da gibt es gerade eine Ausstellung Zerrissene Moderne. Die Basler Ankäufe «entarteter» Kunst. 1937 hat das Kunstmuseum Basel gut 20 Bilder (eine Skulptur) gekauft, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt und international weiter verkauft bzw. versteigert wurden. Diese Bilder (Chagall z.B.) sind aktuell in der Ausstellung zu sehen, und ebenfalls auf Fotos und in Filmen von 1937. Der Besuch der Ausstellung lohnt sich unbedingt. Es braucht Zeit, wenn man historischen Aufnahmen ansieht und die damaligen Ausstellungskataloge und Protokolle liest, es ist aber wirklich interessant: Zerrissene Moderne


Freitag, 20.Januar 2023
Ulrike schreibt: Ich komme gerade nicht zum Erzählen, weil ich viel unterwegs bin in unserer Kirchgemeinde. Heute feiere ich eine Abdankung, dann Standort-Gespräch mit unserem Vikar, dann Vorbereitung der Abendfeier (5. Februar) ... und dann ist wieder Luft.

Unbedingt hinweisen möchte ich euch auf drei Offene Abende Anfang März 2023. Es geht um Erfahrungen von Dunkelheit - in ärztlicher und in biblisch-seelsorgerlicher Perspektive. Ich freue mich riesig, dass Heidrun Kaletsch wieder mit von der Partie ist. Sie wird als Ärztin und Therapeutin an zwei Abenden über Depression sprechen und wird auch am ersten Abend - den ich zur ‚Dunklen Nacht der Seele‘ nach Johannes vom Kreuz vorbereite - mit dabei sein.

Hier ist der Flyer 2023.03 DUNKELHEIT und DEPRESSION (Offene Abende)

Beim Ausblick seht ihr, dass wir vom 12.-14. Mai 2023 zu einer Frauen-Begegnung nach Liestal einladen. Im September des letzten Jahres waren wir - einige Schweizer Frauen - für eine solche Begegnung in Berlin. Es war ein schönes Miteinander und vor allem war es super inspirierend. Der Flyer erscheint bald. Wer in Liestal für dieses Wochenende eine Frau beherben kann, Gastgeberin sein möchte, kann sich bitte bei mir melden.


Samstag, 7. Januar 2023
Ulrike schreibt: In den letzten zehn Tagen habe ich viel gearbeitet, richtig viel. Gottesdienste, Besuche, Beerdigungen. Und immer kam noch etwas dazu .... Ich bin sehr dankbar, denn es ging - in meinen Augen - alles "gut". Überhaupt habe ich den Eindruck, auf für mich sehr gute Wochen zurück zu schauen. Nach Weihnachten war ich kurz in Berlin, bei meiner Familie, und habe auch da Besuche gemacht. Ich habe Verwandte, die ich über Jahrzehnte hin wenig gesehen habe. Ich empfinde es als beglückend, dass wir uns nocheinmal "wirklich" unterhalten können. Ich habe den Eindruck, dass ich in den älteren Verwandten etwas von meinem eigenen Altwerden sehe; etwas davon, wie ich einmal sein werde. Keine schlechten Aussichten 😎

Wolfgang und ich lesen neben dem täglichen Bibelabschnitt ein theologisches Buch miteinander. Das ist Gesetzlichkeit in der Predigt der Gegenwart, 1966. Das Buch ist unglaublich gut. Es öffnet den Blick für die eigene Predigtpraxis. Josuttis zeigt am Beispiel tatsächlicher Predigten, wie Gesetzlichkeit unabhängig vom Frömmigkeitsprofil des Predigers/ der Predigerin funktioniert. Wie der Prediger die gute Nachricht an Voraussetzungen bindet, die die Gemeinde zu erfüllen hat. Die Gemeinde wird aufgefordert, sich selbst anzueignen, was Gott doch versprochen hat zu geben. Dieses Büchlein ist keine Habilitationsschrift, aber Grundlage für die Berufung von Josuttis zum Professor für Praktische Theologie.

Ich selbst habe von Juli Zeh das Büchlein Über Menschen, 2022 gelesen. Eine junge Frau zieht in der Corona-Zeit in ein Dorf in Brandenburg. Sie hat damit zu tun, sich selbst und den paar andern Menschen im Dorf auf die Spur zu kommen. Sehr schöner und kluger Roman; Juli Zehs Beobachtungen haben mir gut getan.

Ich bin jetzt nochmals kurz in Berlin. Wir hatten im September 2022 ein Frauen-Begegnungswochenende in Berlin. Das war beglückend und interessant. Morgen werden wir uns nochmals treffen - mit denen, die so spontan können. Wir essen zu Mittag und haben dann als Impuls-Thema die Sehnsucht/ Notwendigkeit von Resonanz: Menschen wollen/ müssen gehört werden. Was braucht es dafür? Der Soziologe Hartmut Rosa ist mit dem Resonanz-Thema zumindest im kirchlichen Raum ziemlich populär geworden. Felicia Schulz - eine Psycholgin - wird den Impuls morgen vorbereiten.


Sonntag, 01. Januar 2023
Wolfgang schreibt: Es war tatsächlich eine Neujahrs-Predigt, die Jesus damals in Nazareth gehalten hat. Ohne Vorbehalt hat er den Menschen Gottes Freiheit, Gottes Gnade zugesprochen. Das Echo: Sie sind erstaunt und beglückt - und gleichzeitig entsetzt und voll Widerstand. Trotzdem: Jesu Zusage gilt und erfüllt sich bis heute: Ein Gnadenjahr beginnt. Die Neujahrspredigt von Ulrike Bittner in der Stadtkirche Liestal (Lukas 4,14-21) können Sie gleich hier anhören: EIN GNADENJAHR BEGINNT — NEUJAHR 2023 (Lukas 4,14-21)


Ganz unten auf dieser Seite [dort, wo die Buchstaben blau werden] können Sie diese Predigt herunterladen unter: »EIN GNADENJAHR BEGINNT — NEUJAHR 2023«



Sonntag, 25. Dezember 2022
Wolfgang schreibt: Aus der Weihnachtsgeschichte lässt sich keine prunkvolle Märchenerzählung machen. Na, vielleicht könnte man das. Aber das Geheimnis Gottes, das über dieser Erzählung liegt, hätte man damit zerstört. Dabei sind wir immer wieder erstaunt, wie kraftvoll uns Gottes Wahrheit in diesem schlichten Bericht von Lukas entgegen kommt. Es ist Gott, der mit seiner Suche nach uns Menschen begonnen hat und immer wieder neu beginnt.

Auf diese Weise hat Ulrike gestern in der Christnacht die Weihnachtsgeschichte in der Stadtkirche Liestal erzählt. Sie können diese Predigt gleich hier nachhören:




Samstag, 24. Dezember 2022
Wolfgang schreibt: Als meine Kinder noch klein waren, da gehörte zum Heiligabend jeweils ein ausgiebiger Weihnachtsspaziergang: im Wald und erst noch im Schnee - so jedenfalls in unserer Erinnerung, derjenigen der Kinder und auch von mir. Entscheidend am Spaziergang aber war »die Geschichte« (von Peter Rosegger). Sie gehörte unbedingt zum Heiligabend, ja - sie musste ganz einfach sein. Und jetzt, wo ich älter geworden bin und meine Kinder keine Kinder mehr sind, holt uns die Sehnsucht nach dieser Geschichte immer noch und immer wieder ein. Hier ist sie also. Diesmal nicht mehr frei erzählt und ohne verschneiten Wald. Dafür aus dem Band mit den Weihnachtserzählungen von Peter Rosegger vorgelesen. Hier kann man sie sich direkt anhören:

»Als ich Christtagsfreude holen ging.«


Freitag, 23. Dezember 2022
Ulrike schreibt: Morgen ist bereits Heiligabend. Ich werde (krankheitsbedingt) den Christnacht Gottesdienst morgen um 22.30 Uhr (Stadtkirche) feiern. Bin gerade am Vorbereiten und hoffe, dass ich die Musiker/innen heute bei der Probe persönlich treffen kann, um den Ablauf miteinander durchzugehen. Ich lasse die Weihnachtsgeschichte in kleinen Abschnitten - und spontan - von der Kirchgemeinde lesen. Die Abschnitte werden dann jeweils mit einer gemeinsamen Liedstrophe oder einer kurzen Musik von Yaroslav Kutsan (Flöte), Natalia Dytyuk (Gesang) und Ilja Völlmy (Orgel) aufgenommen. ... Soweit jedenfalls die Idee :-)

Wolfgang und ich haben wieder einen Weihnachtsbaum im Wohnzimmer - wunderschön. Unser ebenfalls schöner Adventskranz hat übrigens vor ein paar Tagen Feuer gefangen. Der stand in hellen Flammen und ich habe eine Decke über die Kranz geworfen, um die Flammen zu ersticken. Alles ging noch einmal gut.


Montag, 19. Dezember 2022
Ulrike schreibt: Aus Graz sind Wolfgang und ich jetzt schon eine Weile zurück. Eine tolle Stadt, vielseitig, jung und vielfältig osteuropäisch. Wir haben uns dasselbe Hotelzimmer fürs nächste Jahr reserviert - obwohl keiner weiss, was dann mit uns und mit der Welt sein wird.

Am Wochenende des vierten Advent, also bis gestern, haben wir dann Familien-Weihnachten mit Wolfgangs Kindern und Grosskindern gefeiert. In einem kleinen gemütlichen Hotel im Jura - wunderschön. Und direkt auf einer Anhöhe gelegen, ohne irgendwas anderes drum herum als verschneite Wiesen und Äcker, Wald und Weite.

Seit heute bin ich wieder in der Kirchgemeinde unterwegs. In der Weihnachts- und der Neujahrswoche habe ich Beerdigungsbereitschaft. 'Meinen' Gottesdienst am Heilig Abend (22.30 Uhr) feiert Joshua Henrich, unser Vikar. Der macht das super. Ich bin dann am Neujahrsmorgen, Sonntag, 1. Januar, in Liestal (9.30 Uhr) und auf dem Seltisberg (11 Uhr) dran. Wer auf diese Weise mit ins neue Jahr starten will - ich freue mich auf euch.

Danke für die Rückmeldungen, die ich zu meinem letzten Eintrag bekommen habe! Ich habe die Frage gestellt, wie es sich in einer Welt, die zunehmend von Digitalisierung und Globalisierung geprägt ist, mit Lernprozessen verhält. Wer lernt eigentlich von wem? Wir sind als Kirche eine wissensbasierte Gemeinschaft. Darum müssen wir fragen, was Wissen ist und wie wir es heute vermitteln.

Hier gebe ich euch Teil an den Beobachtungen einer Freundin aus dem Süddeutschen. Sie hat mir geschrieben:

"In der digitalen Welt ist Wissen in einer Geschwindigkeit und Umfänglichkeit sehr vielen Menschen zugänglich, wie nie zuvor in der Geschichte. Bemerkenswert finde ich dass Du schreibst: "Dieses Wissen muss gehört, vermittelt und angeeignet werden." - also den Prozess des Umgangs mit Wissen bedenkst.

Ich lese gerade von Richard Rohr "Pure Präsenz - Sehen lernen wie die Mystiker". Er schreibt: "In der westlichen Welt ist die Religion seit langem damit beschäftigt, den Menschen mitzuteilen, was sie wissen sollen, anstatt wie man zur Erkenntnis gelangt; sie sagt den Menschen vor allem, WAS sie sehen sollen, anstatt WIE sie sehen sollen. Das hat dazu geführt, dass wir nur eine schwache Ahnung vom Heiligen haben, dass wir versuchen, mit beschränktem Horizont Grosses zu verstehen und Gott mit unserem kleinen, zersplitterten Herzen zu lieben. Es ist, als betrachte man die Galaxis mit einem Billigfernglas aus dem Supermarkt." (S.38)

"Menschen neigen dazu zu meinen, sie hätten eine Sache verstanden, wenn sie einer Vorstellung davon zugestimmt oder nicht zugestimmt haben. Dem ist nicht so, sagt der Kontemplative. Es ist notwendig der Sache selbst zu begegnen."

Den zweiten Satz finde ich bemerkenswert auch im Hinblick auf soziale Medien, in denen Kommunikation und "Wissensbildung" ja häufig über das "liken" von Kurzstatements läuft.

Deine Frage nach: "Aber wer steuert heute die Prozesse der Wissensvermittlung? Sind es die 60jährigen oder die 20jährigen, und in welchem Setting, in welchen Formen des Miteinanders geschieht das?" finde ich somit extrem relevant für die gesellschaftliche Relevanz und alle Reform- und Erneuerungsbewegungen der Kirche.

Neulich war ich in einem besonderen Gottesdienst. Er war gut vorbereitet. Kreative Texte. Bilder und Beamer. Ansprechende Lieder. Beteiligung unterschiedlicher Menschen, Theologen und Nicht-Theologen, Männer und Frauen kamen zu Wort. Interessante und durchaus nachdenkenswerte Inhalte. Eigentlich sollte man meinen, dass ein solcher Gottesdienst die Seele nährt. Nach meinem Empfinden tat er das aber nicht. Ich fragte mich warum. Und kam darauf, dass dieser Gottesdienst wie eine Gedenkveranstaltung für den Gründer der Bewegung und seine Ideen konzipiert war. Niemand schien mit der Präsenz Gottes zu rechnen (Ich vielleicht auch nicht 😉 - obwohl ich mit Sehnsucht kam). Nirgendwo wurde ein freier Raum gelassen, um achtsam zu werden dafür, dass Christus mitten unter uns ist. Es war ein gutes und schönes Programm, richtige und wichtige Aussagen. Aber kein Raum zum Hören auf den EWIGEN. Nicht mal beim Beten.

Mir scheint viele Gottesdienste sind (vermutlich unbewusst) eher als Gedenkveranstaltungen konzipiert, statt als Begegnungsräume mit Christus. Und es ist meines Erachtens nicht nur das Programm, sondern auch die Haltung, in der diese Gottesdienste gefeiert und zelebriert werden. Richard Rohr schreibt: "Europa hat ein Theoriekonzept von Christentum wirklicher Gemeinschaft vorgezogen." (S.46) ...." Bis hierher.

Sehr interessant!! Danke für deinen Beitrag.
Mir sind die Äusserungen von Richard Rohr zu plakativ, aber ich weiss, was er meint. Ich selbst meine: Man muss nicht "Mystiker" werden, um sein "Billigfernglas" abzulegen, Gottes Wege wahrzunehmen und IHN zu lieben. Dafür reicht der ganz normale, von Gott geschenkte Glaube, aber der muss eben vermittelt und geübt werden (= unsere Ausgangsfrage: wie?).


Dienstag, 13. Dezember 2022
Ulrike schreibt: In den letzten Tagen ist es sonnig geworden. Oben im Bild seht ihr den Uhrturm auf dem Schlossberg in Graz. Gestern sind Wolfgang und ich mit der Seilbahn hochgefahren, heute steige ich nochmals zu Fuss hinauf. Die Luft ist klar und hell, der Blick geht weit in die Steiermark.

Normalerweise lesen und übersetzen Wolfgang und ich fortlaufend einen Abschnitt aus dem Alten Testament. In diesen Tagen in Graz sind wir für einen Abstecher ins Neue Testament gewechselt und lesen - auf griechisch - nochmals die Offenbarung des Johannes. Wir hatten sie - zusammen mit einigen von euch - bereits Anfang 2020 sorgfältig gelesen und für uns ausgelegt. Ich habe das Bedürfnis, sie wieder zu lesen, nochmals hinzuschauen und nochmals zu hören.

In diesen Tagen habe ich auch Podcasts gehört: mit Gewinn das Gespräch der ZEIT Redaktion mit Sascha Lobo (im Podcast Alles gesagt? auf Spotify). Sascha Lobos Herzensthema ist das Leben in einer digitalisierten und globalen Gesellschaft: dass und wie sich die deutsche Politik und Bevölkerung auf den gesellschaftlichen Wandel einstellen können. ... Was mich daran beschäftigt: Sascha Lobo meint, dass sich Lernprozesse in den letzten Jahren umgekehrt haben. Die jungen Leute lernen nicht mehr von den Älteren, denn deren (= unser) Wissen wurde in einer Welt erworben, die in dieser Weise nicht mehr existiert. Unsere Lebens- und Kommunikationsbedingungen haben sich grundlegend geändert. Darum müssen die Älteren von den Jungen lernen, weil diese schon mit der Muttermilch eine neue Art von Welt-Kenntnis aufgesogen haben.

Meine Frage: Was heisst das für uns als evangelische Kirche? Ich denke, dass an Lobos Aussagen viel Wahres ist, und das möchte ich genauer fassen können. Die evangelischen Kirchen in Deutschland und der Schweiz sind in ihren institutionellen Aspekten in der Auflösung begriffen. Die Kirche als Mehrheitskirche gibt es nicht mehr, auch wenn viele der in ihr Beschäftigten das nicht sehen und immer noch meinen, "reparieren" und "einige Strukturen erneuern" zu können.

Ich gehöre in dieser Hinsicht nicht zu den "Vielen". Ich bin in einer Kirche zum Glauben gekommen, die bereits Minderheitenkirche war: in einem Berliner Hochhausviertel. Übrigens demselben Viertel, in dem Sido wenig später aufgewachsen ist und Karriere gemacht hat. Auch Wolfgang ist in Österreich in der evangelischen Kirche als einer gesellschaftlichen Minderheit zum Glauben gekommen. Das heisst, wir beide sprechen und denken über Kirche von Anfang an aus der Position des Nicht-Selbstverständlichen. Für die meisten jüngeren Menschen in Deutschland und der Schweiz ist Kirche heute nicht selbstverständlich. Glaube und seine Gestaltung sind begründungspflichtig, sind neu zu denken und zu erleben.

Mit Sascha Lobo kann man fragen, wer sich für wen als Lehrmeister versteht. Wer ist es, der sein Wissen teilt und die Kirchen zu ´retten´ versucht? Es sind faktisch überwiegend Christen - fast nur Männer - , die ihr Gehalt von der Institution beziehen und die damit ein Eigeninteresse - ihre Selbsterhaltung - haben. Das meint die materielle Selbsterhaltung, aber vor allem den Anspruch darauf, dass die eigene Weltdeutung weiterhin wichtig ist.

Wie ist das also mit christlicher Wissensvermittlung in einer digitalisierten und globalisierten Gesellschaft? Ein Schwerpunkt meiner Dissertation war, dass Kirche als Gemeinschaft immer wissensbasiert ist. Wir sind einander nicht durch gemeinsame Gesinnung verbunden (= Wir finden dasselbe gut), sondern durch den Bezug auf ein Wissen, nämlich auf dieselben Herkunftserzählungen (= Bibel).

Biblische Erzählungen sind ein Wissen, das auch heute gehört, vermittelt und angeeignet werden muss. Die Bibel wird im wechselseitigen Gespräch möglichst verschiedener Menschen immer neu adaptiert und angeeignet. Biblisches Wissen hat sich also auch in einer digitalisierten und globalen Gesellschaft nicht 'erledigt'. Aber wer steuert heute die Prozesse der Wissensvermittlung? Sind es die 60jährigen oder die 20jährigen, und in welchem Setting, in welchen Formen des Miteinanders geschieht das? ... Das als kleiner Einblick in die Fragen, die mich beschäftigen.


Samstag, 10. Dezember 2022
Ulrike schreibt: Ich habe gerade meine Predigt vom letzten Sonntag - dem zweiten Advent - verschriftlicht. Das Miteinander von Evangelium (Lukas 21,25-29: Jesus kommt am Ende der Zeit wieder) und Predigttext (Hohelied 2,8-13: Liebeslied) ist faszinierend:


BEGRÜSSUNG «Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.» Mit diesem Wort von Jesus Christus aus dem Lukasevangelium grüsse ich Euch herzlich zum Gottesdienst am 2. Advent. Richtet Euch auf, wendet Euer Gesicht ihm zu, er kommt! Am 2. Advent feiern wir in den Kirchen das zweite Kommen von Jesus Christus. Sein erstes Kommen liegt hinter uns. Jesus wurde vor gut 2000 Jahren geboren. In eine Kultur, ein Land, eine Geschichte hinein. Sein zweites Kommen liegt zeitlich vor uns. Jesus wird noch einmal kommen, das sagt er selbst. Noch ist es nicht soweit, noch warten wir darauf. Wenn ich dann komme, sagt Jesus, dann komme ich sichtbar und gewaltig. Nicht nochmals so verborgen wie in der Weihnacht in Bethlehem. Sein zweites Kommen wird für alle sichtbar und gewaltig sein. Und dann «hebt eure Häupter und schaut mir entgegen!»

EVANGELIUM Ich lese aus dem Evangelium, es steht bei Lukas 21 (Verse 25-29).

Jesus sagt: «Und es werden Zeichen geschehen an Sonne und Mond und Sternen, und auf Erden wird den Völkern bange sein, und sie werden verzagen vor dem Brausen und Wogen des Meeres. 26Und die Menschen werden vergehen vor Furcht und in Erwartung der Dinge, die über den Erdkreis kommen. Denn die Kräfte der Himmel werden ins Wanken kommen.
27Und dann werden sie den Menschensohn kommen sehen – das ist er selbst – in einer Wolke mit grosser Kraft und Herrlichkeit. 28Wenn aber das zu geschehen beginnt, dann seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.»

PREDIGT Unsere Predigt beginne ich mit einer kleinen Erzählung, die wahr ist. Jedenfalls so wahr, wie sich mein Mann nach knapp siebzig Jahren erinnert. Er erzählt, dass er als kleiner Junge zum Arzt musste. Sein älterer Bruder hatte Scharlach. Da nahm die Mutter ihren Sohn, er war damals 4 oder 5 Jahre alt und ging mit ihm zum Arzt. Der sollte gucken, ob er, der kleine Bruder, sich ebenfalls mit Scharlach angesteckt hat. Die Mutter kam also mit dem Kind in die Ordination. So heisst eine Arztpraxis in Österreich. Da empfing sie eine gewaltige Krankenschwester. In der Erinnerung des Jungen ist die Frau riesengross. Der Junge war mit beiden Frauen allein im Raum und die Krankenschwester sagte «Jetzt ziehst du dich schon mal aus». Und der Junge konnte es nicht. Er konnte sich nicht rühren. Ob er begonnen hat zu weinen – er weiss es nicht mehr. Er hat es nicht übers Herz gebracht, sich unter den Augen der beiden Frauen seine Kleider auszuziehen. Dann betrat der Arzt das Behandlungszimmer. Er sah mit einem Blick, was vor sich ging. Er schickte die beiden Frauen aus dem Zimmer und blieb mit dem Kind zurück. Der sieht das freundliche Gesicht, die Augen, die Stimme des Arztes. Als dieser dann sagt «Und jetzt lass mich mal schauen», da geht es.

WER KOMMT AUF MICH ZU?

In dieser Geschichte kommen zwei Dinge zusammen. Da kommt einer und schaut und urteilt. In der Geschichte schaut der Arzt, wie es um den Jungen steht. Für uns: Wir Menschen sind bloss. Wir haben nichts, was wir dann schützend oder bedeckend vor uns halten können. Und nun das zweite. Es macht es einen Unterschied, wer uns, wer mich anschauen wird. Wer ist es? Das wird Gegenstand der Predigt sein. Wenn Jesus ein zweites Mal kommt, wenn er auf uns und die Welt zukommt, sichtbar, gewaltig: Wer ist es, der auf mich zukommt? Wer ist er? Der Predigttext für den zweiten Advent ist ein kleiner Abschnitt aus dem Buch Hohelied, Kapitel 2, ab Vers 8 (bis 13). Man kann sich wundern, dass dieses Wort für den zweiten Advent ausgesucht wurde. Er gibt die Antwort darauf: wer kommt auf uns zu? Ich lese:

Horch, … mein Geliebter!
Sieh, da kommt er,
springend über die Berge,
hüpfend über die Hügel.
Einer Gazelle gleicht mein Geliebter
oder dem jungen Hirsch.
Sieh, da steht er
hinter unserer Mauer
schaut herein durch die Fenster,
späht durch die Gitter.

Mein Geliebter antwortet und spricht zu mir:
Steh auf, meine Freundin,
meine Schöne, und komm!
Sieh doch, dahin ist der Winter,
vorbei, vorüber der Regen.
Die Blumen sind hervorgekommen im Land,
die Zeit des Singens streckt sich aus
und die Taube lässt sich hören in unserm Lande.
Der Feigenbaum lässt seine Früchte reifen,
und die Weinstöcke blühen und duften.
Steh auf, meine Freundin,
meine Schöne, und komm!

ZWEI, DIE EINANDER ENTGEGENEILEN

Wir hören hier eine Liebeserzählung, ein Liebeslied in der Bibel. Es ist eins von mehreren im Buch Hohelied. Dieses Lied erzählt von zwei Menschen, hier: von Mann und Frau. Die beiden suchen sich, sie bewegen sich aufeinander zu. Es ist die Frau, die spricht. Sie ruft ihren Gefährtinnen zu: «Horch, mein Geliebter, er kommt». Der Geliebte kommt: er hüpft, er eilt seiner Freundin entgegen. Es ist ein Lied von zwei Menschen, die sich suchen und die einander entgegeneilen. Da haben wir schon ein erstes Kriterium für das Lieben. Es sind zwei, die einander entgegeneilen, zwei, die einander erwarten, zwei, die einander suchen. Wie wäre es, wenn nur einer eilt und der andere sitzt Zuhause und tut gar nichts? Wir würden es wohl als traurig empfinden.

WORTE DER FREUDE ÜBER DEN ANDEREN

In diesem Lied sind es zwei, die Ausschau halten nach jeweils dem anderen. Zu diesem sich aufeinander hin Bewegen, zur Suche nacheinander, kommt, dass sie in Lob übereinander ausbrechen. Die Frau nennt ihren Freund kraftvoll und schnell «wie eine Gazelle, einen jungen Hirsch». Er muss schon hübsch gewesen sein, der junge Mann. Eilend, beweglich zu ihr hin.

Und er, der Mann, nennt seine Freundin «du Schöne», das ist hebräisch «Jaffa». Jaffa ist auch der Name der Stadt südlich von Tel Aviv. Die Stadt heisst so, und der Liebende nennt seine Freundin ebenfalls «du Schöne». Sie geben einander lobende Worte. Gut reden übereinander: das ist ein zweites Kriterium für das Sich-Lieben. Dass ich Worte der Freude über den anderen habe. Und wieder: Beide haben sie füreinander, nicht nur der eine für den anderen. Und dann finden sie sich. Er schaut durch das Fenster des Hauses, durch das «Gitter». Das sind Holzgitter, damit die Tiere nicht hinein springen in die Häuser. Durch das Holzgitter erspähen sie sich und finden sich.

SO GEHT ES ZWISCHEN GOTT UND SEINEM VOLK ZU

Das ist ein schönes, aber nicht überraschendes Lied über die Liebe zweier Menschen.
Was heisst das für diesen Sonntag, für den zweiten Advent? Unser Lied steht in der Bibel. Warum steht es in der Bibel? Weil es weiss: So geht es nicht nur zwischen zwei Menschen zu, so geht es zwischen Gott und seinem Volk zu! Deswegen ist es in die Bibel aufgenommen. Ein solches Liebeslied ist ein Bild dafür, wie es zwischen Gott und seinem Volk zugeht. Gott ist einer, der sein Volk liebt. Wir sind seine Freundin, eine, die IHN liebt. Sowohl im Judentum als auch in der Kirche sehen wir es so. Ein Liebeslied spiegelt wider: so geht es zwischen Gott und uns zu. Wechselseitig, liebend, vibrierend.

ALLES WIRD ZUM SPIEGEL DER LIEBE

Und nun ein letztes. Ihr habt gemerkt, dass die ganze Schöpfung, die Natur, ebenfalls blüht, feiert und vibriert (Vers 11-13): Die Regenzeit endet. Die Blumen kommen hervor. Wer Israel kennt, der weiss, dass es gewaltig ist, wenn es im Februar zu blühen beginnt. Die Zeit des Singens streckt sich aus. Im Hebräischen steht wirklich das Wort für «sich Ausstrecken». Die Taube lässt sich hören mit ihrem Gurren, Feigenbaum und Weinreben knospen und blühen.
Die ganze Schöpfung ist ein Spiegel der Liebe. Man könnte seine Liebe ja auch verstehen als ein einsames Ereignis: wir zwei haben es gut und warm in einer ansonsten kalten und dunklen Welt. Unsere Liebe ist wie eine kleine Insel in einer Welt, die von Liebe nichts weiss.

Im Hohelied und in der Bibel ist es anders. Alles um die beiden Liebenden herum wird zum Zeichen und zum Spiegel ihrer Liebe. Alles um sie herum bricht auf und blüht. Ich meine, dass liebende Menschen es tatsächlich so erleben. Wir sind mit unserem Lieben nicht allein. Unser Lieben ist ein Spiegel dessen, dass Gott selbst als Liebender zu uns kommt. Er sucht den, der ihn liebt. Wir sind Liebende, die aufeinander zugehen.

Jesus Christus kommt ein zweites Mal, das feiern wir am zweiten Advent. Wir haben sein Kommen nicht in der Hand. Wir können sein Kommen weder kontrollieren noch steuern. Wir können IHN aber erwarten. Jesus Christus hat von sich selbst gesagt, ich komme wieder. Und wer kommt wieder? Es ist der Geliebte, der seine Freundin sucht. Amen.


Donnerstag, 8. Dezember 2022
Ulrike schreibt: Wolfgang und ich sind für einige Tage in Graz in der Steiermark - der Heimat von Wolfgang. Es ist einige Jahre her, dass wir das letzte Mal hier waren. Ich freue mich vor allem auf das 'Zeit haben': Zeit haben mit mir selbst, mit Gott, mit Wolfgang. Gestern habe ich lange in einer grossen Buchhandlung gestöbert: gucken, was es so alles gibt an Neuerscheinungen und in Themengebieten, die mich interessieren.

Als Nicht-Einheimische merke ich - ausser der Preissteigerung - keinen Unterschied zur Adventszeit 'vor Corona und der Energiekrise'. Die Weihnachtsmärkte und die Lokale sind rappelvoll von Menschen, teilweise kann man abends nicht einmal mehr reservieren, weil bis Weihnachten ausgebucht. Wir waren gestern Abend im Opernhaus in Die verkaufte Braut von Bedřich Smetana. Mir hat die Inszenierung nicht so gut gefallen, weil überladen mit erdachten Details und Effekten. Aber Wolfgang liebt die Musik, darum trotzdem prima.

Ich liebe das Schwimmen und gehe heute ins Auster-Sportbad in Graz-Eggenberg. Mal gucken, wie voll es ist, weil heute ein katholischer Feiertag ist: Mariae Empfängnis. Das Bad ist für Wettkämpfe gebaut, ist gross und tief - eine Freude für Menschen, die gern schwimmen.


Sonntag, 4. Dezember 2022
Ulrike schreibt: Und schon ist zweiter Advent! Wir wünschen euch einen schönen und erwartungsfrohen Tag. Am 2. Advent erwarten wir das zweite Kommen von Jesus Christus. Sein erstes Kommen - die Geburt, die wir an Weihnacht feiern - liegt hinter uns. Sein zweites Kommen liegt vor uns, es steht noch aus. Jesus kommt uns entgegen, dann aber - anders als wir es an Weihnacht feiern - gewaltig und sichtbar für alle. ... Ich predige heute in Liestal (9:30 Uhr) und Seltisberg (11 Uhr) darüber, wer uns da entgegenkommt. Der vorgeschlagene Predigttext ist aus dem Hohenlied, Kapitel 2,8-13:

Horch, … mein Geliebter!
Sieh, da kommt er,
springend über die Berge,
hüpfend über die Hügel.
Einer Gazelle gleicht mein Geliebter
oder dem jungen Hirsch.
Sieh, da steht er
hinter unserer Mauer
schaut herein durch die Fenster,
späht durch die Gitter.

Mein Geliebter antwortet und spricht zu mir:
Steh auf, meine Freundin,
meine Schöne, und komm!
Sieh doch, dahin ist der Winter,
vorbei, vorüber der Regen.
Die Blumen sind hervorgekommen im Land,
die Zeit des Singens streckt sich aus
und die Taube lässt sich hören in unserm Lande.
Der Feigenbaum lässt seine Früchte reifen,
und die Weinstöcke blühen und duften.
Steh auf, meine Freundin,
meine Schöne, und komm!

Das ist zuerst einmal ein Lied, das die Liebe zwischen einem Mann und einer Frau besingt. Es erzählt von zwei Menschen, die sich aufeinander zu bewegen, die einander suchen, die übereinander in Lobworte ausbrechen ("meine Freundin, meine Schöne") und die sich finden. Solche Liebe zwischen zwei Menschen spiegelt etwas wieder. So geht es nicht nur zwischen zwei Menschen zu. So geht es auch zwischen Gott und seinen Menschen, seinem Volk zu. Auch das ist wechselseitige Liebe. ... Wenn Jesus uns eines Tages entgegenkommt - in seinem zweiten, gewaltigen und sichtbaren Kommen - dann ist ER es: der Geliebte, der Freund. Beziehungsweise: dann stellt sich die Frage: Wer wird ER für mich sein? Der, auf den ich immer schon zugelaufen bin, den ich ersehnt, gesucht und mit Lobworten besungen habe?

Heute um 18 Uhr, laden wir zur Abendfeier in die Stadtkirche ein. Unser Vikar Joshua Henrich hat die Impulse zum Betrachten vorbereitet. Wir feiern auch Abendmahl und wer mag ist im Anschluss zum Beisammensein und Gesprräch in den Martinstreff eingeladen.


Sonntag, 27. November 2022
Ulrike schreibt: Heute ist erster Advent und wir hatten an diesem Wochenende unser Stilles Wochenende in Riehen. Riehen ist ein Ort in der Nähe von Basel. Wolfgang und ich haben zu Betrachtung der Geschichte von Ruth und Naomi (im biblischen Buch Ruth) eingeladen. Wir waren zwanzig Menschen und hatten ein tolles Miteinander - im Schweigen. Ich bin dann heute etwas früher zurück nach Liestal gefahren, weil ich zur Kirchgemeindeversammlung musste, und Wolfgang hat den Gottesdienst mit der Gruppe in Riehen gefeiert.

In der letzten Woche hatten Wolfgang und ich öfter einmal Besuch. Vor allem Hetty Overeem war bei uns zu Gast. Hetty war im Sommer als Wanderpfarrerin in der französisch-sprachigen Schweiz unterwegs und im Winter hat sie eine Hütte als Begegnungsort in der U-Bahn von Lausanne gehabt. Das ist schon etwas Besonderes, wenn jemand so gern auf andere Menschen zugeht.

Morgen werde ich für einen Tag nach Karlsruhe fahren - meine Familie besuchen. Darauf freue ich mich, auch wenn ich früh los muss. Ab Dienstag dann ganz normale Arbeit im Pfarramt. Eigentlich viel Schönes, Besuche, Adventsfeiern, Vorbereitung für die Gottesdienste am 2. Advent.


Montag, 21. November 2022
Ulrike schreibt: Gestern haben wir in Liestal und auf dem Seltisberg einen Gottesdienst zum Ewigkeitssonntag gefeiert. Wir haben zu diesen Gottesdiensten die Angehörigen von Menschen, die in den letzten zwölf Monaten gestorben sind, eingeladen. Ich habe in Liestal über Lukas 23,42-43 gepredigt. Da geht es um einen Menschen, der stirbt. Er wendet sich an den ebenfalls sterbenden Jesus und bittet ihn: "Denke an mich, wenn du in dein Reich kommst." Jesus antwortet ihm: "Wahrlich, ich sage dir: heute wirst du mit mir im Paradies sein."

Sie können die Predigt gleich hier anhören:


Ganz unten auf dieser Seite [dort, wo die Buchstaben blau werden] könnt Ihr diese Predigt herunterladen unter: 2022.11.20-HEUTE-DU-MIT MIR

Morgen laden Wolfgang und ich zum letzten der drei Bibel-Salons in diesem Jahr ein. Thema: Wieviel Zweifel erträgt der Glaube? Ich werde Impulse zu Richter 7,9-15 und Richter 7,16-25 geben. Es ist interessant: Zweimal hat Gideon Gott bisher um ein Zeichen gebeten. Obwohl eigentlich "alles klar" war, wollte Gideon noch eine und noch eine Bestätigung. Sein Inneres ist darauf angewiesen, ständig vergewissert zu werden.

Nun sind Gideon und die 300 Männer kampfbereit. Jetzt ist es interessanterweise Gott, der auf Gideon zukommt und ihm ein weiteres, ein drittes Zeichen anbietet: "Und der HERR sprach in derselben Nacht zu Gideon: Steh auf und geh hinab zum Lager; denn ich habe es in deine Hände gegeben. Fürchtest du dich aber hinabzugehen, so geh mit deinem Diener Pura hinab zum Lager, damit du hörst, was sie reden. Danach werden deine Hände stark sein, und du wirst hinabziehen zum Lager" (Richter 7,9-11a).

Gott kennt die Schwäche und Unsicherheit Gideons. Er macht sie ihm nicht zum Vorwurf, sondern kommt ihm entgegen. Ich meine, dass es um ein Zweifaches geht: Natürlich kann und soll ich mich mit meinen Schwächen auseinandersetzen. Ich kann z.B. lernen, Unsicherheit auszuhalten und trotzdem zu handeln. Ich kann (und muss) lernen, innerlich fest zu werden. Aber Gottes Geschichte mit uns beginnt schon vorher. Sie beginnt nicht erst dann, wenn wir mit unseren Defiziten umgehen können.

Wer möchte, ist morgen um 19.30 Uhr in den Saal vom Kirchgemeindehaus eingeladen.
Sie können aber auch im ZOOM teilnehmen. Hier ist der Link für Morgen Abend:

us02web.zoom.us/j/82391997306?pwd=RVlUZGg4a3J2K2o4c0JTc2g2ZDdjUT09



Samstag, 12. November 2022
Ulrike schreibt: Für Morgen sind Sie herzlich in die Abendfeier - 18 Uhr in der Stadtkirche Liestal - eingeladen. Ich bereite den biblischen Impuls zum Besuch Jesu in seiner Heimatstadt vor. Sie finden die Geschichte in Markus 6, den Versen 1-6.

Es ist verrückt: wie die Menschen an Jesus das Neue und Besondere wahrnehmen: "Und viele, die zuhörten, verwunderten sich und sprachen: Woher hat er dies? Und was ist das für eine Weisheit, die ihm gegeben ist? Und solche Taten geschehen durch seine Hände?" Und im nächsten Atemzug lehnen sie Jesus ab. "Und sie ärgerten sich an ihm." Denn sie sagen: wir kennen den ja, seine Mutter, seine Geschwister. .... Wie ist das mit diesem vermeintlichen "Kennen"? Etwas abzulehnen, weil man meint, man kenne es bereits und kann es darum hinter sich lassen. Obwohl vor den eigenen Augen - im Gottesdienst der Synagoge - Neues beginnt.

Am Dienstag werden wir den zweiten Bibel-Salon haben. Wir betrachten weiter die Gideon-Geschichte. Wie gehen Gideon - und vor allem Gott - mit den Unsicherheit und Zweifeln von Gideon um? Für die, die per ZOOM teilnehmen: die Tonqualität ist jetzt - im Gegensatz zu den letzten Offenen Abenden mit Assaf Zeevi - wirklich gut. Ein Freund aus der Kirchgemeinde hat das an die Hand genommen und sein eigenes Equipment mitgebracht. (Danke!)

Dienstag, 19.30 Uhr im Kirchsaal oder im ZOOM:
Wie kann man ZÖGERN ÜBERWINDEN, wenn man zweifelt? Richter 6, 33-40
Wie kann man MITARBEITER auswählen? Richter 7, 1-8

Und hier ist der ZOOM- Link: us02web.zoom.us/j/88115051329?pwd=VDRIc0tGWGx1d1FHQ2RHM2lER3ZhUT09


Montag, 7. November 2022
Ulrike schreibt: Wolfgang und ich waren in den letzten Tagen viel unterwegs: in Rueti, in Biel bei den Freunden vom Jahu (Landeskirchliche Gemeinschaft) und in Fribourg bei einer Ärzte-Tagung. Es gäbe viel und vor allem Schönes zu erzählen.

Morgen beginnen die Bibel-Salons in Liestal: Wieviel Zweifel erträgt der Glaube? Wir werden dreimal mit Gideon unterwegs sein, einem Menschen, der darauf angewiesen ist, immer wieder vergewissert zu werden. Er ist in sich selbst unsicher. Immer wieder muss er hören, dass es wirklich Gott ist, der ihn anweist, und dass es auch wirklich gelingen wird. Mit dieser seiner Schwäche hat Gott ihn ausgesucht, Israel gegen einen übermächtigen Gegner zu helfen. Gideon ist der, durch den Gott Rettung verspricht.

Es wird spannend morgen, und m.E. auch interessant für unsere Zeit. Gideon hat sich - wie viele andere aus seinem Volk auch - zurückgezogen. Er versucht dem Feind zu entgehen. Er drischt sein Getreide in der Kelter - um möglichst wenig sichtbar zu sein. Ich meine, dass das Thema "Rückzug" aktuell ist. Menschen suchen und schaffen sich Schutzorte. Vor wem? Wer soll uns nicht sehen? Wie sehen unsere Schutzorte aus?

Sie sind morgen Dienstag, 8. November, 19.30 Uhr, in den Kirchsaal im Martinshof eingeladen:
Wie kann man BERUFEN WERDEN, wenn man zweifelt? Richter 6, 11-16
Wie kann man BEGINNEN, wenn man zweifelt? Richter 6, 25-32

Und hier ist der Link für den ZOOM:
Wieviel Zweifel erträgt der Glaube (1)


Samstag, 29. Oktober 2022
Ulrike schreibt: Wir sind seit Donnerstag gut zurück in Liestal. Die Helligkeit und die verhältnismässig langen Tage in Südfrankreich vermisse ich etwas. Auch das Gefühl der Weite am Meer war unglaublich schön. Jetzt ist es abends früher dunkel und ich gehe an den Abenden wieder laufen - um fit zu bleiben für den Winter. Das hat auch seinen Charme: im Dunkeln flattern die Fledermäuse und zwitschern schrill. Bis Sonntag habe ich noch Urlaub.

Am Donnerstag, Samstag und Sonntag ist Wolfgang als Referent und Prediger eingeladen. Wenn Sie mögen: am Donnerstag, dem 3. November, 19.30 Uhr, ist der Vortrag in Rueti öffentlich. Wolfgang führt ins Betrachtende Gebet ein. Das ist die Art und Weise und die christliche Tradition, in der Wolfgang und ich selbst die Bibel lesen. Hier sind die Infos zum Abend: Betrachtendes Gebet

Am Samstag, dem 5. November, sind wir in Biel, im Jahu. Das ist eine Landeskirchliche Gemeinschaft, der Wolfgang schon lange verbunden ist. Sie haben Wolfgang für einen Stille Tag eingeladen. Wir bleiben dann gleich bei Freunden, weil Wolfgang am Sonntag für die Jahrestagung der AGEAS (Arbeitsgemeinschaft Evangelischer Ärzte der Schweiz) in Fribourg für die Predigt eingeladen ist. Das klingt nach einer Woche mit vielen guten Begegnungen, und wir freuen uns!


Dienstag, 25. Oktober 2022
Ulrike schreibt: Wolfgang und ich sind in Saintes-Maries-de-la-Mer. Auch hier waren wir schon öfter. Es sind nicht mehr viele Touristen da, nur Franzosen, die für einen Tagesausflug an's Meer hinunter kommen. Der Strand von Saintes-Maries-de-la-Mer erstreckt sich über mehrere Kilometer hin und man kann gut laufen. Ich war heute baden - das Wasser hat 20°C - habe aber glücklicherweise noch gemerkt, dass es eine beträchtliche Strömung hinaus ins Meer gibt. Also bin ich nahe am Land geblieben, was auch schön war. Wir haben ein sehr angenehmes kleines Hotel gefunden, nahe am Strand und überlegen, ob wir bleiben oder morgen durch die Cevennen zurück nach Liestal fahren. Und dabei Orte protestantischen Glaubens in Frankreich besuchen.


Sonntag, 23. Oktober 2022
Ulrike schreibt: Heute ist der dritte volle Tag, dass wir in Südfrankreich sind. Gestern brach zum ersten Mal die Sonne durch die Wolken, es ist sonst eher bedeckt. Erst waren wir in der Abtei von Sénanque und dann in Gordes - siehe die beiden Fotos oben. Gestern waren wir in Roussillon (dem Ort mit der roten Erde) und in Lourmatin. Das ist lustig, dass wir in einem kleinem Ort im Bistro sitzen und Wolfgang mich diskret darauf hinweist, dass die Frau am Nebentisch eine bekannte Schauspielerin aus Wien ist. So klein die Welt, ... und gleichzeitig so gross. Gleich gehen wir in den Gottesdienst in Sainte Anne in Apt. Und dann, mal sehen ...


Freitag, 21. Oktober 2022
Ulrike schreibt: Ich habe Ferien und wir sind gestern für ein paar Tage nach Südfrankreich gefahren. Das ist von uns aus gesehen nicht sehr weit und wir kennen hier viele Orte. Heute besuchen wir zum Beispiel die Abtei von Sénanque. Vor allem wollen wir Zeit miteinander verbringen. Wir haben für die ersten beiden Nächte ein kleines Hotel am Rand der Altstadt von Apt gebucht.

Auf der Fahrt gestern haben wir - ausser Musik - im Podcast von Matzes Hotel (Spotify) ein Interview mit der Wirtschaftsjournalistin Ulrike Herrmann gehört. Anlass für das Interview ist das Erscheinen ihres Buches 'Das Ende des Kapitalismus', 2022. Ihr findet das Interview auch bei YouToube. Ulrike Herrmann macht - meines Erachtens - gute und eher ungewöhnliche Beobachtungen, auch zum Krieg in der Ukraine, und argumentiert überhaupt nicht ideologisch ("Vielleicht irre ich mich auch ..."). Nach dem Urlaub werde ich schauen, ob es Interessierte für eine Lesegruppe gibt.

Wolfgang und ich haben die Gideon-Geschichten - im Blick auf die Bibel-Salons (8./15./22. November) und einzelne Vorträge von Wolfgang im November - vorbereitet und werden jetzt mit der Vorbereitung des Stillen Wochenende zum Buch Ruth in Riehen (25.-27. November) beginnen. Hier ist unsere Ausschreibung für das Wochenende, falls noch jemand von euch dazu kommen möchte:

Die Geschichte beginnt mit einer Krise. Die wirtschaftliche Situation zwingt eine Familie, ins Ausland zu gehen. Die Chancen zum Überleben sehen gut aus. Dann stirbt der Mann. Die beiden Söhne heiraten. Zehn Jahre scheint es recht zu gehen. Doch nun sterben auch die beiden Söhne. Drei Frauen bleiben allein zurück.

Es sind Stichworte, die so manche aus dem eigenen Leben kennen: Krise – noch einmal neu anfangen – Hoffnung – doch am Ende ist man allein. Kann man glauben, dass das eine Geschichte mit Gott ist?

Noemi kehrt zurück. Eine Schwiegertochter bleibt bei der eigenen Familie. Die andere - Ruth - will unbedingt bei Noemi und ihrem Gott bleiben. Eine seltsam zarte Geschichte beginnt. Die beiden Frauen haben keine Möglichkeit, grosse Pläne zu machen. Nur eines bleibt ihnen: ihre Aufmerksamkeit. Was bringt der Tag? Was ergibt sich durch die gerade beginnende Ernte? Was zeigt sich durch die Menschen, unter denen sie leben?

Es ist keine Geschichte der Klage, obwohl die Frauen Grund dafür hätten. Es ist auch keine Geschichte der Anklage, obwohl sie nahe liegen würde. Merkwürdig: Es ist auch keine Geschichte des Gebets. Will man von Glauben sprechen, dann kann man ihn in der Aufmerksamkeit entdecken, mit der die beiden Frauen auf die täglichen Möglichkeiten sehen, auf die Menschen und vor allem aufeinander hören.

Am Ende wird das zu einer der zartesten Liebes- und Glaubensgeschichten der Bibel. Ruth, die Witwe und Ausländerin wird Teil der grossen Geschichte Gottes. Als Grossmutter von David gehört sie zum Stammbaum Jesu.





Samstag, 15. Oktober 2022
Ulrike schreibt: Wir sind heute zu Besuch in Riehen, nahe bei Basel. Das Geistlich Diakonische Zentrum gehört zum Diakonissenhaus Riehen. Hier werden wir (Wolfgang und ich) am 1. Advent auch wieder unser Stille Wochenende haben. Ich war - ganz in der Nähe - in der Fondation Beyeler. Das ist ein weltbekanntes Museum. Leider ist die Joan Miró-Ausstellung schon beendet, ich hätte sie gern ein zweites Mal gesehen.

Als ich heute um 10 Uhr da war, war ich tatsächlich die erste und einzige - und das an einem Samstag. Das liegt wahrscheinlich daran, dass umgebaut wird, und dass die aktuelle Ausstellung Palimpsest (Doris Salcedo) aus nur einem Raum und einem Werk besteht. Wobei es ein grosser Raum und ein grosses Werk ist. ... Die Künstlerin hat Namen von Flüchtlingen, die bei der Überquerung des Mittelmeers ertrunken sind, in Stein geritzt. Und zwar übereinander eingeritzt, entsprechend verschiedenen Zeiten und Flüchtlingswellen. Die feinen Rillen der Namen werden (unsichtbar und von unten her) mit Wasserspuren gefüllt und damit sichtbar. Bis das Wasser dann wieder versickert und die Namen wieder unsichtbar werden. ... Es geht also um Erinnerungen, die kommen und wieder verblassen. Um 'echte' Menschen, ihre Namen, ihre Geschichten, die nicht vergessen gehen sollen. ... Ich frage mich, ob es Angehörige und Freundinnen tröstet, wenn Namen von 'echten' Menschen Teil eines Kunstwerks sind. Was mich sehr anspricht, ist das Erinnern. Dass es Orte gibt, dass es Menschen gibt und vor allem, dass es Gott selbst ist, der uns im Gedächtnis behält. Was nicht verloren gehen darf, das wird auch nicht verloren gehen.

Morgen, am Sonntag Abend: herzliche Einladung zur Abendfeier in die Stadtkirche (18 Uhr). Wir betrachten Johannes 5, die Begegnung Jesu mit einem Kranken am Teich Betesda und feiern Abendmahl. Im Anschluss gibt es für die, die möchten, Zusammensein und Gespräch im Martinstreff.


Samstag, 8. Oktober 2022
Ulrike schreibt: Eigentlich wollten Wolfgang und ich heute - weil ich Geburtstag habe - einen Tag zusammen wegfahren. So wie wir neulich den Ausflug auf den Pilatus gemacht haben. Das Wetter ist heute aber fast überall, wo man innerhalb eines Tages gut hinkommen kann, bedeckt und regnerisch. Allein in Mailand ist es heute schön, aber da waren bereits alle Plätze im Zug restlos ausgebucht. "Für Montag gäbe es noch zwei Plätze in der ersten Klasse, aber auch die leider nicht nebeneinander ...", sagt die Frau am Bahnschalter.

GOTTESDIENST

Das macht nichts. Wir haben es auch so gut. Den Gottesdienst, für den ich euch und Sie herzlich einlade, feiert morgen unser Vikar Joshua Henrich. Das heisst, er hat vorbereitet, nicht ich. Für mich ist das entspannend, weil er wirklich gut ist. Wir sprechen vorher über den Predigttext: Was lese ich? Was will ich mit der Gemeinde teilen? Warum? Wie gestalte ich den Gottesdienst als ganzen? ... Hinterher bekommt Joshua (wahrscheinlich :-) ) Feed-Back von den Gemeindemitlgliedern, und in Kurzform auch von mir.

BIBEL-SALONS

Für November laden Wolfgang und ich für drei Bibel-Salons in die Kirchgemeinde ein. Wir beide freuen uns sehr auf die Abende, auch auf das Zusammensein mit euch und mit Ihnen. Wir werden uns im Kirchsaal treffen und die Impulse per Zoom übertragen - und dabei auf eine gute Hörqualität achten. Es sind drei Dienstag Abende: der 8. November, der 15. November, der 22. November 2022. Wir werden hinschauen, wie Gott mit einem zweifelnden Menschen unterwegs ist.

WIE VIEL ZWEIFEL ERTRÄGT DER GLAUBE?

Wer glaubt, möchte fest sein in seinem Glauben. Wie ist das, wenn sich Zweifel melden? Was mache ich dann mit meinen Zweifeln? Sie zu überspielen, zu ignorieren oder zu verdrängen klingt nicht nach einem guten Weg. Und: Wie ist es, wenn ich mich von Gott in eine Aufgabe gerufen weiss, obwohl der Zweifel weiterhin in mir wohnt?

Thomas (Joh. 20, 24-29) gilt als der grosse Zweifler. Jesus als der Auferstandene hilft ihm, seinen Zweifel hinter sich zu lassen. Wie aber, wenn das bei uns nicht geschieht? Wenn ich glaube, wenn ich mich von Gott berufen weiss, wenn ich bete und mich für Gott einsetze - und der Zweifel bleibt dennoch?

Der Richter Gideon ist ein geradezu aufregendes Beispiel dafür, dass Gott einen Zweifler in seinen Dienst ruft. Wie ist es, wenn Gott zum geistlichen Begleiter eines Zweiflers wird? Wir laden zu hoffentlich überaus spannenden Abenden ein. Wer möchte, kann die Geschichten vorgängig lesen:

Dienstag, 8. November, 19.30 Uhr
Wie kann man BERUFEN WERDEN, wenn man zweifelt? Richter 6, 11-16
Wie kann man BEGINNEN, wenn man zweifelt? Richter 6, 25-32

Dienstag, 15. November 2022, 19.30 Uhr
Wie kann man ZÖGERN ÜBERWINDEN, wenn man zweifelt? Richter 6, 33-40
Wie kann man MITARBEITER auswählen? Richter 7, 1-8

Dienstag, 22. November 2022, 19.30 Uhr
Wie kann man WISSEN, WAS ANDERE DENKEN? Richter 7, 9-15
Wie kann man KÄMPFEN, wenn man nicht mehr zweifelt? Richter 7, 16-25

Den Flyer für die Abende finden Sie hier: 2022.11 Bibel-Salon-ZWEIFEL
Die ZOOM-Links veröffentliche ich hier ein paar Tage vorher.



Sonntag, 2. Oktober 2022
Wolfgang schreibt: Ulrike hat heute über eine bekannte Geschichte aus den Evangelien gepredigt. Einige Männer bringen einen Gelähmten zu Jesus. Da der Zugang vor lauter Meschen versperrt ist suchen sie den Umweg über das Dach. Vor allem: Der Gelähmte muss MITGENOMMEN WERDEN (Markus 2,1-12).

Sie können diese Predigt von Ulrike Bittner gleich hier anhören:


Ganz unten auf dieser Seite [dort, wo die Buchstaben blau werden] können Sie diese Predigt herunterladen unter: 2022-10-02-mitgenommen werden: Markus 2,1-12.



Freitag, 30. September 2022
Ulrike schreibt: Das Frauen-Wochenende in Berlin war rundum schön. Die Impulse waren anregend und alle Gespräche habe ich auf Augenhöhe erlebt. Wir werden das sicher wieder machen. Das Theaterstück Michael Kohlhaas in der Schaubühne war übrigens grossartig. Unbedingt ansehen, wenn ihr könnt.

Die Woche in Liestal war voll, auch hier eigentlich nur gute Begegnungen. Morgen sind Wolfgang und ich beim Studientag (Hebräisch Denken, Teil II) in Zürich. Und am Sonntag feiere ich nach längerer Zeit mal wieder Gottesdienst in Liestal (9.30 Uhr) und Seltisberg (11 Uhr). Predigttext ist Markus 2,1-12: Mitgenommen werden - Wo habe ich das gebraucht? Wo habe ich das vermisst?. Wer kommt, kann sich eine Decke mitbringen. Wegen Blitzschlag in den Kirchturm funktionieren Elektrik und Heizung nicht.


Samstag, 24. September 2022
Ulrike schreibt: Ich bin an diesem Wochenende in Berlin. Nach einer langen Zeit des Nicht-Fliegens bin ich wieder einmal geflogen, von Basel aus nach Berlin. Ich bin verblüfft darüber, wie unglaublich voll die Flughäfen sind.

Heute und Morgen ist ‹Einander Begegnen - in Berlin›. Wir sind etwa zwanzig Frauen aus Berlin und der Schweiz und treffen uns in einer kleinen Ladenkirche in Berlin-Moabit. Wir, das sind Frauen unterschiedlicher Profession, die einander Anteil geben wollen. Was beschäftigt mich? Was beobachte und durchdenke ich in meinem Berufsfeld? Welche geistliche Fragestellung nehme ich wahr? Welche biblische Hoffnung, vielleicht … welche biblische Geschichte begleitet mich in meinem Nachdenken?

Gestern haben zwei Schweizer Freundinnen und ich uns bereits in der Stadt getroffen und haben später in Hummus & Friends in der Oranienburger Strasse zu Abend gegessen. Sehr lecker! Schön auch, so viele junge Leute auf der Strasse und in den Lokalen zu sehen. Ich bin von Liestal her nicht mehr gewohnt, dass eine Stadt so jung aussehen kann.


Mittwoch, 14. September 2022
Ulrike schreibt: Heute beginnen Elisabeth R., eine Mennonition und Pastorin im Ruhestand, und ich einen monatlichen Bibel-Kaffee. Wir laden dafür in die Caféteria des örtlichen Pflegezentrums ein. Die Caféteria ist auch eine Art Quartierstreff, weil wirklich schön. Ich gehe da auch sonst gern hin. Elisabeth und ich wünschen uns für den Bibel-Kaffee eine Durchmischung von Menschen, die im Pflegezentrum wohnen und Menschen aus dem Quartier. Ich bereite heute den Impuls zum biblischen "Sorgt euch nicht..." aus der Bergpredigt vor. Wir wählen für die Treffen Themen, mit denen jeder etwas anfangen kann. Der Einstieg heute wird sein, dass man mittels Spruchkarten übers "Sich-Sorgen" mit den Tisch-Nachbarn in ein erstes Gespräch kommt.

Am frühen Abend haben wir unsere Gruppe Matthäus 11:28 (‹Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid. Ich will euch erquicken.›) Heute bringt ein neues Mitglied der Gruppe Sandwiches mit, wie man sie in ihrer Heimat isst. Also ersteinmal: essen und erzählen. Und dann lesen wir im Heftchen ‹Freundschaft› von Kerstin Hack. Biblische Freundschaftsgeschichten und was es heisst, einander Freundin zu sein, ist gerade unser Thema in der Gruppe.


Montag, 12. September 2022
Ulrike schreibt: Heute waren wir den ganzen Tag über auf dem Pilatus - das ist ein Bergmassiv südlich von Luzern! Oben seht ihr ein paar Bilder. Wir sind von Alpnachstadt am Vierwaldstättersee aus mit der Zahnradbahn hinaufgefahren. Mit einer maximalen Steigung von 48% ist sie die steilste Zahnradbahn der Welt.

Morgen beginnen die Offenen Abende mit unserem Referenten Assaf Zeevi. Thema ist: Das jüdische Volk und seine Entstehung bis heute. Sie können morgen um 19.30 Uhr 'leibhaft' ins Kirchgemeindehaus kommen oder per ZOOM dabeisein. Den ZOOM Link verschicke ich auf Anfrage.

Ich war übrigens letzte Woche im Rahmen unseres Pfarrkapitels - Pfarrkapitel = regelmässiges Treffen aller Pfarrpersonen einer Region - in der Synagoge der Israelitischen Gemeinde in Basel. Das war eine richtig interessante, dialogische Führung. Hinterher haben wir uns in den Gemeinderäumen für 'unsere' Sitzung getroffen, und dann waren wir miteinander essen. Ein schönes Zusammensein.

Freitag, 9. September 2022
Ulrike schreibt: Wir sind seit 8 Tagen aus Rasa zurück. Wir sind seitdem nicht mehr zum Verschriftlichen (= ich) und Schneiden (= Wolfgang) der Aufnahmen von Psalm 25 gekommen. Für Wolfgang und mich waren es ausgesprochen schöne und fruchtbare Tage in Rasa. Wir sind sehr dankbar.

Gleich nach der Rückkehr nach Liestal hatten wir unser Kirchgemeindefest - das Kirchturmfest zum 400jährigen Jubiläum. Ich war im Orga-Team fürs Fest und also gut eingespannt. Das Fest war - in meiner Wahrnehmung: überraschend! - gut besucht und die Stimmung ausgesprochen schön und leicht. Auch hier viel Anlass für Dankbarkeit.

Und gleichzeitig: Einzelnen Menschen geht es schlecht, das nehme ich auch wahr. Es sind viele, die psychisch angeschlagen sind, die sich allein fühlen, die sich keine glückliche Zukunft vorstellen können. Ich bin so dankbar für diejenigen, die dann zu ihnen hingehen. Die Besuche machen, die einfach mal anrufen und fragen: Wie geht es dir? ... Wir brauchen das. Dass wir uns Zeit nehmen und Anteil nehmen am Leben der anderen. Anfang der Woche haben wir in Liestal unseren Besuchsdienst ‹Der Besuchsdienst.› eingeweiht. Fast zwei Jahre haben wir in der Region geschaut, wie andere Kirchgemeinden sich in dieser Hinsicht organisieren. Einzelne Menschen aus unserem Der Besuchsdienst.-Team haben Kontakt mit der Spitex, dem Roten Kreuz, den örtlichen Pflegezentren usw. aufgenommen. Wir wollen miteinander für die Stadt dasein, nicht das tun, was ohnehin von Anderen schon gut getan wird.

Jetzt am Wochenende sind Wolfgangs Kinder und Grosskinder plus Hund zu Besuch. Ich gehe ein letztes Mal ins Freibad, denn die Saison endet übermorgen, am Sonntag. Dann fühlt sich der Sommer irgendwie ‹zu Ende› an. In der nächsten Woche starten wir in der Kirchgemeinde mit Vorträgen/Gesprächen mit Assaf Zeevi. Ich beginne mit einer befreundeten Seniorin, einer mennonitischen Pastorin i.R. in Liestal ein Bibel-Kaffee, das wir zu einem Quartierstreff hin entwickeln wollen. Bald mehr darüber ...



Mittwoch, 31. August 2022
Ulrike schreibt: Der Morgen-Impuls zu Psalm 25 war heute 'wie für mich gemacht'. Ich wünsche mir öfter einmal, dass Gott aufdecken und aufräumen möchte. Der Psalmbeter bittet nur das eine: dass Gott hinschaut, dass ER hinsieht. Und das reicht ihm aus. Es reicht, dass Gott sieht.

Wir stellen euch den Impuls schriftlich und als Audio-Datei zum Nachhören zur Verfügung. Ihr könnt ihn gleich hier anhören:



Ganz unten auf dieser Seite [dort, wo die Buchstaben blau werden] könnt Ihr diesen Impuls herunterladen unter: 16: PSALM 25, Verse 18-19.


16: Psalm 25, Vers 18-19
GOTT SIEHT ES
Wolfgang J. Bittner

Zu Beginn ein kleiner Hinweis. Wir sind darauf bisher nicht eingegangen. Der letzte Vers des Psalms, Vers 22, klingt etwas merkwürdig. Er klingt wie ein Anhang: „Gott, erlöse Israel aus allen seinen Ängsten“.

In der Forschung, auch in der betenden Forschung, hat man den Eindruck, dass jemand an das Gebet etwas angehängt hat. Und zwar darum, weil der Psalm selbst ausschliesslich vom Verhältnis zwischen Gott und mir, dem Einzelnen, spricht. Der Einzelne hat zwar die Feinde und die Gegner im Blick, aber nicht die Gemeinde. Im letzten Vers kommt recht unvermittelt eine neue Bitte dazu: „Gott erlöse Israel aus allen seinen Ängsten“. Wir werden morgen im Gottesdienst auf diesen Vers eingehen. Ich bin dankbar, dass er hier steht. Er gehört für mich zum Wort Gottes dazu. Der Psalm selber endet für mich aber mit Vers 21. Ein ganz bestimmter Zusammenhang geht hier zu Ende.


DER BLICK AUF DAS ENDE

Im hebräischen Denken achtet man in besonderer Weise darauf, wie eine Geschichte, ein Psalm, eine Erzählung, eine Argumentation usw. zu Ende geht. In der Fachsprache spricht man vom Achtergewicht. Achtern kommt aus der Seemannssprache und meint den hinteren Teil eines Bootes. Wenn du einen Psalm liest oder eine Geschichte hörst, dann kannst du es dir einfach machen, indem du zunächst einmal zum Schluss hinguckst: wie kommt das raus? Das ist das Entscheidende. Für den biblischen Menschen zum Beispiel auch entscheidend, wie ein Mensch stirbt. Ich kann von einem Menschen vielleicht viel Grosses, auch Grossartiges erzählen. Er hat viel geleistet, viel in die Wege geleitet. Aber wie geht es zu Ende mit ihm? Wer darauf aufmerken will, der lese in Psalm 73.

Der Beter in Psalm 73 wächst mit einem Satz auf, der ihn durchs Leben trägt. Im Laufe des Lebens wird er an diesem Satz irre: „Lauter Güte ist Gott gegen Israel, gegen die Frommen“ (Vers 1). Da wird er irre dran, denn plötzlich gehen ihm die Augen auf, und er muss sagen: Das ist doch gar nicht so! „Ich sah wie es den Gottlosen so gut ging“, sagt er (Vers 3).


MAN KANN IRRE WERDEN

Das ist eine Schwierigkeit, der auch wir begegnen können, in vielerlei Gestalt. Ich habe Sätze im Glauben gehört, ich habe sie übernommen, und im Laufe des Lebens, meistens unvorbereitet, packt es mich und ich muss sagen: Stimmt denn das überhaupt, was ich das glaube?

Ich war überzeugt gewesen, ich habe es anderen weitergesagt. Es gibt vieles im Glauben, das einen irre machen kann. Für mich gehört es zum Grossartigen der Bibel, dass sie das nicht verschweigt. Die Bibel ist kein Buch, das von einem Glauben spricht, in dem alles glatt geht. Die Bibel spricht von Menschen, die am Glauben irre werden, irre werden können. Sie fragt danach, wie man mit dem Irre-werden im Glauben umgeht. Der Beter von Psalm 73 wird irre, bis zum dem Moment, als er den Tempel Gottes betritt: „bis ich eintrat in das Heiligtum Gottes“. Das ist noch nicht das Achterngewicht, das ist noch nicht der Schluss. Was geschieht im Tempel? Der Vers geht weiter: „und acht hatte auf ihr Ende“ (Vers 17). Ihr merkt, der Beter ist irre geworden am guten Leben der Gottlosen. Aber er sieht bei den Gottlosen nur einen Ausschnitt ihres Lebens. Im Heiligtum erweitert Gott den Blick des Beters, der in Anfechtung ist und lehrt ihn, das Ende zu sehen.


DAS ENDE IST VERBORGEN

Es ist eine Hilfe für den Glauben, sich zu sagen: Woher weiss ich wie das Ende aussieht? Das Ende ist mir verborgen. Verborgen ist mir das Ende der anderen, verborgen ist mir das eigene Ende. Manche Geschichten haben wir ja auch miterlebt, von Gemeinden, auch von Christen, bei denen vieles grossartig ausgesehen hat, und plötzlich war es anders. Das Leben eines Menschen, das Leben eines christlichen Werkes kommt an ein Ende und vieles, was vorher grossartig ausgesehen hat, erschien plötzlich in einem anderen Licht.

Das gehört mit zur biblischen Weisheit: Habe acht auf ihr Ende, Psalm 73.“Ich ging ins Heiligtum und hatte acht auf ihr Ende“. Die Einsicht, dass das Ende wichtig ist, vielleicht sogar das Entscheidende ist, ist eine Verstehenshilfe auch für manche biblische Geschichte und manchen Psalm. Manche biblische Geschichte erzählt uns den Bogen, den Fortlauf, und doch noch nicht das Ende. Ich kann mich also fragen, auch bei Dingen, die mich irritieren: Weiss ich denn wirklich Bescheid über das Ende des Menschen?

Andere urteilen vielleicht über ihn und sagen, es ist grossartig, was dort geschieht. Ich bleibe abwartend, weil ich das Ende nicht sehe. Wieder andere fällen vielleicht ein negatives Urteil über jemanden, und ich bleibe auch da abwartend. Woher weiss ich, ob das wirklich das Ende ist? Ich bin vorsichtig. Das Ende liegt in der Hand Gottes. Unser Psalm 25 hat auch ein Ende. Und es lohnt sich, diese letzten Verse zu lesen und von ihnen her den ganzen Psalm zu meditieren. Wir werden das heute Vormittag und heute Nachmittag tun. Heute Vormittag sind wir bei den Versen 18 und 19. Ich lese wieder aus der Übersetzung von Friedolin Stier:

18Schau mein Elend, meine Qual
Und trag weg all meine Sünden.
19Schau meine Feinde, es sind ihrer viele.
Mit Hass und Gewalttat hassen sie mich .

Zweimal kommt in Vers 18 und Vers 19 der Ruf an Gott vor: „Schau!“ Von der Situation, in der der Psalmbeter ist, hatten wir bereits gelesen und er beschreibt sie hier in einer Kurzfassung noch einmal: Schaue mein Elend, meine Qual, und schaue meine Feinde.


SCHAU ES AN, GOTT

Wenn man in Elend und Qual steckt, dann gäbe es verschiedene Dinge, die man erbitten könnte. „Mach mich frei!“ Der Psalmbeter bittet vorher bereits: „Mach weit meine Enge“ (Vers 17). Er bittet das durchaus, aber es ist, als ob er jetzt in die Schlussrunde einbiegt. Jetzt wird sein Gebet präzis und entschieden. In diesem zugespitzen Gebet bleibt übrig: „Schau!“
Ich empfehle euch die Frage: Habt ihr genug damit, wenn ihr mitten in der Not seid, wenn ihr im Konflikt seid, in einer Auseinandersetzung mit Menschen, mit euch selbst, mit einer Institution, in der ihr steht? Oder was würdet ihr dann Gott bitten? Wäre es genug zu wissen, Gott schaut hin? Ist das Schauen Gottes für mich genug? Ich glaube, dass man als jüngerer Mensch das Bedürfnis hätte, vielleicht auch als älterer Mensch, das Bedürfnis hätte, zu Gott zu sagen: Tue bitte dieses und jenes. Diesen Vorschlag hätte ich noch … usw.. Ich möchte Gott Vorschläge machen.


DER PSALMBETER MUSS GOTT NICHT BERATEN

Am Ende des Psalms macht der Beter Gott keine Vorschläge mehr. Er sagt: „Schau, mein Elend, meine Qual. Schau, meine Feinde.“ Es reicht ihm, dass Gott schaut. Eine einzige Ausnahme macht er. Nämlich bei seiner Schuld (Vers 18b). Er sagt nicht einfach: Schau. In Bezug auf seine Schuld sagt er, je nach Übersetzung: „Trag hinweg“ oder „vergib du“. Das ist dasselbe Wort, mit dem der Psalm eingesetzt hat: „Ich hebe meine Vitalität zu dir hin“ (Vers 1). Also: Ich nehme etwas, hebe es in die Höhe und hebe es dir hin. Das erbittet der Psalmbeter jetzt von Gott, dass Gott es tut. Nämlich: nimm meine Sünde und hebe sie. Es ist richtig, wenn die Elberfelder Bibel hier übersetzt: Vergib mir all meine Sünden. Von der Sache her ist das natürlich gemeint.


HEBE DU MEINE SÜNDEN

Von der Vorstellung her aber steht hier: Nimm sie und hebe sie. Martin Buber hat auch recht, wenn er sagt: Vielleicht heisst das ‹Heben› gar nicht nur ‹wegheben›. Sondern vielleicht ist das schon viel, dass ich Gott sage: Herr, ertrage es. Dass du, Vater im Himmel, mich mit meiner Schuld erträgst, das ist vielleicht schon ganz, ganz viel.

Aber diese Bitte ist eine Ausnahme. Was zweimal gesagt wird ist im Hebräischen immer etwas Entscheidendes. Verdoppelungen sind für den hebräischen Menschen etwas sehr Wichtiges. Das zweimal Gesagte ist hier: „Schau!“ Mein Wunsch, meine Anregung für euch ist: Überlegt euch doch einmal, wie viel das Schauen Gottes für euch bedeutet.


WIE VIEL BEDEUTET MIR DAS SCHAUEN GOTTES?

Der Psalmbeter hat zwei Dinge vor Augen, er nennt „mein Elend“ und „meine Qual“. Es ist vielleicht dasselbe, vielleicht eine Vertiefung, vielleicht etwas anderes „meine Feinde“. Der Psalmbeter weiss schon Bescheid.

Wie ist das, wenn ihr wisst, Gott sieht das? Könnt ihr damit genug haben? Reicht es, wenn es Gott sieht? Wenn ihr den Eindruck habt, das reicht nicht, was fehlt euch dann noch? Ich würde bei euch zurückfragen: Fehlt euch wirklich etwas? Der Gedanke, dass Gott sieht, könnte ein guter und abschliessender Gedanke sein.




Dienstag, 30. August 2022
Ulrike schreibt: Ich habe heute - in Rasa, mitten in den Bergen des Centovalli - unser Berlin-Wochenende für Frauen (23.-25. September) vorbereitet. ‹Rasa› und ‹Berlin›, es kann kaum etwas weiter auseinander liegen. Wir sind nach gegenwärtigem Stand zwanzig Frauen unterschiedlicher Profession, die sich in Berlin-Moabit treffen werden. Ich freue mich sehr auf den Austausch. Vor allem bin ich daran interessiert, wie die anderen im ‹Reich Gottes› unterwegs sind. Wie bezeugt ihr die Liebe Gottes? Mit wem lebt ihr Gemeinschaft?

In Rasa neigen sich die Schweige-Exerzitien dem Ende zu. Morgen ist der letzte volle Tag. Wolfgang hat mittlerweile 15 Impulse zu Psalm 25 gehalten. Hier stellen wir euch den achten Impuls - so weit bin ich mit dem Verschriftlichen :-) - zur Verfügung.


Psalm 25,6-7
DER GRUND FÜR DIE LIEBE LIEGT IN DER LIEBE
Wolfgang J. Bittner


Wir haben uns gestern Nachmittag vor Augen gehalten, dass der Psalm 25 eine Anleitung ist, gegen die Angst anzugehen. Er macht das dezent, er macht das vorsichtig, aber nach meinem Urteil deutlich. Der letzte Teil des gestrigen Psalmvers war: „Ich hoffe auf dich den ganzen Tag“ (Vers 5). Das Wort, das hier für ‹hoffen› steht, kann man übersetzen mit: "Ich habe mein Inneres den ganzen Tag zu dir hin geöffnet“.

Da kann ich mich fragen: wohin öffne ich mein Inneres den ganzen Tag? Was lasse ich in mich ein? Im Sehen: was sehe ich an? Denn was ich ansehe, das lasse ich in mich ein. Aber auch: was denke ich, halb bewusst, halb unbewusst? Was ich denke, ist das, was ich in mich einlasse und was gleichsam in mir weiterdenkt.


MICH GOTT ÖFFNEN

Der Psalmbeter sagt: "Mein Inneres hofft auf dich". Ich lasse Gott in mich ein im Modus der Hoffnung. Und zwar den ganzen Tag lang. Das ist keine Leistung, die der Beter erbringt, als ob Hoffnung eine Leistung wäre. Hoffnung ist eine Öffnung zu IHM hin.

Wer darüber nachdenken möchte, kann sich folgendes deutlich machen. Es gibt Dinge, die an mich heranwollen, und ich stehe gleichsam an einem Übergang. Das, was an mich heranwill, in mich einzulassen oder es nicht einzulassen. Wer einige Übung damit hat, der weiss, so einfach ist das gar nicht. Das, was in mich kommt, fragt nicht um Erlaubnis, ob es in mich eindringen darf. Aber ich kann es üben, dass ich ihm nicht einfach ausgeliefert bin. Also, von sich aus sagt der Psalmbeter: ich stehe vor dir als ein Hoffender, als einer der sich für dich öffnet. Und das halte ich den ganzen Tag durch. Das ist ein Entschluss und es ist gleichzeitig eine Übung. Es ist beides.

Und nun kommen wir zu einem Doppelgedanken in Vers 6 und Vers 7. Hier wird zweimal dasselbe Verb gebraucht. Ich sehe gerade, alle drei Übersetzungen, die ihr habt, sind gleich. ‹Gedenke an …›


ETWAS GEGENWÄRTIG WERDEN LASSEN

Elberfelder: Gedenke an deine Erbarmungen ..
Buber: Gedenke deines Erbarmens, du, …
Friedolin Stier: Gedenke deines Erbarmens, Jahwe, …

Was hier mit ‹gedenken› übersetzt ist, heisst ‹sich erinnern›. Das hebräische Wort heisst sachar – der Prophet Sacharja hat seinen Namen daher. Erinnerung heisst auf lateinisch ‹memoria›. Die memoria ist eine wunderbare Fähigkeit meines Inneren, so dass ich Vergangenes in die Gegenwart holen kann. Oder auch – so werden es die mittelalterlichen Theologen dann sagen: Ich kann auch das Kommende in die Gegenwart holen. ‹Memoria›, Erinnerung, ist eine unglaublich vielfältige und starke Fähigkeit meines Inneren. Ich kann in Rasa sitzen und mich erinnern an die letzte Reise, die ich gemacht habe. Ich hole diese letzte Reise im Erinnern in die Gegenwart. Plötzlich ist die Landschaft wieder da, die Musik, das Meer, … auch die Leute sind wieder da; und das hier in Rasa, hier sind sie mir gegenwärtig.

Ich weiss nicht, wie es euch mit dem Wort ‹erinnern› geht. Unser deutsches Verständnis von erinnern meint: ich bin in Rasa, und ich denke an das dort draussen, damals. Das Wort Erinnern im Hebräischen und auch im Lateinischen heisst: das von dort IST jetzt hier. Darum übersetzt man diesen Vers sachgemäss mit Vergegenwärtigung. Ich hole etwas, das nicht in der Gegenwart ist - also etwas, das vergangen ist oder etwas, das kommend ist - in die Gegenwart. Die Menschen in der Antike und auch im Mittelalter haben gestaunt, dass das eigene Innere diese Fähigkeit besitzt.

Dieses Vergegenwärtigen wird in Vers 6 und 7 im Blick auf Gott zum Ausdruck gebracht. Und zwar einmal wird gesagt, was Gott gegenwärtig sein soll. Und als zweites wird gesagt, was Gott nicht gegenwärtig sein soll. Und bei beidem wird gesagt, warum das so sein soll.

Das erste ist die Bitte in Vers 6: "Vergegenwärtige dein Erbarmen und deine Huld-Erweise". Der Hebräer, der hier betet, weiss sehr konkret, was damit gemeint ist. Erbarmen und Hulderweise, das meint Gottes Tun beim Auszug aus Ägypten. Da hat Gott sein Volk unter der Führung des Mose befreit, aus Ägypten herausgeführt. Und so wird aufgenommen, was der Psalm bereits vorher gesagt hat: Du bist der Gott meiner Rettung (Vers 5). Du bist mir zur Rettung geworden.


BARMHERZIG, GNÄDIG, GEDULDIG UND VON GROSSER GÜTE

Es sind verschiedene Begriffe, mit denen Gott selbst sein rettendes Handeln begründet. In 2. Mose 34 in Vers 6, sind es mehrere Begriffe, die zusammengebunden werden. Gott stellt sich vor. „Ich bin barmherzig, gnädig, geduldig, von grosser Gnade und Treue“. Wenn auch nur eines dieser Stichworte vorkommt - das hat man in Israel verinnerlicht - dann taucht mit diesem einen Stichwort das ganze rettende Geschehen von Ägypten auf. Unser Psalm hat ein paar solche Stichworte. Wir müssen uns das bewusst machen. Beim ursprünglichen Beter unseres Psalms, bei ihm geschieht das automatisch. Er sagt also: wenn du, Gott, an mich denkst, dann vergegenwärtige dir dein damaliges Erbarmen und deine Hulderweise.


WAS HABE ICH VOR AUGEN?

Auch wir kennen das, unser Psalm hat damit begonnen. Was habe ich eigentlich in meinem Denken vor Augen? Oder wenn ich an einen Menschen denke, was habe ich da vor Augen? Wenn ich an mich und meine Zukunft denke, was tritt da, meistens ungefragt, mir als erstes vor Augen? Auch da kann ich nachfragen, wie das bei mir ist. Es gibt Menschen, denen tritt das eigene Bemühen, das vielleicht trotzdem zum Scheitern geführt hat, automatisch vor Augen. Es wird gegenwärtig. Das ist dieser Vorgang. Was ist mir dann als ein Grundmuster, was ist mir da vor Augen?

Der Psalmbeter sagt: Gott, bei dir ist das auch so. Und ich bitte dich, wenn du mir mir umgehst, dann lass dir dein Erbarmen und deine Gnadenerweise vor Augen sein. Wir verstehen: Erbarmen und Gnadenerweise, die sind vergangen. Die hat Gott getan, damals beim Auszug aus Ägypten. Was jetzt geschehen soll, ist: Sieh mich so an, wie du damals dein Volk angesehen hast.


TUE DAS GLEICHE AN MIR

Hole du, Gott, diesen Auszug aus Ägypten jetzt in die Gegenwart, und handle so mir mir. Für den Hebräer ist das Vergangene etwas, das vergegenwärtigt werden soll. Jedes Fest ist ihm eine Vergegenwärtigung: Wir feiern Passah-Fest, wir feiern nicht den Auszug aus Ägypten, den die Väter damals erlebt haben. Sondern wir sind es, die heute aus Ägypten ausziehen. Es ist Gegenwart.

Denkt daran, hier geht es um eine Waffe, um eine Stellungnahme gegen die eigenen Ängste. In diesen Ängsten bitte ich Gott und sage es gleichzeitig auch mir: Gott, vergegenwärtige du dir dein Handeln im Auszug aus Ägypten. Meine eigene Not, die behandle so wie den Auszug aus Ägypten. Meinen heutigen Feind, den behandle so wie damals den Pharao.

Die Begründung, die der Psalmbeter gibt, ist: Das Erbarmen und deine Hulderweise sind von Ewigkeit her. Auch damals, beim Auszug aus Ägypten, waren die nicht neu. Sie haben keinen historischen Anfang, sie kamen aus der Ewigkeit. Gott hat damals im Auszug aus Ägypten nicht etwas Neues gelernt, das er vorher nicht konnte. Sondern Gott hat zurück gegriffen, hinein gegriffen in das, was er von Ursprung an ist. Und jetzt, mache es mir gegenüber genauso. Du bist ja kein anderer. Soweit Vers 6. Ich liebe die Übersetzung ‹gedenken› nicht. Es gibt kein Wort, das dem Hebräischen genau entspricht, aber ich würde es versuchen mit ‹vergegenwärtigen›.

Ich weiss nicht, wie es euch geht. Wenn ich an den Auszug aus Ägypten denke, dann ist der für mich etwas weit Vergangenes. Und ich muss mich rufen, dass das gegenwärtig werden kann. Das Vergegenwärtigen liegt dem hebräischen Menschen viel näher als uns. In einer gewissen Weise kennen wir das, wenn wir schöne Erinnerungen an bestimmte Momente unseres Lebens haben. Wenn wir dem Menschen, mit dem wir unterwegs sind, sagen können: „Du, weisst du noch?“ Und ich merke, dass der andere dasselbe Bild oder vielleicht fast dasselbe Bild jetzt vor Augen hat wie ich. Wir teilen das Bild. Und in dem Sagen „Weisst-du-noch?“ wird das Vergangene wieder ganz gegenwärtig. Ich tauche ein.


EINE VERHÄNGNISVOLLE DYNAMIK

Nun hat das ganze eine Seite der Versuchung, von der lesen wir in Vers 7: „Der Sünden meiner Jugend und meiner Frevel, gedenke ihrer nicht.“ Wieder haben wir das Wort ‹gedenken›, also vergegenwärtigen. Es ist die Seite, zu der hin mein Inneres von ganz alleine neigt. Neigen will. Ich erinnere, ich halte mir vor Augen, was gegen die Güte Gottes spricht. Das geschieht wie von selbst. Da ist etwas in mir, das mir sagt: Du, weisst du noch: deine Sünden? Diese Stimme muss man nicht rufen, die taucht selbständig auf. Und ich fürchte, dass sie auch bei Gott wie selbständig auftaucht. Und so bittet der Psalmbeter: „Die Sünden meiner Jugend und meiner Frevel – gedenke ihrer nicht“ (Vers 7).

In der zweiten Vershälfte von Vers 7 wiederholt der Psalmbeter seine Bitte. Auch wieder an Gott gewandt: Gedenke mein, erinnere dich, vergegenwärtige nach deiner Güte. Es ist wunderschön, wenn man von Gottes Güte reden kann! Vergegenwärtige nach deiner Huld. Und nun taucht als letztes ein Satz auf, der das ganze begründen soll. „Gedenke nach deiner Huld“ – ja, warum? „Um deiner Güte willen“. Halten wir uns diesen Gedankengang vor Augen. Vereinfacht ausgedrückt heisst er: Herr, sei mir gütig. Und die Begründung dafür ist: deine Güte.


WARUM LIEBT GOTT ISRAEL?

Unser normales Denken würde sagen: Sei mir gütig. Die Begründung dafür liegt bei mir, in dem, was ich tue. Tue du etwas an mir, wird begründet mit dem, was in mir liegt. Wir haben im Alten Testament - das Neue Testament lebt sogar davon - eine Umkehrung. Tue etwas an mir, sei mir gütig, und warum?

Die Begründung dafür liegt nicht bei mir. Sie liegt bei dir, in deiner Güte. Wer das nachlesen möchte: die für mich eindrucksvollste Aussage steht im 5. Buch Mose, Kapitel 7, Vers 7. Da geht es um die Frage, warum liebt Gott Israel? Wir haben denselben Gedankengang hier. Das Ergebnis ist: Gott liebt Israel. Und nun wird nach der Begründugn zurückgefragt, warum das so ist. Wie kann man das begründen? Und 5. Mose 7 führt mögliche, aber nicht zutreffende Begründungen an. Nämlich: Nicht, weil du grösser und reicher und besser usw. wärest als alle Völker. Israel wird mit den Völkern verglichen und es liegt nahe, dass man in dem Vergleich die Begründung an Israel zu finden versucht. Warum ist die Wahl Gottes auf Israel gefallen und nicht auf die Völker? Du liebst Israel. Nein, nicht grösser, reicher, stärker … und das kann man unendlich weiter aufzählen, sondern: warum liebt Gott Israel? Die Antwort ist: Weil er dich liebt. Der Grund für die Liebe liegt in der Liebe.

Das trifft auch für die Liebe zwischen Menschen zu. Ich liebe dich, weil ich dich liebe. Die Liebe sucht den Grund immer nur in der Liebe selber. Die Liebe findet ihren Grund immer in der Liebe. Martin Buber übersetzt hier für mein Hören am klarsten:

Deiner Huld nach gedenke mein,
um deiner Güte willen.

Es gab in meinem Glauben eine lange Zeit, da habe ich gehofft, dass Gott mich liebt um meiner Liebenswertigkeit willen. Und heute bitte ich darum: Lehre du mich begreifen, dass du mich liebst um deiner Liebe willen. Hilf du mir, darauf zu verzichten, den Grund der Liebe in mir selbst zu suchen und zu finden. Ich denke, in diese Richtung geht unser Psalm.

Wer so glauben und leben kann, der ist vor Angst nicht gefeit. Die Angst wird trotzdem kommen. Aber er ist im letzten gesichert vor jeder Angst. Angst macht mir der Blick auf mich selbst. Angstfrei werde ich, wenn mir klar wird, dass Gott in seiner Liebe nicht auf mich blickt, um in mir seinen Grund dafür zu suchen. Um dem Grund seiner Liebe – zu mir – zu suchen, blickt Gott auf sich selbst. Und das macht frei.


Sonntag, 28. August 2022
Ulrike schreibt: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des ersten Schweige-Kurses sind gestern Mittag abgereist. Wir haben am Morgen noch einen schönen Gottesdienst gefeiert. Alle haben sich sehr persönlich beteiligt. Gestern Nachmittag ist dann die neue Kursgruppe in Rasa angekommen. Für euch, die ihr nicht dabei seid, stellen wir hier einen vierten Impuls zur Verfügung.


WIE FINDE ICH MEINEN WEG?
Wolfgang J. Bittner


Wir sind in unserem Psalm an einem Übergang. Denn mit den Begriffen ‹Weg› und ‹Pfad› taucht ein neues Thema auf (Vers 4), das im ganzen weiteren Ablauf des Psalms beherrschend wird. Es ist ein Thema, das im Leben von uns Menschen immer wieder vorkommt. Es ist wahrscheinlich eines der Hauptthemen in der Begleitung und Beratung von Menschen. Wie finde ich meinen Weg? Oder anders, das ist eine Variante davon: Wer bestimmt eigentlich meinen Weg? Bin ich es, der meinen Weg bestimmt? Liegt es an mir, dass ich Gottes Weg für mich herausfinde? Zugespitzt formuliert: Gibt Gott mir die Freiheit, dass ich meinen Weg wähle und dann gehe? Oder erwartet Gott von mir, dass ich ein hörender Mensch werde und in diesem Hören seinen Plan für mein Leben entdecke und dann diesen Plan Gottes für mein Leben auch verwirkliche?

Der Unterschied ist grundlegend. Er hängt mit meinem Gottesbild zusammen, und er hängt zusammen mit meinem Bild von mir selber. Wir sehen uns an, was dahintersteht oder dahinterstehen kann. Wir beginnen heute Nachmittag mit diesem Thema mit Vers 4. In der Übersetzung von Friedolin Stier lesen wir:

Tue, Jahwe, deine Wege mir kund,
lehre mich deine Pfade.

Hier werden die beiden Grundworte für ‹Weg› oder ‹Pfad› genannt. Hebräisch דרך (derech), der Weg, ist der Hauptbegriff und meint im Hebräischen und auch heute in Israel den breiten Weg, den Normal-Weg. Hebräisch ארח (orach) ist der schmalere Pfad, der auch zum Ziel führt, der aber nicht so häufig begangen wird, der kleiner dimensioniert ist. Aber es besteht kein grundlegender Unterschied zwischen dem Weg und dem Pfad. Qualitativ sind sie nicht voneinander unterschieden.

Der Beter bittet: Tue mir kund den Weg. Das klingt so, als ob es einen Weg gibt und ich bin derjenige, diejenige, die nicht Bescheid weiss, was ‹dein Weg› ist. Darum bitte ich ihn, mir diesen, wie der Psalmbeter sagt: ‹deinen Weg› – er sagt nicht: Tue mir kund ‹meinen›
Weg, sondern ‹deinen› Weg – zu zeigen. Und dasselbe hören wir in der Wiederholung im zweiten Halbvers: ‹Deine Pfade – jetzt aber im Plural – lehre mich›.


EINEN WEG LEHREN?

Es ist also offensichtlich ein kleiner Unterschied: Einen Weg kann man ‹kundtun›, also wenn ich unterwegs bin, und ich treffe jemanden, der offensichtlich in der Gegend Zuhause ist, und ich sage: „Du, ich muss dort und dort hin. Was ist denn der Weg nach B?“ Und er sagt: „Der Weg nach B geht dort durch.“ Für diesen Vorgang ist der Begriff ‹kundtun› angemessen. Im zweiten Halbvers heisst es aber: ‹lehre mich›. Dieses Wort ‹lehren› ist merkwürdig. Wenn ich wissen will, auf welchen Weg ich nach A nach B komme, dann würde ich nicht das Verbum ‹lehren› verwenden. Lehren ist das Einführen in eine Fähigkeit. Also in eine grundsätzliche Fähigkeit: Lehre mich gehen, lehre mich rechnen, lehre mich unterscheiden usw. Damit zeigt sich die Schwierigkeit oder die Unterscheidung, um die es hier geht.

1) Ist es Gott, der über die Wege Bescheid weiss und mir die Wege zeigt? Dann ist meine Fähigkeit eigentlich nur die, dass ich gehen kann. Es wird von mir nicht erwartet, dass ich selber entscheiden kann. Sondern Gott entscheidet über den Weg und ich habe diesen Weg herauszufinden, um ihn dann auch zu gehen.

2) Die zweite Variante ist, dass nicht Gott entscheidet, sondern dass Gott mich lehrt, wie man solche Entscheidungen trifft. Und der mich einführt in die Fähigkeit, in seinem Sinne Entscheidungen zu treffen.
Ich weiss nicht, ob das klar genug ist? Im zweiten Fall mutet Gott mir die Fähigkeit zu, dass ich entscheiden kann, und er lehrt mich die Grundlagen. Wie findet man zu einem guten Entscheid? Natürlich begleitet mich dann Gott auf dem Weg des Entscheidens, des Weg-Findens. Aber er mutet mir zu, dass ich entscheide.


DIE ANGST, DEN RICHTIGEN WEG ZU VERPASSEN

Die erste Variante ist, dass es Gott ist, der die Entscheidungen trifft und von mir erwartet, dass ich herausfinde, wie er entscheidet und welchen Weg ich darum gehen soll. In der Begleitung von Menschen taucht diese Vorstellung immer wieder auf. Das ist zum Teil dramatisch. Menschen möchten ja den richtigen Weg vor Gott und mit Gott gehen, sie möchten herausfinden, welcher Weg der richtige für sie ist. Und sie leiden zum Teil unter grossen Ängsten, nämlich der Angst, den Weg, den Gott für sie vorbereitet hat, zu verpassen. Da sind die Ängste zum Teil ziemlich gross.


WIR SIND ERWACHSEN GEWORDENE KINDER

Ich mache es mit einem Beispiel deutlich. Wenn man Vater oder Mutter von kleinen Kindern ist, dann ist es grundsätzlich richtig, dass ich für mein Kind entscheide. Grosse Entscheidungen sind eine Überforderung für Kinder, die klein sind.

Wenn ein Kind aber älter wird, mute ich ihm immer mehr die Fähigkeit zu und sage: „Was möchtest denn du? Was findest du, dass es dir angemessen ist? Dass es für dich wichtig ist?“ Je nachdem, wie das Gespräch, auch die Beziehung zwischen Eltern und ihrem Kind ist, werde ich fragen: „Was ist es denn, was dir Freude machen würde? Was ist es, von dem du denkst, es macht einen Sinn für dich? Einen Sinn auch für deine Fähigkeiten, die du hast. Was passt hinzu zu den Wegen, die du bis jetzt gegangen bist“ usw.

Wenn die Kinder noch älter werden, wenn sie am Ende erwachsen werden, werde ich als Elternteil zunehmend keine Entscheidungen für mein Kind treffen. Ja, ich werde mich sogar weigern. Es gibt Entscheidungen für Kinder, auch für erwachsene Kinder, die schwierig zu treffen sind. Wo das Kind dann kommt und sagt: „Papa, ich weiss überhaupt nicht, was ich will. Sag doch du, was ich tun soll.“ Oft habe ich als Vater den Eindruck, ich wüsste wirklich, was das Richtige ist. Und dann zu sagen: „Nein, ich mache das nicht. Ich treffe keinen Entscheid für dich.“

Die Bitte an die Eltern, Entscheidungen zu treffen, kann in dem Alter der Versuch sein, vor der Verantwortung zu fliehen. Das ist ja verständlich. Ich fühle mich überfordert als erwachsenes Kind. Ich fühle mich überfordert, weil die Konsequenzen so gross sind. Soll ich das Stellenangebot annehmen oder nicht annehmen? Soll ich den Weg in eine Karriere annehmen, es macht mir Angst, verlockend wäre er aber trotzdem. Ich habe den Eindruck, es würde mir auch entsprechen, aber überfordert mich das nicht? Du, Vater, du Mutter, weisst besser Bescheid. Wenn die Frage so gestellt wird, dass das erwachsene Kind sagt: „Bitte, was denkst denn du darüber?“, dann wird man als Vater oder Mutter gerne raten. Aber man wird sich hüten, einen Entscheid zu treffen. Man wird sich hüten, einen Entscheid so zu treffen, dass das Kind später einmal sagen wird: „Ja, aber du hast mir damals gesagt, ich soll das tun.“


VOR GOTT UND MIT GOTT ERWACHSEN WERDEN

Ich hoffe, dass verständlich ist, was hier gemeint ist. Genau dasselbe spielt sich im Verhältnis zu Gott ab. Glauben, also einen Weg des Glaubens mit Gott zu gehen, bedeutet, vor Gott und mit Gott erwachsen zu werden.

Anders ausgedrückt: einen Weg des Glaubens zu gehen, heisst: nicht der Versuchung erliegen, kindlich zu bleiben. Die Bitte um Wegführung kann natürlich heissen: „Herr, zeige mir deinen Weg“. Aber sehr oft wird Gott dann auch zu mir sagen – wir werden im weiteren Verlauf des Psalms noch darauf kommen – du hast zwei oder drei Möglichkeiten vor dir. Und alle drei Möglichkeiten sind richtig. Es gibt auch das andere: Du hast zwei oder drei Möglichkeiten vor dir, und alle drei sind falsch.


GOTT SCHENKT MIR DAS WOLLEN

Und dann stehen wir vor Gott, und Gott sagt: So, jetzt wählst du. Natürlich wähle ich als glaubender Mensch vor Gott und mit Gott. Aber es ist nicht möglich, die Verantwortung an Gott abzuschieben.

Ich selber war einmal in einer solchen Situation, dass ich nicht wusste, was ich wählen soll. Ich hatte ein Angebot bekommen und dieses Angebot war grossartig. Und gerade weil es so grossartig war, hat es mir Angst gemacht. Da kamen Züge eines christlichen Ideals in mir hoch: Wenn es so grossartig ist, dann kann es wahrscheinlich nicht von Gott sein, dann muss es eine Versuchung sein. Ich bin damals einem Seelsorger begegnet, für den ich noch heute Gott sehr, sehr dankbar bin. Der hat mir gesagt: Wenn du es nicht weisst, und wenn Gott nicht klar sagt: Hierhin oder dorthin, und du den Eindruck hast, dass Gott beides offenlässt, dann denke an den Philipperbrief, Kapitel 3, wo Paulus den Philippern schreibt: „Gott schenkt das Wollen und das Vollbringen nach seinem Wohlgefallen.“ Und dann fragst du dich einfach, was willst du? Das hat Paulus doch so geschrieben. Gott schenkt das Wollen. Das war die Hilfe, die ich nötig hatte.

In meinem Inneren gab es eine Stimme, eine merkwürdige Stimme, die noch dazu fromm geklungen hat. Diese Stimme hat mir so ungefähr gesagt, in die Richtung: Ja, wenn du es selbst willst, dann ist es verdächtig. Aber Paulus sagt: Wenn du es willst, dann kann es doch auch von Gott kommen. Gott schenkt das Wollen. Ja, nimm es doch aus Gottes Hand entgegen und freu dich daran. Ich habe also gewählt, und es war – so kann ich es jetzt auch im Rückblick auf Jahrzehnte sagen –, es war nur richtig. Ich bin sehr dankbar, dass dieser Seelsorger mich auf Philipper 3 aufmerksam gemacht hat. Frage dein Inneres, was du willst. Natürlich werde ich dann auch fragen, ob dieses innere Wollen egoistisch ist. Ob dieses innere Wollen andere Menschen übervorteilt. Wir alle kennen die Stimmen, die das Wollen in Verdacht ziehen.


GOTTES WEG DARF FREUDE MACHEN

Jetzt lesen wir unseren Psalmvers, Vers 4, von diesem Aspekt her: ‹Tue Jahwe, deine Wege mir kund›. Dann könnte es doch auch so sein, dass die Art und Weise, wie Gott mir seine Wege kundtut, so geht, dass er mich fragt: „Was macht dir Freude?“ Die Frage nach der Freude kann die Weise sein, wie Gott mir zeigt, was für mich gut ist. ‹Lehre mich deine Pfade›, kann genau in dieselbe Richtung gehen. Lehre ernst zu nehmen, dass deine Freude an einer Tätigkeit, an einem Berufswunsch usw. dir die Augen öffnet, für das, was Gott in dein Leben hineingelegt hat. Als Quintessenz dieses Gedankens würde ich nehmen: Stell deinen Wunsch, also den Wunsch, dass Gottes Weg dir auch Freude machen kann, nicht unter Generalverdacht.

Ich hatte zur selben Zeit, als ich diesen Seelsorger kennengelernt hatte, einen anderen Menschen in meiner Nähe, der eine bedeutende Rolle gespielt hat. Der hat seinen Schülern – er war Lehrer an einer christlichen Schule – gesagt: „Der Weg unten durch ist immer frei.“ Ist verständlich, was damit gemeint ist? Der Weg untendurch, der Weg dort entlang, wo es dir keine Freude macht, der ist immer frei, also ist er höchstwahrscheinlich der Weg, den Gott dich führen will. Heute weiss ich, dass dieser Mensch krank war und viele Menschen in seiner Nähe krank geworden sind. Und das unter dem Anschein einer biblischen Frömmigkeit. Ich möchte gerne Psalm 25 anders lesen, so wie der Seelsorger getan hat, der mir dort begegnet ist:

Jahwe, tue deine Wege mir kund,
lehre mich deine Pfade
und zeige du mir, welche Freude es macht, mit dir, Gott, unterwegs zu sein!


MEINER FÄHIGKEIT ZUR FREUDE NACHSPÜREN

Ich würde euch wünschen, im betenden Bedenken dieses Doppelsatzes – es ist ja nur ein Gedanke aus zweierlei Richtungen formuliert – im Bedenken dieses Doppelsatzes euch zu fragen, wie euer Inneres gestimmt ist. Durch eure Erziehung, vielleicht durch eure Lebenserfahrung gestimmt worden ist. Darf Gottes Wille Freude machen? Ich hoffe, dass ihr merkt, wie absurd diese Frage ist, wenn man sie nur stellt. Warum soll Gottes Wille denn nicht Freude machen? Wie seid ihr erzogen worden? Was tragt ihr in eurem Inneren mit euch herum?

Ihr könnt auch anders fragen: Worüber habt ihr gelernt, euch in eurem Leben zu freuen und zu jubeln? In die Hände zu klatschen und zu sagen: Ist das schön! Wofür gibt es eine Freifahrt für die Freude in eurem Leben? Ich weiss, dass man die Frage auch negativ formulieren könnte. Aber ich mache das jetzt bewusst nicht. Ich wünsche euch vielmehr eine schöne Entdeckungsreise in eure Fähigkeit zur Freude. Ich bin überzeugt, jeder von uns hat die Fähigkeit zur Freude in sich. Mag sein, dass sie ein bisschen weit zurückliegt. Aber sie ist immer noch da. Ich wünsche euch eine schöne Entdeckungsreise.



Freitag, 26. August 2022
Wolfgang schreibt: An jedem Tag gibt es hier in Rasa zwei Impulse zu Psalm 25. Damit ist das Programm für alle ganz schön voll. Ulrike ist daran, wenigstens einige der Impulse in eine schriftliche Form zu bringen. Hier der Beitrag zu Vers 3:


ICH WERDE BESCHÄMT – UND GEHE UNVERLETZT AUS DER BESCHÄMUNG HERVOR

Wir kommen zu unserem Vers von heute, zu Vers 3. Ich lese ihn in der Übersetzung von Martin Buber, dann in der Elberfelder Übersetzung:

„Alle auch, die auf dich hoffen, zuschanden werden sie nicht.
Die werden zuschanden, die ums Leere verraten haben.“

„Auch werden alle, die auch dich harren, nicht beschämt werden.
Es werden beschämt werden, die treulos handeln ohne Ursache.

Wir haben uns gestern mit diesem hebräischen Wort בוש ‹bosch› zuschanden werden oder beschämt werden beschäftigt. Merkwürdig ist, dass wir im Deutschen für בוש ‹bosch› zwei zwar verwandte, aber doch verschiedene Begriffe haben: ‹beschämt werden› ist im Deutschen nicht dasselbe wie ‹zuschanden werden›. Wir unterscheiden das im Deutschen. Wir sagen, das ist das eine und das ist das andere. Interessant ist, dass beide Bedeutungen im Hebräischen und in vielen antiken Kulturen näher beieinander liegen. Und oft auch sprachlich identisch sind.


WAS HAT BESCHÄMUNG IN MEINEM LEBEN BEWIRKT?

Auch hier noch einmal die Frage von gestern: Wie ist das bei mir? Welche Geschichte der Beschämung liegt in meiner Biografie verborgen? Wo bin ich beschämt worden? Was hat das bei mir bewirkt? Das hat ja Spuren hinterlassen. Es ist meine Beschämung, und sie ist nicht identisch mit der Beschämung von anderen. Es gibt nicht ‹die› Beschämung als solche. Beschämungen werden immer persönlich empfunden. Und wie ist das bei mir? Erfahre ich in meiner Beschämung so etwas wie ein Zuschandenwerden? Oder ist es ganz anders? Bin ich in meiner Beschämung – das gibt es auch – selbstbewusst und stark geworden? Das kann sehr verschieden sein. Wir haben gestern darüber gesprochen.

Wie wichtig dieser Vorgang des ‹Beschämt- und Zuschandenwerdens› für unseren Psalm 25 ist, merken wir daran, dass der Begriff jetzt in Vers 3 – vorher in Vers 2 – noch einmal vorkommt. Er wird am Ende in Vers 20 noch einmal aufgegriffen. Und zwar abwehrend: „Nicht werde ich zuschanden“.

Wir haben gestern versucht, der Frage nachzugehen, welche Wirkung ‹Beschämt- und Zuschandenwerden› im Leben eines Menschen haben kann. Heute geht es um die Frage, woran es liegt, dass mein Beschämtwerden (nicht) zu einem Zuschandenwerden führt.

Noch einmal Vers 3: Alle, die auf dich hoffen – andere Übersetzungen sagen: die auf dich harren – nicht werden sie zuschanden. Hier wird also beantwortet, woran es liegt, wenn ein Mensch zwar beschämt wird, aber im Beschämtwerden nicht zuschanden wird. Das ist eine methodisch sehr klare Frage. Diese Frage spielt in der Begleitung, in der Seelsorge, immer wieder eine Rolle. Vielleicht spielt sie auch für uns persönlich eine Rolle. Woran liegt es denn, dass das Beschämtwerden mich nicht zuschanden werden lässt?


BEZIEHUNG SCHÜTZT VOR SCHADEN

Eine Antwort auf diese Frage hören wir auch in Vers 20: „Nicht werde ich beschämt oder zuschanden“. Warum ist das so? „Denn ich berge mich an dir“ (Vers 20). Es ist keine Technik, es ist keine Übung, sondern es ist eine Beziehung, die mir hilft, dass meine Beschämung nicht zu einer letzten tiefen Schädigung führt. Denn das gibt es, dass Beschämung so verletzend wird, dass sie einen Menschen bleibend schädigt. Aber es gibt auch das: Ich erfahre Beschämung, und ich gehe unverletzt aus der Beschämung hervor.

In der Seelsorge wird man sich dieser Frage zuwenden: An was liegt es denn? Wie geht es zu, dass ich keinen bleibenden Schaden nehme? Wir werden in Vers 20 ausführlich darauf kommen, aber die meisten von euch sind dann nicht mehr in Rasa. Darum nehmen wir es vorweg: „Nicht zuschanden werde ich – der Psalmbeter spricht hier von sich selber – , denn meine Zuflucht habe oder suche ich bei dir“.


HOFFEN, HARREN, WARTEN

Das Geheimnis besteht nicht im Anwenden einer Technik, sondern es gründet in einer Beziehung. Und zwar in der Beziehung, die man zu Gott hat. Ähnlich klingt es in unserem heutigen Vers, in Vers 3, an. Aber der Psalmbeter spricht hier noch nicht von sich persönlich, sondern er spricht allgemein. Er spricht nicht von der Zuflucht, die er selbst nimmt (Vers 20), sondern er spricht von der Hoffnung. Manche Übersetzungen sagen: „denn ich harre auf dich“. Hier steht ein Wort, das häufig im Alten Testament verwendet wird, wenn von Hoffnung gesprochen wird.

Hoffen ist im Hebräischen ein sehr wichtiges Wort. Die israelische Nationalhymne trägt sogar den Titel Hoffnung: la tikva. Ihr kennt wahrscheinlich ihre Melodie. Wir kennen die Melodie als ein erweckliches geistliches Lied. Auch in Israel ist die Nationalhymne ein geistliches Lied. Sie beschreibt die Hoffnung. Nun, was heisst Hoffnung?


NICHT, WEIL ES UNSICHER IST, SONDERN WEIL ES NOCH NICHT DA IST

Wir haben es wieder mit einem Beispiel dafür zu tun, dass ein Begriff in einer Sprache sich nicht deckt mit der Bedeutung in einer anderen Sprache. ‹Hoffnung› ist im Deutschen in der Regel damit verbunden, dass ich etwas erwarte, aber dass diese Erwartung nicht gesichert ist. ‹Hoffnung› hängt mit Unsicherheit zusammen, sonst wäre es im Deutschen nicht ‹Hoffnung›. Das Hebräische sieht das anders. Das Hebräische sagt: Es ist sicher, und gerade darum kann ich hoffen! Der Unterschied besteht darin: Ich hoffe, nicht weil etwas unsicher ist (deutsches Verständnis), sondern weil es noch nicht da ist (hebräisches Verständnis).

‹Hoffnung› hat in Psalm 25, überhaupt in der Bibel, nicht mit Unsicherheit zu tun. Im Glauben hat Hoffnung damit zu tun, dass Gott mir etwas verspricht. Ich kann mich auf Gottes Versprechen verlassen, ernsthaft verlassen. Denn Gott wird mich nicht belügen, nicht hintergehen. Weil Gottes Versprechen ernsthaft ist, darum kann ich hoffen.


ICH HOFFE, WEIL ICH MICH AUF JEMANDEN VERLASSEN KANN

Das betrifft auch den Umgang unter uns Menschen. Wenn ein Mensch mir ernsthaft etwas zusagt, und ich weiss, dieser Mensch ist verlässlich, dann weiss ich, er wird einlösen, was er mir verspricht. Diese Ernsthaftigkeit ist die Grundlage für das, was das Hebräische Hoffnung nennt. Im Grund genommen ist das deutsche Wort für Hoffnung etwas anderes als das Hebräische. Das hebräische Hoffen enthält das Grundelement der Gewissheit, das heisst des Wissens. Ich weiss, dass ER kommt. Hoffnung heisst: wissen. Hoffnung heisst – zweitens – warten. Ich weiss, er kommt, aber ich weiss nicht wann. Darum setzt Hoffnung mich auf den Weg des Wartens.

Nun weiss ich nicht, welchen Klang das Wort ‹Warten› für euch hat. Darum finde ich es klug, dass manche Übersetzungen nicht das Wort ‹warten› wählen, sondern das Wort ‹harren›. Für mich meint der Begriff ‹Warten› ein Zuwarten, etwas leicht …. Ernsthaft. ‹Harren› hat für mich etwas mit Hartnäckigkeit zu tun. Mir kommt das schon im Wortklang entgegen: harren. Warten hat für mich etwas Passiveres. Ich warte einfach zu, aber ich werde nicht gross in Bewegung gesetzt, im Gegenteil. Warten hat für mich mit Ruhe zu tun. Ich bin gewiss, und darum kann ich in Ruhe warten. Im Harren klingt etwas für mich etwas Aktiveres mit. Ich bin gewiss, aber die Gewissheit macht mich ungeduldig. Ich harre.


AUF DEM KOFFER SASS EIN MÄDCHEN

Nach meinem Hinhören, in der Empfindung dessen, was ich im Hebräischen lese, sind ‹Warten› und ‹Harren› kein Gegensatz. Die Hoffnung macht es mir möglich zu warten. Sie macht mich ruhig, ich weiss: Er kommt.

Ich erinnere mich, als ich das erste Mal in Leipzig war. Ich stand am Bahnhof und mitten im Bahnhof von Leipzig stand ein Koffer und auf dem Koffer sass ein Mädchen. Dieses Mädchen hat mich fasziniert. Sie hat nicht geharrt, sondern sie hat gewartet. Eine unglaubliche Ruhe ging von diesem Mädchen aus. Jeder, der sie angeschaut hat, hat gemerkt: Dieses Mädchen wartet auf jemand. Es wartet in einer unglaublichen Ruhe. In der Gewissheit: derjenige, der mir versprochen hat, er kommt und holt mich, der holt mich.


HOFFNUNG KENNT KEINE UNRUHE

Dieses Bild vom Mädchen am Bahnhof in Leipzig ist für mich der Inbegriff der Hoffnung als ein Warten geworden. Ich bin ziemlich lange dort stehen geblieben. Ich hatte Zeit. Ich habe gedacht, jetzt muss ich warten, ich möchte wissen, auf wen dieses Mädchen wartet. Ich weiss heute nicht mehr, wie lange ich dort zugeschaut habe. Aber am Schluss kam er, der Vater. Ein Leuchten ging über das Gesicht des Mädchens. Aber es war keine Unruhe, die da gelöst worden ist. Das Mädchen war nicht unruhig. Unruhe wäre ja entstanden, wenn das Mädchen erfüllt wäre von der Sorge: Kommt er oder kommt er nicht? Diese Sorge war dem Mädchen fremd. Das heisst ‹tikva›, Hoffnung. Hoffnung kennt keine Unruhe. Keine Unruhe, ob ER kommt oder nicht. Tikva ist Gewissheit. Aus dieser Gewissheit heraus ist ‹Hoffnung› einerseits ein ruhiges Warten und andererseits eben auch, auch das kennt man in der Geschichte Israels, ein Bitten und Harren, verbunden mit dem Ruf: Jetzt komm doch! Wir glauben dir, dass du kommst. Wir wissen, dass du kommst. Und doch bitten wir dich: Jetzt komm.

Das sind die Dinge, die ich gern über die Hoffnung sagen möchte. Hoffnung ist ein Wissen. Hoffnung ist im Vollzug zum einen ein ruhiges Warten, und Hoffen ist ein durchaus auch unruhiges Bitten: Jetzt komm doch. Für uns mag es dann und wann zu einem Gegensatz werden. Im Begriff Tikva, im Begriff Hoffnung, ist es eine Einheit.

Als Möglichkeit für eure Stille vielleicht das: Wie ist in meinem Leben der Begriff der Hoffnung gefüllt? Bin ich ein Mensch, der dazu neigt, ruhig zu warten? Habe ich es vielleicht nötig, auch zu einem harrenden, drängend bittenden Menschen zu werden? Das muss nicht sein, aber mir kann an diesem Psalm deutlich werden, dass mir etwas fehlt. Oder bin ich ein drängender Mensch, der Hoffnung nur als etwas Drängendes kennt: es muss, es soll. Und habe ich dann vielleicht nötig die Ruhe zu lernen, die Ruhe zu erfahren, die im Vorgang des Hoffens liegt?



Dienstag, 23. August 2022
Wolfgang schreibt: EINSAM—PSALM 25,1 — Schweige-Exerzitien in Rasa zu Psalm 25.
Dritte Einheit: Entweder Vertrauen - oder es geht zu Ende - Psalm 25,1

Sie können diesen Impuls gleich hier anhören:


Ganz unten auf dieser Seite [dort, wo die Buchstaben blau werden] können Sie diesen Impuls herunterladen unter: PSALM 25, Vers 1(03).

Für die von euch, die den Impuls gern mitlesen möchten, stellen wir hier den Mitschrieb zur Verfügung.

„Mein Gott, auf dich vertraue ich
Lass mich nicht zuschanden werden,
dass meine Feinde nicht über mich frohlocken“ (Vers 2)

Es sind drei Dinge. Das eine: „Mein Gott, ich vertraue auf dich“.
Wenn ihr dem nachgehen wollt, versucht doch einmal hinzuhören, ob euch bei dem Wort Vertrauen ein Bild in den Sinn kommt. Was heisst das eigentlich, vertrauen? Womit würde ich es vergleichen? Ich finde es ein wenig unglücklich, es ist für mich so, dass mir zum Wort Vertrauen kein Bild auftaucht. Ich weiss nicht, warum das so ist. Wenn ihr das Blatt mit den drei Übersetzungen habt, dann ist das in den anderen Übersetzungen etwas anders. Martin Buber sagt: „Mein Gott, an dir sichere ich mich“. Das ist schon bildhafter: an dir sichere ich mich.


SICH KLEBEN ANEINANDER

Friedolin Stier sagt: „Mein Gott, in dir ist mein Halt“. Das sind bildhafte Formulierungen. Im Hebräischen kann man zwei Bilder für das Wort Vertrauen unterscheiden, die beide in der Möglichkeit des hebräischen Wortes liegen. Vertrauen heisst: entweder sich ankleben. Ich bin also durch den Klebestoff mit etwas anderem, mit jemand anderem verbunden. Das war schon in der Antike ein Problem und eine Frage: wie kann man durch Klebestoff zwei Dinge miteinander so verbinden, dass sie sich nicht mehr voneinander lösen können?

Das ist ein Problem, das bis heute die chemische Industrie beschäftigt. Die neueste Reklame gilt den Klebestoffen, die man beim Zahnarzt verwendet. Also ein Klebestoff, den man aufträgt. Man fügt zwei Dinge aneinander und nimmt dann ultraviolettes Licht und setzt eine biochemische Reaktion in Gang, so dass die beiden Dinge miteinander verbunden werden. Das kann man durchaus auch für andere Materialien verwenden, man kann Holz, Papier, Stein oder was auch immer auf diese Weise aneinanderkleben und man kriegt das nicht mehr voneinander los. (…)

Das ist ein Bild. Der Psalmbeter hat von Zahnarztpraxen und ultraviolettem Licht noch nichts gewusst. Aber die Frage nach einem Klebestoff war ihm vertraut: Wie können zwei Dinge so aneinander kleben, dass man nicht fürchten muss, dass sie sich voneinander lösen? Das ist hier gemeint. Wenn es in Vers 2 heisst: „Ich halte mich an dich“, heisst das: Ich bin so mit dir verbunden, so geklebt an dich oder du an mich geklebt, dass ich nicht fürchten muss, dass diese Klebeverbindung sich wieder lösen wird. Ich weiss nicht, ob dieses Bild vom Zahnarzt angenehm ist für den Vergleich zwischen Gott und mir. Aber ihr könnt ja versuchen, andere Bilder vom Kleben zu finden.


SICH ANSEILEN ANEINANDER

Das ist die eine Art und Weise, wie Verbundensein in der Antike gedacht wird: verbunden durch Kleben. Die zweite Variante ist Verbundensein durch Anseilen. Wie muss ein Knoten aussehen und wie muss ein Seil materialmässig beschaffen sein, dass die Verbindung zwischen zweien sich nicht löst? Das ist wichtig für eine Karawane in der Wüste, dass das Seil zwischen Kamel 32 und Kamel 33 sich nicht löst und so die Karawane beieinander bleibt. Es wäre eine Katastrophe gewesen, wenn man um diese Verbindung hätte fürchten müssen. Dieses Problem ist nicht unser heutiges Problem ist, aber man kann nachvollziehen, was Menschen damals beschäftigt hat.

Was man mir nicht ansieht und vielleicht nicht glaubt: In jungen Jahren bin ich viel klettern gewesen. Dort hat die Frage des Verbunden-seins durch Seil eine entscheidende Rolle gespielt. Man hat, wenn man eine Tour im Fels unternommen hat, sich durch ein Seil aneinander geknüpft. Und die Verbindung durch den Knoten war so, dass man nicht fürchten musste, dass der Knoten sich löst, auch wenn man in einer Klettertour gestürzt ist und dem andern ins Seil gefallen ist. Ich bin meinem Freund ein paarmal ins Seil gefallen, 15m, 20m den Fels hinunter. Meine Aufgabe war es, als Fallender aufzupassen, dass ich nicht so an den Fels stosse, dass mir etwas zustösst. Und seine Aufgabe war es, mich zu halten. Wir haben unsere Aufgaben beide gelöst, darum bin ich heute noch hier. Auch das ist ein Bild, das dem Psalmbeter vor Augen steht, wenn er sagt, „ich vertraue auf dich“. Martin Buber übersetzt: „Ich sichere mich an dir“. Da klingt das Bild von der Kletterseilschaft vielleicht schon eher an, auch wenn Buber das vielleicht nicht vor Augen gehabt hat.

Auf Gott vertrauen bedeutet, mit ihm verklebt zu sein, oder mit ihm verknüpft zu sein. Und zu wissen, dass im Ernstfall diese Verbindung, diese Verklebung oder Verknüpfung sich nicht lösen wird. Das könnte eine Möglichkeit sein, im Gebet und im weiteren Nachdenken über diesen Psalm sich das vorzustellen: wie ist das, wenn man fällt? Wenn diese Verbindung erprobt wird und ich die Erfahrung mache, die Verbindung hält, ich werde aufgefangen, ich werde getragen.


VERTRAUEN IST DAS ERGEBNIS EINER ERFAHRUNG

Wenn eine Übersetzung von Vers 2 sagt „Mein Gott, auf dich vertraue ich“, dann ist das Vertrauen das Ergebnis einer Erfahrung. Ich vertraue auf dich, denn ich habe erfahren, die Verbindung hält. Vielleicht habe ich es nicht selber erfahren, aber ich weiss von anderen, dass sie gefallen sind und die Verbindung, die Klebeverbindung, die verknüpfte Verbindung hat gehalten. Und so rechne ich damit, dass, wenn es zu diesem Ernstfall kommt, auch ich gehalten sein werde.


DIE ERFAHRUNG DES GEHALTENSEINS BETRACHTEND VORWEGNEHMEN

Für das Gebet wäre das eine Aufgabe, sich vorzustellen wie das ist, wenn ich falle, und betend, schauend, dankend das vorwegzunehmen: diese Erfahrung des Gehaltenseins. Das ist das erste. Das erste, was mir in Vers 2 mir entgegenkommt: „Mein Gott, auf dich vertraue ich“.


BESCHÄMT WERDEN IST: ZUSCHANDEN WERDEN

Das zweite in Vers 2: „Lass mich nicht zuschanden werden“. Die Übersetzungen sind hier überwiegend einheitlich. Die Übersetzungen des hebräischen Wortes gehen in zwei Richtungen: Die eine meint das Beschämt-werden, die andere das Zuschanden-werden. Das ist im Hebräischen derselbe Ausdruck. Auch hier könnte man im eigenen Bedenken des Psalms dem nachgehen, wie das bei mir oder für mich ist: Welche Rolle spielt das Beschämt-werden in meinem Leben? Welche Rolle spielt die Angst vor dem Beschämt-werden in meinem Leben? Je nachdem, wie weit ich als Kind in der Familie, im Freundeskreis, in der Schule und auch später beschämt worden bin, kann die Frage der Scham und des Beschämt-werdens eine eminente Rolle spielen.

Ein Hinweis auf die Antike und das antike Rom: Es gab zwei Strafen, die die Hauptstrafen waren. Das eine ist die Todesstrafe, die andere ist das Exil. Exil meint, dass man seine Heimat verlor und in ein fremdes Land auswandern musste und nicht mehr nach Hause zurückkehren konnte. Je nachdem, mit welchem Wertemassstab ich aufgewachsen bin, ist das Wandern ins Exil harmlos, denn ich sage mir: na ja, Exil, aber ich lebe doch wenigstens noch. In der römischen Antike, war das anders. Die zu Bestrafenden haben sich gesagt: wenn ich sterbe, dann bleibe ich als Toter immer noch im Bereich der Familie. Darum will ich lieber sterben als ins Exil gehen.

Ich weiss nicht, wie es euch damit geht. Das ist mir in den Sinn gekommen bei der Übersetzung als „beschämt werden“ in Vers 2. Es kann sein, dass das Beschämt-werden mehr wiegt als das Zuschanden-werden. Im Hebräischen ist es derselbe Begriff.


ANGST VOR BESCHÄMUNG IN DER EIGENEN FAMILIENGESCHICHTE

Ich rate euch, dem nachzudenken, welche Rolle das Beschämt-werden, bzw. die Angst vor dem Beschämt-werden, und das Zuschanden-werden oder die Angst vor dem Zuschanden-werden in eurem Leben spielen. Welche Rolle das vielleicht auch in der Geschichte eurer Familien spielt. Das betrifft wahrscheinlich die von uns besonders, deren Familie eine Migrationsgeschichte hat. Alles, nur nicht heimatlos werden. Oder ist es für mich so, dass ich sage: Hauptsache am Leben bleiben? Da gibt es sehr verschiedene Massstäbe, an denen ich mein Leben messen kann.

Der Psalmbeter sagt, ja was sagt er jetzt? Die Übersetzung sagt: „Lass mich nicht zuschanden werden“. Oder sagt er: „Lass mich nicht beschämt werden“? Er sagt beides. Er sagt: Lass mich nicht beschämt werden, denn Beschämt zu werden ist für mich so bedeutungsvoll wie ein Zuschanden-werden. Es lohnt sich, darüber nachzudenken.


FEINDE, DIE ÜBER MICH FROHLOCKEN

Und nun ein drittes, was für den Psalmbeter offensichtlich dazu gehört. „Lass meine Feinde nicht laut über mich frohlocken“ (Vers 2). Das ist ein Vorgang, den junge Menschen, Kinder, Jugendliche im Bereich des Mobbing kennen. Dass sie in der Schulklasse gemobbt werden, und der Klassenverband über ihr Unglück frohlockt. Im negativen Sinn „frohlockt“. Das hat einen Stellenwert, der so gross ist, dass es zum Suizid führen kann. Was hier steht, scheint mir sehr zeitgemäss zu sein. Und gerade weil es so zeitgemäss ist, wer darüber predigen kann oder wird, finde hier meines Erachtens eine gute Hilfe und Anleitung. Wenn man das Ganze von hinten her aufrollt: Lass meine Feinde nicht über mich frohlocken, im Mobbing zum Beispiel. Wie kann ich dem entgegenwirken? Welche Hilfe kann mir dabei werden?

Indem ich ernst nehme, dass es hier um ein Beschämt-werden geht, das das Gewicht von einem Zuschanden-werden hat. Es sind oft wir Erwachsenen, die die Tragweite dieser Vorgänge nur schwer verstehen können. Wie kann ich dem Zuschanden-werden entgehen? „Mein Gott, auf dich vertraue ich“. Das heisst, an dich bin ich geklebt, an dich bin ich angebunden.


EIN SCHUTZ VOR DEM ZUSCHANDEN-WERDEN

In der Therapie von Mobbingopfern gibt es eine gute Hilfe. Sie hilft auch, wenn man selbst in einer Gemeinschaft lebt und aus dieser Gemeinschaft hinaus gemobbt wird. Das Entscheidende ist, dass es im Leben eine Verbindung mit einem Menschen oder mit einer Gruppe gibt. Eine Gruppe, an die man gebunden ist, einen Menschen, mit dem man verlässlich zusammen ist. Und die Erfahrung macht, dass diese Verbindung trägt. Ich hoffe, dass das verständlich ist.

Eine Verbindung zu haben, die auch im Ernstfall trägt, ist der beste und wahrscheinlich der einzige Schutz gegen das Zuschanden-werden, gegen das Beschämt-werden und gegen das Frohlocken der Gruppe, in der ich lebe, vielleicht leben muss, und der ich nicht entweichen kann. Unser Glaube an Gott hat diese Qualität, die Qualität des Gebunden-sein, des Verbunden-seins, die mich nicht in Angst entlässt, in die Angst, dass die Verbindung im Ernstfall eben nicht trägt. Ich vermute, dass die Zeit noch auf uns zukommt, in der uns die Wichtigkeit diese Erfahrung deutlicher wird, als es vielleicht im Moment der Fall ist.

Es ist ein Dreiklang, den wir in Vers 2 hören. Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr bin ich erstaunt über die enorme Aktualität, die uns in diesem Vers begegnet. Ich wünsche euch, dass ihr dem nachgehen könnt, vielleicht die Aktualität für andere oder für euch selber erspürt. Helfen wir einander, der Aktualität dieses Dreiklangs nachzuspüren und unseren Glauben in dieser Dimension eines festen Gehalten-seins zu erfahren.



Montag, 22. August 2022
Wolfgang schreibt: Psalm 25 hat in meinem Leben immer wieder einmal eine grosse Rolle gespielt. Ende 1968 kam er zu mir als mein Jahrespsalm für 1969. Jahrespsalm bedeutet für mich: Mit diesem Psalm will und werde ich dieses eine Jahr verbringen: lesen, beten, befragen usw. Vor allem: Ich möchte diesen Psalm in besonderer Weise ein Jahr lang zu mir reden lassen. Es war ein Spruchkärtchen, das mich auf diesen Psalm aufmerksam gemacht hat: »Wende dich zu mir und sei mir gnädig, denn ich bin einsam und elend. (Vers 16)« Es wurde dann wirklich ein Jahr besonderer Einsamkeit, mit der ich überhaupt nicht gerechnet hatte.

Der Psalmbeter wendet sich aus einer solchen Einsamkeitserfahrung heraus an Gott. Was sagt er ihm? Worum bittet er ihn? Das wird uns in diesen Tagen vielfältig begleiten. Zum Anfang: Der Beter erfährt seine Einsamkeit als sein Elend. Nichts muss er beschönigen. Allerdings: Das hebräische Wort, das hier mit "Einsamkeit" übersetzt wird, kann genauso positiv verstanden werden. Dann bedeutet es »Einzigartigkeit«. In welchem Sinn hängen diese beiden Bedeutungen zusammen?

Sie können diesen Impuls gleich hier anhören:


Ganz unten auf dieser Seite [dort, wo die Buchstaben blau werden] können Sie diesen Impuls herunterladen unter: PSALM 25, Vers 16(01).



Sonntag, 21. August 2022
Ulrike schreibt: Wolfgang und ich wünschen euch und Ihnen einen gesegneten Sonntag. Ich habe oben schon einmal Fotos von Rasa eingestellt - sozusagen als Einstimmung. Ab Morgen, Montag, beginnen Wolfgangs Schweige-Exerzitien zu Psalm 25. Wir betrachten einen Psalm, in dem ein Mensch aus seiner Einsamkeit heraus betet.

Wolfgang und ich werden euch hier im Blog Anteil geben an den Impulsen zur Betrachtung. Das ist nicht ganz einfach, weil ich zwischendrin in Liestal bin für Notwendiges in der Kirchgemeinde. Aber wir versuchen unser Bestes. Manche Impulse zu Psalm 25 werden wir verschriftlichen, andere zusammenfassen.

Unser Auto ist immer noch in der Garage, der neue - also gebrauchte - Motor ist mittlerweile da und wird nächste Woche eingebaut. Zwischenzeitlich fahren wir BMW, dank eines grosszügigen Freundes. Das gefällt mir gut, auch einmal andere und vor allem bessere Autos fahren zu dürfen :-)

Wolfgang und ich haben heute miteinander ein Büchlein zu Ende gelesen. Wir lesen nach der Bibellektüre an jedem Tagesbeginn in einem gemeinsamen Buch. Das war jetzt Reinhard Körner, Dunkle Nacht. Mystische Glaubenserfahrung nach Johannes vom Kreuz, 2022 (2006). Johannes schreibt als Seelsorger. Er spricht von Zeiten im Leben, in denen äussere und innere Erfahrungen wenig werden oder ganz aufhören. Es wird dunkel im Menschen. Äussere Erfahrungen nennt Johannes die "Nacht der Sinne", dem Menschen wird vieles weggenommen, was seinen Zugang zur Welt angeht. Alle "Dinge", aller bisherige Reichtum wird relativ. Alles, was bisher als sicher erfahren wurde, wird wankend, selbst lieb gewordene Menschen.

Innere Erfahrungen nennt Johannes die "Nacht des Glaubens" oder die "Nacht des Geistes". In dieser zweiten Nacht verliert der glaubende Mensch auch seinen Zugang zu Gott. Er spürt Gott nicht mehr, kann nicht wie gewohnt beten oder ihn empfinden. Er fühlt sich verlassen und verzweifelt.

Johannes - und mit ihm Reinhard Körner - beschreibt solche Nachterfahrungen nicht als Unglück oder Katastrophe, sondern als eine Weise, in der Gott seine Kinder jetzt führt. Glaubensleben beginnt mit schönen, äusseren wunderhaften Erfahrungen, vielen inneren Erlebnissen. Aber dann will Gott seine Kinder weiter führen, er will sie reifen lassen. Gottes Kinder sollen ihren Glauben nicht mehr an äusseres oder inneres - süsses - Erleben binden, sondern an ihn.

In der zweiten Märzwoche 2023 werden Dr. Heidrun Kaletsch und ich in Liestal drei Abende zu Nacht-Erfahrungen veranstalten. Heidrun wird vor allem aus ärztlicher Perspektive reden: über Depression, Umgang mit Dunkelheit, die in den Bereich von Krankheit gehört. Ich werde aus geistlicher Perspektive über Nacht-Erfahrungen reden: die nicht in Krankheit oder Schuld ihren Anlass haben, sondern die Teil eines Glaubensweges sind. Ich freue mich sehr über die Zusammenarbeit.


Mittwoch, 10. August 2022
Ulrike schreibt: Wir sind in der letzten Ferienwoche. Ich besuche Gemeindemitglieder und bin in den Gruppen, die sich auch während der Ferienzeit treffen. Gestern haben wir z.B. das Kirchturmfest (am 4. September) und die Meditative Abendfeier (am 21. August) vorbereitet und dann noch lange miteinander bei uns im Garten auf der Terrasse gesessen. Das war schön, am Abend so viel Zeit zum Erzählen zu haben, für die Frage: "Wie geht es dir?"

In den Gesprächsgruppen, die ich mitleite, gibt es eigentlich immer eine solche Runde. Jede und jeder ist zu Beginn des Treffens eingeladen, etwas von sich zu erzählen. Ich achte auf die Zeit, und darauf, dass nicht jemand eingreift und ‹übernimmt›. Es ist immer gut, den Einzelnen zuzuhören. Und es ist gut zu spüren, wie die Anderen Anteil nehmen.

Mich hat gestern eine Biene im Gesicht gestochen. Sie ist mir beim Fahren auf dem Motorroller in den Helm geflogen. Im COOP heute guckt mich an der Kasse ein Mann immer wieder irritiert an. Ich: "Guten Morgen. Ja, das war eine Biene." Ins Schwimmbad kann ich so nicht gehen, weil Druck im Gesicht (Schwimmbrille) gerade gar nicht geht.


Dienstag, 9. August 2022
Ulrike schreibt: Für September haben wir Assaf Zeevi nach Liestal eingeladen und freuen uns sehr darauf. Assaf Zeevi ist israelischer Reiseleiter und Buchautor. Zuvor war er Landschaftsarchitekt und Mitarbeiter der Holocaustgedenkstätte Yad VaShem. Heute ist er zuständig für Reisen nach Israel und in die biblischen Länder beim Reiseveranstalter Surprise Kultour AG.

Auch wenn Sie nicht in Liestal wohnen, sind Sie herzlich zur Teilnahme eingeladen. Hier ist der Flyer: 2022.09 OA-AssafZeevi. Ich habe für die Vorträge und anschliessenden Gespräche Themen zur Geschichte und Bedeutung Israels im weltweiten Kontext vorgeschlagen:

Dienstag, 13. September 2022: Das jüdische Volk und seine Entstehung bis heute
Freitag, 16. September 2022: Wie denn sonst, wenn nicht gemeinsam?
Dienstag, 20. September 2022: Friede in deinen Mauern, Glück in deinen Palästen (Psalm 122,7) - Jerusalem als Nabel der Welt

Im November 2019 war ich mit Assaf Zeevi in Israel und da hatte es - wie in den letzten Tagen - ebenfalls eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen Israel und dem Palästinensischen Islamischen Dschihad gegeben (Operation Black Belt). Israel hatte einen Anführer der PIJ getötet und war daraufhin vom Gaza-Streifen aus mit Raketen beschossen worden. Für mich war es damals sehr hilfreich, aus der Sicht eines Israeli erzählt zu bekommen, nach welchen Regeln und Mechanismen diese Auseinandersetzungen ablaufen. .... Übrigens: Unsere Israel-Reise (25.2.-5.3.2023) ist gut gebucht, es gibt noch wenige freie Plätze.

Am kommenden Wochenende - Samstag und Sonntag - sind Wolfgang und ich zur Retreate einer kleinen freikirchlichen Gemeinde auf dem Hasliberg eingeladen. Wolfgang führt als Referent in die Gideon-Erzählungen ein. Gott beruft mit Gideon einen Menschen, der selbst nicht frei von Einschränkungen und Komplexen ist. Und gleichwohl wird Gott diesen Menschen so führen, dass er sein Volk rettet.

Und dann stehen für Wolfgang und mich ab dem 22. August die Schweige-Exerzitien in Rasa/Tessin an. Für uns ist Rasa ein unglaublich schöner Ort, und wir freuen uns jedes Mal neu auf die Tage dort oben. Wolfgang wird in 2x5 Tagen zur Betrachtung von Psalm 25 einladen. In Psalm 25 geht es um einen Menschen, der aus seiner Einsamkeit heraus betet. Was sieht er? Was bewegt er? Was betet er? Für Rasa gibt es noch freie Plätze, ihr könnt euch gern melden, wenn ihr euch mit zurückziehen möchtet. Mehr Infos findet ihr links bei Rasa - Schweigen im Tessin.


Montag, 1. August 2022
Ulrike schreibt: Wolfgang und ich hatten in den letzten Tagen viel Besuch und schönen Besuch. Erst kamen Wolfgangs Kinder und Grosskinder - die Alterspanne reicht von 8 Monaten bis zu 16 Jahren. Richtig schön fand ich - als eine, die selbst gern schwimmt - wie auch die kleinen Kinder Freude am Wasser haben. Und wie die 2jährige sofort auf die Wasserrutsche zugesteuert ist und gejuchzt hat beim Runterrutschen, jedesmal neu. Und wie sie staunend vor anderen Kindern stehen bleibt und genau zuschaut, wie die das so machen im Wasser.

Dann kam mein Zwillingsbruder mit seiner Familie zu Besuch. Sie sind auf der Durchfahrt in den Urlaub in Italien und sind ein paar Tage bei uns in Liestal geblieben. Die jüngste ist bereits 17, da haben wir viel unternommen. Schön: Meine Nichte hinten bei mir drauf auf dem Motorroller und dann sind wir durchs Baselbiet gefahren. Ich habe auch das Zusammensein mit meinem Bruder sehr genossen, denn wir sehen uns meist nur kurz.

Wir waren ebenfalls im Schwimmbad in Rheinfelden (KuBa), in Basel und in der Piet Mondrian Ausstellung in der Fondation Beyeler in Riehen. Die Ausstellung ist grossartig. Ich wusste nicht, dass Mondrian auch gegenständlich gemalt hat! Als Holländer hat er Mühlen, Dünenlandschaften, Bauernhäuser gemalt. Ich kannte vorher nur die weiss grundierten Bilder mit den rot, gelb, blauen Feldern. Und ich konnte nachvollziehen, wie er Bilder farblich und von ihrem Aufbau her so strukturiert, dass sie sich schliesslich in Linien und Feldern darstellen lassen. Ich werde wieder in diese Ausstellung gehen, habe mir jetzt auch wieder einen Museumspass gekauft.

Etwas Besonders in diesen Tagen war, dass ich ein paar Sachen "neu" gemacht habe. Vom 5m- Turm in den Rhein springen, zu zweit auf dem Roller fahren, uns bei mobility - car sharing in der Schweiz anmelden. Wir werden jetzt ersteinmal mit Car-Sharing leben, bis wir wissen, wie es weitergeht. Unser liegen gebliebener Nissan steht mittlerweile in einer Garage im Nachbarort und ist wahrscheinlich nicht mehr zu reparieren.

Ab Mittwoch haben wir einen Vikar in unserer Kirchgemeinde. Ich bin seine Ausbildungspfarrerin. Ich denke jetzt manchmal an mein eigenes Vikariat in der Region Potsdam - in Caputh und Geltow - 1992/93 zurück. Was habe ich da eigentlich gelernt? Welche Menschen, welche "Sätze" sind mir bis heute in Erinnerung? Das ist ziemlich interessant!


Sonntag, 24. Juli 2024
Wolfgang schreibt: Eine der Auswirkungen der Corona-Epidemie besteht darin, dass die Einsamkeit unter den Menschen deutlich zugenommen hat. Ein Allheil-Mittel dagegen gibt es gewiss nicht. Ulrike verweist in ihrer heutigen Predigt über Römer 1,7 sowie 16,1-24 auf die bemerkenswerte KRAFT DER GRÜSSE. Sie können diese Predigt gleich hier anhören:


Ganz unten auf dieser Seite [dort, wo die Buchstaben blau werden] können Sie diese Predigt herunterladen unter: 2022-Die Kraft der Grüsse.


Dienstag, 19. Juli 2022
Ulrike schreibt: Nach knapp drei Wochen im eher kühlen Berlin und an der gleichfalls kühlen Ostsee sind wir zurück in der Schweiz.
Hier ist es heiss. Im Garten steht ein Plantschbecken für Wolfgangs Grosskinder, mit Sonnensegel und Sonnenschirm bedacht. In das lege ich mich auch ab und zu hinein, das kühlt wunderbar. Heute Nacht bin ich mal rausgegangen um zu schauen, ob da auch Tiere drin baden, habe aber keine gesehen.

Wir sind am Samstag mit einem Mietwagen von Berlin aus nach Hause gefahren, unser kaputtes Auto kommt später nach zur Reparatur in die Schweiz. Der TCS (entspricht dem deutschen ADAC) hat den Wagen für uns bei SIXT gemietet. Ich fahre also raus zum Flughafen BER, um den Wagen abzuholen. Die Frau am Schalter: "Wir haben einen Opel Corsa für Sie reserviert." Ich - etwas frustriert: "Da passen wir aber nicht wirklich rein, mein Mann mit seinen Füssen und Gehhilfen und unser Gepäck." Sie: "Na, dann nehme ich das auf meine Kappe, und gebe ihnen einen grösseren Wagen." Und dann ganz stolz: "Der ist neu, sehr teuer und darf eigentlich nicht ins Ausland."

Ich habe keine Ahnung, warum sie so freundlich war. Im Parkhaus habe ich mich erst mal eine Viertelstunde ins Auto gesetzt - einenVW Touareg Geländewagen und Kombi - und mir das Cockpit angeschaut. Damit ich überhaupt losfahren kann. Ist ja alles ein bisschen moderner als in unserem alten Nissan. Die Rückfahrt war wunderbar, und ich merke, dass es ein Statussymbol ist, wenn man aus einem grossen teuren Auto mit Münchener Kennzeichen steigt. Steht mir gut, so ein Auto ... :-) Gestern habe ich vor der Abgabe des Wagens noch ein paar Einkäufe gemacht, Sonnenschirm, Getränke etc., den grossen Kofferraum nutzen.

Bei Wolfgang und mir geht alles ein bisschen langsam in diesen heissen Tagen. Übermorgen feiere ich Gottesdienst im Pflegezentrum Brunnmatt (15.30 Uhr), am Sonntag in der Kirchgemeinde (9.30 Uhr). Herzliche Einladung! Ausserdem habe ich die nächsten beiden Wochen Beerdigungsbereitschaft. Heute Abend geht es erstmal ins Schwimmbad mit Familie und Kindern.


Dienstag, 12. Juli 2022
Ulrike schreibt: Wolfgang und ich sind am Sonntag von Ahrenshoop aus Richtung Berlin gefahren. Wir haben die Autofahrt genossen, einen Podcast gehört und uns über die entspannte Heimreise gefreut.

Auf einmal blinkte die Warnlampe für Motorschäden, dann begann das Auto aus der Kühlerhaube heraus zu dampfen. Ich: "Sind wir das?" Wir sind sofort auf den Standstreifen gefahren, das Kühlerwasser hat gekocht und ist übergelaufen. Wir haben ziemlich lange auf den TCS/ADAC aufs Abschleppen gewartet. Das Auto steht jetzt zur Reparatur in einer Nissan-Werkstatt in einer Kleinstadt nördlich von Berlin.

Ich habe meinen Urlaub um einige Tage verlängert und wir warten auf die Reparatur des Autos. In Berlin lässt es sich glücklicherweise gut bleiben: wir haben Zeit zum Reden und Lesen, zum Schwimmen. Der Besuch in Berliner Freibädern ist wie immer erlebnisreich. Gestern: Wenn so viele Menschen nicht-deutscher Herkunft ins Bad kommen - warum sprechen die Frauen am Eintrittsschalter viel zu schnell und vernuschelt? ... Oder: Warum müssen Frauen, die ganz-verschleiert kommen und nach eigener Auskunft nicht ins Wasser gehen, trotzdem Eintritt zahlen? Wenn doch nur ihre Kinder baden gehen? ... Oder: Warum gibt es nur eine Sammeldusche und keine Einzelkabinen fürs Duschen? Das ist selbst manchen deutschen Frauen unangenehm, und türkische Frauen duschen mit Kleidung. .... Und: Warum gibt es je einen (!) Fön für Männer und Frauen in einem Bad mit 4500 Plätzen? Das ist z.T. skurill. Das Schwimmen macht trotzdem Spass und ich geniesse es.

Wolfgang bereitet die Schweige-Exerzitien im August in Rasa/Tessin vor. Man kann vom 22. August - 01. September 2022 bleiben (zehn Tage), oder vom 22.-27. August bzw. vom 27. August - 01. September 2022 (jeweils fünf Tage). Wolfgang betrachtet mit den Teilnehmenden Psalm 25, den grossen Einsamkeits-Psalm.

PSALM 25: WENDE DICH ZU MIR …
… denn ich bin einsam und elend. Woher die Einsamkeit kommt, und wie mir dabei geholfen werden kann. Mehr Informationen finden Sie, wenn Sie links im blauen Feld auf Rasa - Schweigen im Tessin klicken. Ich freue mich jedes Jahr sehr auf diese Zeit und auf mein persönliches Lernen.


Sonntag, 10. Juli 2022
Ulrike schreibt: Wir sind jetzt den fünften Tag oben an der Ostsee, in Ahrenshoop. Heute Mittag fahren wir zurück, über Berlin nach Liestal. Sehr schön ist, dass das Hotel direkt hinter dem Deich liegt, es also nur wenige Meter bis zum sehr langen, schönen Sandstrand sind. Das Wetter war wechselhaft, windig, regnerisch, manchmal sonnig. Da laufen Touristinnen in langen wattierten Steppjacken und mit hochgeschlagenem Kragen den Strand hinunter. Gleichzeitig sind einige wenige andere am Baden. Zu "den anderen" gehöre ich :-) Schwimmen ist wegen der hohen Wellen kaum möglich. Ich bin damit beschäftigt, die Wellen im Blick zu behalten, die im 5-Sekunden-Takt anrollen, um nicht von ihnen überrascht zu werden. Das Wasser ist, anders als die Luft, nicht kalt.

Wolfgang und ich haben gut gegessen, meist Fisch im Räucherhaus am Hafen. Das war auch sehr schön, entspannt. Ich habe zwei Bücher gelesen, ein neues von Petros Markaris und den Bestseller von Kurt Krömer über seine Depression. Beide sehr gut, finde ich. Als nächstes will ich Die 21. Eine Reise ins Land der koptischen Martyrer von Martin Mosebach lesen. Ich war 2018 in Ägypten und träume immer noch davon, die Interviews mit Christinnen und Christen dort zu veröffentlichen. Zusammen mit den Interviews mit anderen christlichen Minderheiten in Österreich, Frankreich, der Türkei, Ostdeutschland.

Und die Besuche im Kunstmuseum, in der Galerie Alte Scheune und im Kunstkaten Ahrenshoop haben wir genossen. Besonders den letzten: Den Kunstkaten hat der Maler Paul Müller-Kempf gebaut. Er war einer derjenigen, der Ahrenshoop - ein normales kleines Fischerdorf - ab 1909 für den Zuzug von Malerinnen und Malern erschlossen hat. Es entstand eine Malerkolonie, ähnlich wie Worpswede. Viele malende Frauen und Männer haben sich in Ahrenshoop niedergelassen und der Ort lebt bis heute von seinem Ruf als Ort der Kreativen.


Samstag, 2. Juli 2022
Ulrike schreibt: Schön ist es in Berlin. Meistens scheint die Sonne, ich habe Fenster geputzt und dabei einen Podcast gehört. Gestern hat es geregnet und abgekühlt. Ich war im Freibad, um eine Weile zu schwimmen. Berliner Schwimmbäder, jedenfalls, diejenigen, die ich kenne, sind tendenziell veraltet und verwahrlost und trotzdem voller Menschen. Man braucht bereits vorher gute Laune, finde ich, damit man die gute Laune beim Schwimmen auch behält.

Ich war in Berlin-Pankow im Theater unterm Dach, wo es vor allem heiss war (eben: weil unter dem Dach ...), dazu ohne Lüftung, aber mit Mund-Nase-Schutz. Ich habe die Schauspieler nicht beneidet, unter solchen Bedingungen zu spielen. Das Stück Season One war nicht meins, obwohl gut gespielt; es war zu brutal. Mir hat etwas Gutes im Stück gefehlt, wenigstens der Spur nach. Der Schluss der Geschichte, wo sich die Frau aus der ihr zugeschriebenen und von ihr miterzählten Geschichte löst, ist gut. Aber man wusste nicht, woher die Erlösung kommt (Zufall?) und sie war sehr kurz im Vergleich zur qualvoll langen Nacherzählung ihres bisherigen Weges. Ein bisschen irritiert war ich, dass sich trotz der kleinen Zuschauerzahl - wir waren 13 Leute - keine Gespräche oder Kontakte untereinander ergeben haben. Das hatte ich anders erwartet.

Wolfgang und ich haben für meine Eltern einen neuen Computer gekauft und begonnen, ihn einzurichten. Es ist nicht leicht, in diesen Wochen das gewünschte Modell - oder ein halbwegs ähnliches - zu bekommen. Wir sind viel durch die ohnehin volle Stadt gefahren gestern. Eigentlich wundert es mich, dass wir es tatsächlich geschafft haben und am Abend das Ding auf dem Tisch stand. Alltagswunder :-)


Mittwoch, 29. Juni 2022
Ulrike schreibt: Wir sind gut in Berlin angekommen und mir kommt es vor, als wären wir schon lange hier. Moabit ist - wegen des Ausbaus der Strassenbahn - eine einzige Baustelle. In der Nacht unserer Ankunft wollte ich das Auto in ein nahegelegenes Parkhaus fahren. Vor lauter Baustellen und Sperrungen habe ich die Zufahrt zum Parkhaus schlichtweg nicht gefunden. Ich bin ewig rumgekurvt und habe das Auto schliesslich irgendwo abgestellt. Das ist Berlin.

Gestern war ich in Yerma, einem Stück von Simon Stone (Regie), das in der Schaubühne am Lehniner Platz aufgeführt wird. Es war grossartig, wirklich grossartig. Das liegt vor allem am Spiel von Caroline Peters. Sie spielt eine Frau, Ende dreissig, die in einer glücklichen Beziehung mit John lebt. Beide sind kreativ, witzig, haben Geld und gerade eine Altbauwohnung gekauft. Recht plötzlich kommt bei 'ihr' - der Name der Frau wird nicht genannt - der Wunsch nach einem Kind auf. Der Wunsch wird zur Besessenheit und dominiert schliesslich das Leben des Paares. .... Es zehrt an einem, dem zuzusehen, und wer selbst eine Geschichte mit unerfülltem Kinderwunsch durchlebt hat, sollte sich überlegen, ob er oder sie sich das Stück anschaut. Aber trotzdem: grossartig. Hier der Link: www.schaubuehne.de


Sonntag, 26. Juni 2022
Ulrike schreibt: Letzte Woche war ich in der Ausstellung Picasso - El Greco im Neubau vom Kunstmuseum Basel. Die Ausstellung hat mir ausgesprochen gut gefallen, wobei ich vor allem die Bilder von El Greco (1541-1614) betrachtet habe. Er hiess eigentlich Domínikos Theotokópoulos und hat eine Ausbildung als Ikonenmaler auf Kreta abgeschlossen.

El Greco muss schon in seiner Heimat ziemlich gut gewesen sein, ist dann nach Venedig und Rom und schliesslich dauerhaft nach Spanien gezogen. Sehr interessant finde ich, dass man viel vom damaligen Geschäft des Malens mitbekommt, von Auftragsverhandlungen, neu einzurichtenden Palästen und Kirchen, von Beziehungsnetzen und Preisen.

Mich beeindruckt, wie El Greco auch in grösseren Szenen jede Person als in sich ruhend darstellt. Man ahnt, dass sie ein Innenleben und ein Geheimnis hat. In der Darstellung anderer Meister sind die Menschen oft als identisch mit ihren Gefühlen, ihren Verzerrungen, ihren Handlungen dargestellt. Da 'ist' der ganze Mensch 'Aufregung' oder 'Hass' oder 'Freude' oder 'Traurigkeit'. Bei El Greco neigt man zu fragen: Und wer ist dieser aufgeregte oder hassende oder .... Mensch wirklich? Hier ist der Link zur Ausstellung: Picasso - El Greco

Wir sind jetzt am Aufräumen und Packen. Und dann geht es los. Wolfgang hatte gestern die schöne Idee, dass wir ein paar Tage in Ahrenshoop an der Ostsee verbringen. Das ist von Berlin aus schnell zu erreichen. Ich schwimme ja so gern. Wir haben ein kleines Hotel am Weststrand gebucht. Man überquert die Strasse und den Deich und ist sofort am Strand. Vorher sind wir ein paar Tage in Berlin.

Ich werde unter anderem das Begegnungs-Wochenende vom 23.-25./26. September vorbereiten. Immer noch herzliche Einladung an die Frauen unter Ihnen/unter euch, mit dabei zu sein.


Samstag, 25. Juni 2022
Ulrike schreibt: Ich habe Gipfeli von der Tankstelle geholt - die hat am Morgen als erste auf - und ein ruhiger Samstag wartet auf uns. An diesem Wochenende wollen wir in die Ferien fahren. Wobei 'Ferien' ein bisschen übetrieben ist, wir fahren nach Berlin.

Die erste Jahreshälfte liegt hinter uns. In der Kirchgemeinde habe ich den Eindruck, dass Menschen gut unterwegs sind im Bemühen, Jesus nachzufolgen. Wenn ich die Bibel- Gesprächs- und Gebetsgruppen besuche, dann ist es wirklich schön: alle pflegen ein gutes und herzliches Miteinander. Und viele setzen sich - oft undercover - ganz praktisch und mit grosser Zuverlässigkeit für beschädigte Menschen ein. Das zu sehen, habe ich in diesen Monaten wirklich als beglückend empfunden.

Die Kirchgemeinde als Organisation liegt dagegen am Boden. Als Organisation heisst, dass viele Mitglieder das Preis - Leistungsverhältnis als nicht lohnend empfinden. Was jemand als Mitgliedsbeitrag investiert, zahlt sich für ihn nicht aus. Und da hilft es auch nicht, wenn wir ihm ein paar Schokoherzen oder Kekse in die Hand drücken. Er braucht die Leistungen der Kirche nicht und oft will er die Leistungen der Kirche auch nicht. Denn - das ist ein Beispiel - , es gibt ja in Liestal das Rote Kreuz und Senioren für Senioren, die längst für zwischenmenschliche Gemeinschaft (Ausflüge, Kontakte) und gute Hilfestellungen im Alltag besorgt sind.

Ich meine, dass wir als Kirchgemeinde uns zum einen in gesellschaftliches Engagement einklinken müssen - einfach mitmachen - und dass wir gleichzeitig unser Eigenes - nämlich ein durch Glauben getragenes Leben - ausbilden. Und es sichtbar werden lassen. Es braucht Orte, Einladungen, Zusammenkünfte, wo Menschen sich an- und abschauen können, wie ein gemeinsames Leben im Glauben an Jesus aussieht. Vielleicht kriegen Wolfgang und ich das in der zweiten Jahreshälfte hin, mehr zu uns nach Hause hin einzuladen. Eigentlich träume ich davon, mehr Raum für gute Begegnungen zu haben. Denn die gibt es: wo ich ihnen Zeit gebe. Tendenziell sitze aber auch ich in Sitzungen, schreibe Mails und höckle tausend kleine Pünktchen ab, die die Kirchgemeinde als Organisation am Laufen halten. ... Ihr merkt, es ist eine Frage der Prioritäten. Natürlich muss man kirchliches Leben auch organisieren. Auch. Zuerst und vorrangig aber müssen wir leben, hinschauen, nachfolgen, begegnen, uns engagieren.

Mittleres Foto oben: Blick aus unserem Wohnzimmerfenster auf die Ausläufer des Jura.

Samstag, 11. Juni 2022
Ulrike schreibt: Die letzten drei Tage war ich für einen Kurs der Universität Bern in Délemont. Ich mache ein CAS (Certificat of Advanced Studies) zur 'Ausbildungspfarrerin'. Grund dafür ist, dass wir ab August einen Vikar in unserer Kirchgemeinde haben - und ich bin seine Hauptansprechperson. Und dafür braucht es in der Schweiz eine Qualifikation; man muss sich erst einmal selbst ausbilden lassen. Das Kurs-Modul gestern hatte "Lehren im Gespräch" zum Thema. Ich fand es tatsächlich hilfreich und interessant, und das Miteinander mit den anderen Pfarrkolleginnen und -kollegen war sehr schön. Aber die Vorträge, Rollenspiele, Arbeitsaufträge usw. nehmen den ganzen Tag bis in den Abend hinein ein, darum ist es auch anstrengend.

Wolfgang ist heute für den Studientag der FBG "Hebräisch Denken" - zusammen mit Christoph Hilty - in Zürich. Wolfgang und ich sind heute früh zusammen her gefahren. Aber ich habe am Schluss dieser Woche nicht die innere Kraft, für einen Kurs nochmal hinzusitzen und zu lernen. Ich habe also ein paar Teilnehmende begrüsst, und bin dann wieder gegangen: einen Spaziergang durch Zürich machen.

Das ist bei dem Sonnenschein jetzt wunderschön! Ich kenne Zürich gut, weil ich an der Universität meine Dissertation geschrieben habe; ich war aber in den letzten Jahren kaum mehr hier. Durch die Altstadt bummeln, am Ufer der Zürichsees sitzen - es tut gut!! Nun mache ich Halt im Kunsthaus, sitze im Innenhof, trinke Kaffee und schreibe für unserer Homepage. Ich möchte die Ausstellung "Kunst und Medizin" sehen; habe aber auch ein Ticket für die ständige Ausstellung gelöst.

Morgen lade ich Sie zur Abendfeier in die Stadtkirche Liestal ein. Wir haben sie wieder im Team vorbereitet; ich werde zur Betrachtung von Johannes 10 "Ich bin der gute Hirte" einladen. Wenn Sie mögen: Beginn ist um 18 Uhr, wir feiern das Abendmahl und sitzen - mit denen, die das wollen, - im Anschluss zum Austausch bei Tee und Kaffee zusammen.


Sonntag, 5. Juni 2022 - PFING
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